Kalorienzählen, Paleo-Ernährung, Low Carb, High Carb, „Friss die Hälfte“ – die Liste der Diäten, die Serdar Deniz in seinem Leben schon ausprobiert hat, ist lang. Funktioniert haben die wenigsten. Der 37-Jährige ist seit seiner Jugend adipös, im Februar 2023 wiegt er 125 Kilogramm.
Dann erfährt der Podcast-Produzent von seinem Hausarzt von einem neuen Medikament: der Abnehmspritze Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid. Sie soll nicht nur gegen Serdars Typ-2-Diabetes helfen – sondern auch beim Abnehmen. Zunächst ist er skeptisch. „Es wurde mir als die Wunderwaffe schlechthin gegen die Kilos präsentiert und ich fand es seltsam, dass ich noch nie zuvor davon gehört hatte.“ Trotzdem will er es versuchen – und spritzt sich kurz darauf zum ersten Mal 0,25 mg Semaglutid in den Bauch.
Auch Carina hat schon viele Abnehmversuche hinter sich. Seit ihren Schwangerschaften kämpft die Wienerin, die eigentlich anders heißt, mit Übergewicht. Dann erfährt sie im März 2023 vom Hype um ein neues Schlankheitsmittel. „Eine Freundin von mir ist Diabetikerin und hat mir von einer neuen Abnehmspritze erzählt“, erinnert sie sich.
Carina ist neugierig und spricht mit einer befreundeten Kardiologin, die ihr schließlich Ozempic zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschreibt. Die Kosten von rund 150 Euro im Monat muss Carina, die keine Diabetikerin ist, selbst tragen.
Rasante Gewichtsabnahme
Doch es lohnt sich: Die 43-Jährige verliert mit der Spritze schnell Kilos, insgesamt rund 22 Prozent ihres Körpergewichts. Wog sie im März 2023 noch 113 Kilo sind es elf Monate später nur noch 88 Kilo. Nebenwirkungen wie die gefürchtete Übelkeit, Erbrechen oder Verdauungsstörungen bleiben aus. Nur der Hunger wird gezügelt: Durch die Spritzen isst Carina deutlich weniger als früher, hat keinen Appetit mehr auf süße oder salzige Naschereien.
Auch Alkohol trinkt sie kaum noch. „Ich habe generell schon immer gerne gesund gegessen. Aber mit der Spritze hatte ich überhaupt kein Bedürfnis mehr nach ungesunden Sachen. Wenn es bei der Arbeit oder auf Partys Mehlspeisen oder Snacks gab, habe ich nicht zugegriffen“, sagt sie. „Ich fühlte mich insgesamt viel besser.“
Carina ist froh. Unter ihrem Gewicht habe sie viele Jahre stark gelitten, sagt sie. „Es ist natürlich eine Belastung für den Körper, zum Beispiel für die Gelenke und die Beweglichkeit. Aber auch für die Psyche. Menschen, die nicht übergewichtig sind, können sich das gar nicht vorstellen. Eine Essstörung begleitet einen immer, jeder Lebensbereich ist betroffen, zum Beispiel die Kleidung. Ich habe das gekauft, was mir halbwegs passte. Der Aufwand war enorm – und die Kosten waren hoch. Endlich Gewand kaufen zu können, das mir wirklich gefällt, war eine unglaubliche Erleichterung.“
Heißhunger kehrt schnell zurück
Auch Serdar verliert nach den ersten Spritzen schnell etwas Gewicht, pro Monat im Schnitt ein Kilo. Aber der große Sprung bleibt bei ihm aus. Nach wenigen Wochen merkt er, dass sich sein Körper an die Spritze gewöhnt hat. „Ich bekam wieder Foodnoise, also das ständige Bedürfnis nach etwas Süßem oder Salzigem zu greifen.“ Er ist enttäuscht: „Ich habe online gesehen, dass Leute mit den Medikamenten mehr abgenommen haben. Ich habe zum Beispiel jemanden kennengelernt, der mit Mounjaro 30 Kilogramm verloren hat. Ich hatte die Hoffnung, dass es mehr wird.“
Aus Frust beginnt Serdar, der mittlerweile unter ärztlicher Aufsicht auf 1 mg Semaglutid erhöht hat, die Dosierung ohne Rücksprache mit seinen Ärzten auf 2 mg zu verdoppeln. Und tatsächlich: Mit der höheren Dosis nimmt der Effekt wieder Fahrt auf.
„Das hat mir Angst gemacht, und ich habe beschlossen, mir das Medikament nicht mehr zu spritzen. Denn muss ich dann irgendwann auf zwei Milligramm erhöhen und dann auf vier? Das wollte ich meinem Körper nicht antun.“
Die große Enttäuschung
Nach einigen Monaten der Anwendung kommt auch bei Carina die Ernüchterung. Der Gewichtsverlust hört auf: „Ab 88 Kilo habe ich einfach kein Gewicht mehr verloren.“ Hinzu kommen Probleme mit der Verfügbarkeit. Immer wieder muss die Lehrerin auf Ersatzmedikamente zurückgreifen, weil Ozempic in Österreich nicht erhältlich ist. Dann fällt sie ganz aus dem achtwöchigen Vorbestellmodus. Im Februar 2024 setzt sie deshalb die Spritze ab, „nicht schleichend, wie es empfohlen wird, sondern radikal“.
Ganz losgelassen hat sie das Thema seitdem nie. Sie informiert sich über Wirkstoffe, verfolgt die Versorgungslage in Österreich genau: „Ich weiß, dass die Verfügbarkeit hierzulande inzwischen besser ist“, sagt sie. Trotzdem will sie es vorerst ohne medikamentöse Hilfe versuchen. Auch weil sie Angst vor Langzeitfolgen hat: „Ich lese mir viele Studien dazu durch und habe Angst, dass die Schilddrüse belastet wird.“
Seit sie keine Medikamente mehr spritzt, hat sie im Schnitt 750 Gramm pro Monat zugenommen, insgesamt rund acht Kilo. „Ich merke, dass das Gewand wieder eng wird, aber ich schaue mal, wie gut ich mit meiner Proteindiät zurecht komme. Wenn das nicht funktioniert, werde ich wieder zur Diätspritze greifen“, ist sie sich sicher. „Vielleicht beginnt der Gewichtsverlust ja auch wieder, wenn ich später wieder damit anfange.“ Heute hat Carina 30 Kilo Übergewicht.
Absetzen war wie ein Entzug
Serdar schleicht die Spritze in Rücksprache mit seiner Ärztin im Februar 2024, elf Monate und zehn Kilo weniger nach der ersten Dosis, aus. „Sie meinte, irgendwann kann man zu einem sogenannten Non Responder (Personen, die nicht darauf ansprechen, Anm.) werden. Und für mich war klar: Ich möchte mich nicht mein Leben lang davon abhängig machen.“
Das erste Monat danach beschreibt er als Entzug. „Ich bin hibbeliger geworden, konnte mich nur schwer konzentrieren.“ Sein Gewicht bleibt konstant, doch nach einem halben Jahr verschlechtern sich seine Blutzuckerwerte. „Also haben meine Ärzte und ich beschlossen, ein neues Medikament zu probieren.“ Im Juli 2024 beginnt Serdar, sich wöchentlich 3 mg des Wirkstoffs Tirzepatid, unter dem Handelsnamen Mounjaro zu spritzen. „Nach der ersten Spritze habe ich innerhalb von Sekunden bemerkt, dass in meinem Körper etwas passiert“, erinnert er sich. „Das Foodnoise war sofort weg. Es war, als würde jemand auf einen Topf mit kochendem Wasser einen Deckel legen.“
Neuer Wirkstoff, neue Dosis
Doch rasch muss Serdar auch hier die Dosis anpassen. Als er das Medikament wegen Lieferengpässen vor rund zwei Monaten absetzt, ist er bei 12 mg pro Woche angelangt. Sein Gewicht bleibt während der Einnahme relativ konstant. Ob er das Medikament – wenn es erneut verfügbar ist – wieder nehmen möchte, lässt der Wahl-Berliner offen. „Mein Körper kennt das Muster schon von Ozempic. Der Effekt ist für mich zu gering. Außerdem wissen wir noch nicht, wie es mit Langzeitwirkungen aussieht.“ Seinen Stoffwechsel beobachtet er laufend.
Aktuell wiegt Serdar 114,5 Kilogramm. Sein großes Ziel: Er will ein UHU werden, also unter die 100-Kilo-Gewichtsgrenze kommen – langfristig mit einem gesünderen Lebensstil und mehr Bewegung. „Es war schwer, erkennen zu müssen, dass es länger dauert, seine Ziele zu erreichen – und man dafür manchmal in den sauren Apfel beißen muss.“ Auch wenn der große Gewichtsverlust ausgeblieben ist, blickt er positiv auf seine Erfahrung: „Ich konnte mir einen gesunden Lebensstil aufbauen und feststellen, an welchen Schrauben ich drehen kann, um das Suchtverhalten zum Essen zu verbessern. Das war für mich der weitaus größere Benefit.“
Auf Instagram und in seinem Podcast "FettUcation" spricht Serdar über seine Abnehmreise.
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