Sie gelten als revolutionär und als medizinische Sensation: Die neuen Abnehmmedikamente, mit denen man innerhalb eines Jahres bis zu einem Viertel seines Körpergewichts verlieren kann, haben einen Hype ausgelöst, der nach wie vor anhält. Das renommierte Fachmagazin Science kürte die Mittel 2023 gar zum „wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres“.
„Bislang gab es kaum medikamentöse Interventionsmöglichkeiten bei Menschen mit Adipositas. Die einzigen wirklich effektiven Therapien waren chirurgische Eingriffe, wie etwa Magenverkleinerungen oder der Magen-Bypass, mit denen solche Gewichtsverluste auch langfristig erzielt werden konnten. Das hat sich jetzt geändert“, sagt der Präsident der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Florian Kiefer.
Neben chirurgischen Eingriffen sind die Medikamente, die ein beinahe normales Hunger- und Sättigungsverhalten wiederherstellen können, für Menschen mit Adipositas oft die letzte Hoffnung nach zahlreichen erfolglosen Abnehmversuchen. Und sie sind insbesondere für jene notwendig, die bereits unter Folgeerkrankungen wie Diabetes, Gelenkserkrankungen oder Herz-Kreislaufbeschwerden leiden. Ursprünglich wurde Ozempic aber für eine andere Patientengruppe entwickelt:
Der Wirkstoff Semaglutid senkt den Blutzuckerspiegel bei Diabetes Typ 2, indem er ein Darmhormon nachahmt, das Glucagon-like Petpide-1 (kurz GLP-1). Dieses spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Glukosestoffwechsels. Gleichzeitig reguliert es den Appetit – das Sättigungsgefühl wird erhöht, man isst weniger und nimmt so ab. Es zeigte sich, dass die Patienten nicht nur Diabetes in den Griff bekamen, sondern auch deutlich an Gewicht verloren.
Promis machten es vor
Für Schlagzeilen sorgte das Medikament, als Prominente wie Elon Musk oder Kim Kardashian vor etwa zwei Jahren erstmals öffentlich darüber sprachen, die Spritze entgegen ihrer eigentlichen Zulassung zur Gewichtsabnahme zu nutzen. Auch einige andere Stars nahmen in kurzer Zeit stark an Gewicht ab, die Wirkweise von Ozempic wurde immer bekannter. Die Folge waren Liefer- und Versorgungsengpässe, die aufgrund einer ungebrochen hohen Nachfrage zum Teil bis heute anhalten, auch wenn es inzwischen mehrere Präparate gibt.
Ozempic-Hersteller Novo Nordisk, ein dänisches Pharmaunternehmen, erhielt zudem die EU-Zulassung für Wegovy, das ebenfalls den Wirkstoff Semaglutid enthält, aber zur Gewichtsabnahme für Menschen mit Adipositas entwickelt wurde, das heißt ab einem Body Mass Index (BMI) von 30 kg/m². Bestehen bereits Zusatzerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann das Medikament ab einem BMI von 27 kg/m² eingesetzt werden.
„Bei aller Euphorie, die natürlich zum Teil berechtigt ist, muss man trotzdem vorsichtig sein. Dadurch, dass sich viele Influencer und Prominente öffentlich dazu geäußert haben, wurden diese Medikamente auch von Menschen eingesetzt, die sie eigentlich nicht benötigen“, betont Kiefer. Die Mittel seien nicht für jene, die ein paar überschüssige Kilos für die Bikinifigur verlieren möchten, sondern für Menschen mit Übergewicht und Adipositas, um gesundheitliche Probleme zu reduzieren oder ihnen vorzubeugen, sagt Kiefer. Auch die Hersteller betonen, dass die Medikamente nicht für die kosmetische Gewichtsabnahme zugelassen sind.
In Österreich wird Wegovy nach wie vor nicht von Novo Nordisk angeboten. An einer Markteinführung werde gearbeitet, ein genaues Datum steht dafür aber noch nicht fest, heißt es vonseiten des Unternehmens. Seit November 2023 wird das Präparat aber von Importfirmen in anderen EU-Ländern eingekauft und hierzulande vertrieben. Am Markt erhältlich ist zudem Saxenda, ein weiteres Abnehmpräparat von Novo Nordisk, das den Wirkstoff Liraglutid enthält. Auch Liraglutid ist ein GLP-1-Rezeptor-Agonist und führt laut Studien zu einem Gewichtsverlust von bis zu neun Prozent in einem Jahr.
Seit Juni ist zudem das Präparat Mounjaro mit dem Wirkstoff Tirzepatid vom Hersteller Eli Lilly erhältlich. Es gilt als das potenteste der bisherigen Abnehmmedikamente und ist auch zur Diabetesbehandlung zugelassen. „Mounjaro enthält mit dem nachgeahmten GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid, Anm.) neben GLP-1 ein zweites Darmhormon und ist damit deutlich potenter. Studien haben gezeigt, dass Patienten bis zu einem Viertel ihres Körpergewichts abnehmen können“, sagt Internistin Priv.-Doz. Dr. Johanna Brix, Leiterin der Adipositasambulanz der Klinik Landstraße in Wien.
Kosten von bis zu 540 Euro pro Monat
Der Preis für die Medikamente ist jedoch hoch: Bis zu rund 540 Euro monatlich kosten die Injektionen je nach Dosis, die bei Wegovy und Mounjaro einmal wöchentlich, bei Saxenda einmal täglich verabreicht werden. Die meisten seien bereit, die Beträge zu bezahlen, auch jene, die nicht viel Geld haben. „Was manche unterschätzen, ist der große Leidensdruck Betroffener. Die meisten haben schon sehr viel versucht. Generell erleben wir bei Adipositas eine ganz massive Zweiklassenmedizin – es gibt kaum Kassenärzte, die sich mit Adipositas befassen, bei Adipositasambulanzen bestehen teilweise Wartezeiten von einem Jahr und auch viele begleitende Therapien wie Diätologie, Physiotherapie oder psychotherapeutische Leistungen kosten“, betont Brix. Die Medikamente sind immer nur in Kombination mit Lebensstilmaßnahmen zugelassen.
Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Abnehmmedikamente erst seit kurzem und nur in ausgewählten Fällen, etwa für Saxenda für adipöse Jugendliche für ein bis zwei Jahre– bis auf Mounjaro sind die bisherigen Abnehmmedikamente ab 12 Jahren zugelassen. Auch für jüngere Kinder sei künftig ein Einsatz denkbar, meint Kiefer. Erste Studien laufen dazu. Hierbei brauche es noch mehr als bei Erwachsenen eine strenge medizinische Beobachtung an einem Adipositaszentrum. Für Erwachsene werden die Kosten der Medikamente derzeit für ein Jahr erstattet, sofern sie sich einer bariatrischen Operation, einem chirurgischen Eingriff zur Behandlung von Fettleibigkeit, unterziehen – mit dem Ziel, über ein verringertes Gewicht die Operationsrisiken zu senken.
Für Diabetespatienten mit bestimmten Zusatzindikationen werden die Kosten von Ozempic übernommen. Eli Lilly hat für Mounjaro einen Antrag auf Erstattung der Kosten eingereicht, wie dieser beurteilt wird, sei Gegenstand eines laufenden Verfahrens, heißt es vom Dachverband der Sozialversicherungsträger.
Die Nachfrage ist jedenfalls groß. Viele stoßen im Internet auf vermeintliche Angebote der Medikamente, immer wieder gibt es Berichte von Fälschungen, auch in Österreich. Eine US-Erhebung zeigt, dass jeder Vierte bereit wäre, die Medikamente ohne Rezept, das heißt auch ohne ärztliche Begleitung, zu nutzen. Die Nebenwirkungen – bei fast allen kommt es in der Anfangszeit der Einnahme zu Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung und Durchfall – nehmen viele in Kauf.
Folgekosten können reduziert werden
„Wir als Adipositasgesellschaft setzen uns für einen sozial gerechten Zugang zu einer leitliniengerechten Adipositastherapie ein. Das gilt aber nicht nur für die medikamentöse oder chirurgische Therapie, auch der Zugang zu Programmen zu Lebensstilintervention, diätologische Beratung sowie Bewegungs- und Verhaltenstherapie muss erleichtert werden. Langfristig kann man sich sehr viele Folgekosten ersparen“, so Kiefer.
Insbesondere Kinder und Jugendliche, die im Schulalter adipös sind, hätten eine 80- bis 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass dies auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Kiefer: „Eine frühe Intervention ist extrem wichtig. Es wird immer herausfordernder, Übergewicht oder Adipositas erst gar nicht zu entwickeln, dazu zählen unter anderem Faktoren wie das Überangebot energiedichter Nahrung, omnipräsente Werbung für ungesunde Lebensmittel oder Bewegungsmangel.“
Vielen sei außerdem nicht klar, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist, die oft ein lebenslanges Management erfordert. Auch die Abnehmmedikamente müssen voraussichtlich langfristig eingenommen werden. „Setzt man die Medikamente ab, hat man dasselbe Heißhungergefühl und das fehlende Sättigungsgefühl wie zuvor. Der Körper wird versuchen, wieder auf das Gewicht, das man einmal hatte, zu kommen“, erklärt Brix. Mit einer angepassten Dosis kann man das reduzierte Gewicht aber halten.
"Kontinuierliche Therapie ist nötig"
Die Ursache dafür ist evolutionsbedingt: Unseren Körpern ist eingeprägt, dass Gewichtsverlust lebensbedrohlich sein kann. Sobald man mit gewichtsreduzierenden Maßnahmen aufhört, arbeitet der Körper daran, Fettreserven einzulagern. Jeder, der Diäten hinter sich hat, kennt diesen Jo-Jo-Effekt. Sich dagegen zu wehren, sei sehr schwer, meint Brix. „Man muss sich klar sein, dass man nicht für eine gewisse Zeit ein Medikament nimmt und dann ist man schlank. Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die eine langfristige, begleitende Therapie braucht. Man kann zwar die Dosis reduzieren oder vorübergehend pausieren, aber je nach Ausmaß der Adipositas ist eine kontinuierliche Therapie nötig.“
Einige Pharmahersteller forschen daher mit Nachdruck an weiteren Medikamenten oder Darreichungsformen, was langfristig auch die Kosten senken könnte. Novo Nordisk und Eli Lilly arbeiten etwa an einer leicht einzunehmenden Abnehmpille. Bis zur Zulassung wird es aber noch einige Zeit dauern.
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