Hepatitis-Fälle bei Kindern weiten sich aus: Streit um Ursache
Es vergeht kein Tag, an dem Regionen oder Länder nicht neue Fälle von Hepatitis bei Kindern melden. So meldete die Gesundheitsbehörde des US-Bundesstaates Minnesota mindestens zwei Fälle von Hepatitis bei Kindern, wo die Ursache bisher nicht geklärt werden konnte.
Auch die Gesundheitsbehörde des Bundesstaates Wisconsin untersucht mindestens vier Fälle, darunter zwei Kinder mit schwerem Verlauf, eine Lebertransplantation und einen Todesfall. Aus diesem Grund veröffentlichte die US-Behörde am Freitag, den 29. April, eine Gesundheitswarnung, um Krankenhäuser und Gesundheitsbehörden über die jüngste Zunahme von Fällen akuter Hepatitis bei Kindern zu informieren.
Am Sonntag meldete Kreta einen Verdachtsfall bei einem 14 Monate alten Buben, Singapur zuvor einen Hepatitis-Verdachtsfalls bei einem erst zehn Monate alten Buben.
In Großbritannien stieg die Zahl der erkrankten Kinder Ende der Woche auf 145 und damit die Besorgnis über die mysteriöse Zunahme der Fälle. Die britische Gesundheitsbehörde gab einen Anstieg um 34 Fälle bekannt und erklärte, dass sich die meisten Kinder erholt hätten und kein Kind gestorben sei. Die Zahl der zehn Kinder, die eine Lebertransplantation benötigten, ist nicht gestiegen.
Die Europäische Union hatte am Donnerstagabend ihre Zusammenfassung veröffentlicht, in dem auch erstmals Informationen zu den betroffenen, österreichischen Kindern bekannt gegeben wurden.
Alle Theorien sollen überprüft werden
Das Alter der beiden österreichischen Kinder liegt unter zehn Jahren: Eines wurde negativ auf Adenoviren getestet, beide hatten eine Covid-19-Infektion hinter sich. Zumindest ein Krankheitsverlauf eines Kindes begann im Februar 2022.
In diesem Bericht werden mehr als 200 Fälle weltweit angeführt, allerdings fehlen zahlreiche neue Fälle wie jene aus Großbritannien. (Den Bericht der Europäischen Union können Sie hier auf Englisch nachlesen)
Bisher erkrankten gesunde, immunstarke Kinder plötzlich an einer Leberentzündung, die häufig durch Viren verursacht wird. Betroffen sind Kinder im Alter von einem Monat bis 16 Jahren. Die meisten Fälle sind in Europa aufgetreten. Die ersten Fälle in Großbritannien wurden im Jänner gemeldet. In den USA trat der erste Fall bereits im Oktober in Alabama auf, wie erst vor Kurzem bekannt wurde.
In den meisten bisherigen Fällen ging dem Auftreten der Gelbsucht eine Magen-Darm-Erkrankung mit Erbrechen, Durchfall und Übelkeit voraus. Informationen über den Ausgang der Fälle werden derzeit noch gesammelt.
Das ECDC empfiehlt daher, die allgemein gute Hygienepraxis (einschließlich sorgfältiger Händehygiene, Reinigung und Desinfektion von Oberflächen) in Kindergärten und Schulen zu verstärken. Deirdre Kelly, pädiatrische Hepatologin am Birmingham Women's and Children's NHS Trust, ergänzte in Interviews mit britischen Medien: "Wie immer sollten Kinder, bei denen Symptome wie Erbrechen und Durchfall auftreten, zu Hause bleiben und erst 48 Stunden nach Abklingen der Symptome in die Schule oder den Kindergarten zurückkehren."
Proben von symptomatischen Kindern sollten frühzeitig nach Auftreten der Symptome auf Adenoviren sowie auf andere Viren, die Hepatitis verursachen können, untersucht werden, so die oberste Gesundheitsbehörde der Europäischen Union.
Wie der KURIER ausführlich berichtete, sind Wissenschafter weltweit mit der Aufklärung beschäftigt. Derzeit gibt es nur Spekulationen über die Ursache. Sowohl Adenoviren als auch SARS-CoV-2 sowie ein Zusammenspiel beider steht im Mittelpunkt der Untersuchungen.
Experten-Streit explodiert in sozialen Netzwerken
Nicht bei allen dokumentierten Fällen konnten Adeno- oder Covid-19-Infektionen nachgewiesen werden, zudem konnte nur ein Teil der Adenoviren genomsequenziert werden. Aus Großbritannien hieß es, dass die Proben teilweise in qualitativ schlechtem Zustand seien, auch erforderen die Genomsequenzierungen Zeit. Bei jenen Patienten, bei denen Adenoviren sequenziert werden konnten, handelte es sich mehrheitlich um eine Variante, die sonst keine Hepatitis auslöst.
In den sozialen Netzwerken mehren sich die Stimmen von Ärzten und Wissenschaftern, die befürchten, Gesundheitsbehörden wie CDC und ECDC würden sich zu sehr auf Adenoviren bei ihrer Spurensuche konzentrieren. Befürchtet wird von den Kritikern, dass andere potenzielle Verursacher - wie SARS-CoV-2 - durch das Überbetonen zu wenig untersucht werden würden.
Der kalifornische Gastroenterologe Farid Jalali sorgte mit seinem Erklärstück über Leberversagen auf Twitter für internationales Aufsehen - er bekam viel Applaus, aber auch einige Gegenstimmen.
Die Schlussfolgerungen des US-Arztes sind mit rund 2.800 Retweets viral gegangen. Er erklärte allgemein: "Adenoviren sind Viren, die bei gesunden Kindern selbstlimitierte Infektionen der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts oder der Bindehaut verursachen. Schwere Adenoviren-bedingte Manifestationen wie akutes Leberversagen und Tod werden bei gesunden Wirten mit einem kompetenten Immunsystem nicht beobachtet."
Im Gegensatz dazu könnten Adenoviren bei Patienten mit schwerer Immunschwäche (z. B. Organtransplantation, Chemotherapie) eine schwere Erkrankung (akutes Leberversagen) verursachen.
Adenoviren umfassen die Serogruppen A-G und viele Serotypen: "Typ 41, der als Verursacher des jüngsten Leberversagens bei Kindern propagiert wird, verursacht Gastroenteritis, wird aber nicht mit Hepatitis in Verbindung gebracht", so der Experte. Eine Infektion mit diesen Viren ist bei Kindern sehr häufig: Mittels PCR-Test können Adenoviren in bis zu 11 Prozent der gesunden, asymptomatischen Kinder aus Rachenproben nachgewiesen, besonders häufig in den Mandeln von Kindern.
"Außerdem ist gut beschrieben, dass Adenoviren bei 30 Prozent der immunkompetenten Kindern nach einer Erstinfektion über Monate bis Jahre verharrt. Diese Persistenz scheint mit dem Alter abzunehmen, wenn die Kinder erwachsen werden."
Daher sei der Nachweis in Rachenproben von Kindern mit empfindlichen PCR-Methoden nicht unbedingt ein Beweis für das Vorhandensein einer Krankheit oder die Kausalität durch Adenoviren.
Was das bedeutet? "Der Nachweis von Adenoviren mittels PCR bei Kindern kann fälschlicherweise Adenoviren als Ursache einer Krankheit verantwortlich machen, für die der Arzt möglicherweise keine andere Erklärung hat."
Adenoviren sind jahrelang nachweisbar
Es gebe Beweise dafür, dass Adenoviren in den Schleimhaut-Lymphozyten von Kindern jahrelang persistiert und sich vermehrt. Zu den betroffenen Schleimhaut-Lymphozyten gehören beispielsweise die Lymphozyten in den vergrößerten Rachenmandeln, Mandeln und der Darmschleimhaut.
Auch dass Adenoviren im Darm verharren können nach einer leichten oder sogar asymptomatischen Infektion der oberen Atemwege, ist bei Säuglingen und Kindern gut dokumentiert, so der Mediziner. Bei bis zu 15 Prozent der Adenovirus-Infizierten wurde festgestellt, dass sie nach der Erstinfektion über einen Zeitraum von drei Monaten bis zu einem Jahr Adenoviren im Stuhl ausschieden. Bei etwa einem Drittel dieser Fälle wurde das Virus sogar noch länger ausgeschieden.
Jalali: "Der PCR-Nachweis von Adenoviren aus solchen Reservoiren ist nicht ein Hinweis auf eine durch Adenoviren verursachte Krankheit. Es handelt sich lediglich um den Nachweis einer bekannten viralen Persistenz bei Kindern."
In den letzten vier Jahrzehnten wurden in der Fachliteratur etwas mehr als 100 Einzelfälle von Adenovirus-Hepatitis beschrieben. Eine Studie der Elite-Uni Stanford beschreibt Hepatits-Fälle bei acht schwer immungeschwächten Kindern (etwa durch eine Chemotherapie): "All diese Fälle wiesen Adenoviruseinschlüsse in Leberzellen auf." Und weiters: "Die Typen 2 und 5 waren die am häufigsten isolierten Typen bei akutem Leberversagen und machten 72 Prozent dieser Fälle aus. Bei meiner Suche habe ich keinen bekannten Fallbericht gefunden, in dem Typ 41 akutes Leberversagen verursacht hat."
Ergebnisse der Leber-Biopsien widersprechen Fachliteratur
Nachdem bei den kleinen US-Patienten in Alabama alle üblichen infektiösen und stoffwechselbedingten Ursachen für akutes Leberversagen ausgeschlossen worden waren, wurden gemäß den Routineprotokollen Leberbiopsien durchgeführt, wie dies in allen derartigen Fällen üblich ist.
Bei sechs von neun Kindern wurden Leberbiopsien durchgeführt.
Anders als aus der Fachliteratur bekannt wies keines der erkrankten Kinder laut der Alabama-Fallstudie Adenoviruseinschlüsse im Lebergewebe auf. Der Fachexperte forderte daher mehr Informationen seitens der amerikanischen und britischen Behörden ein: Nämlich Daten, woher die Adenoviren-Proben stammten, sind zum Beispiel nicht bekannt.
Und obwohl der Nachweis von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 extrem einfach ist, fehlen diese Daten in dem Bericht des Vereinigten Königreichs, so der Experte.
"Es ist zutiefst peinlich, dass wichtige wissenschaftliche Einrichtungen in den USA und im Vereinigten Königreich solch schwache Indizien verwenden, um die öffentliche Wahrnehmung von der wahrscheinlichen Möglichkeit abzulenken, dass die jüngste SARS-CoV-2-Infektion die Ursache für den Anstieg der Fälle von akutem Leberversagen sein könnte."
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