KURIER: Bald nachdem die Abnehmspritzen aufgekommen sind, waren sie bereits vergriffen. Sind sie derzeit verfügbar?
Brigitte Obermayer: Sie sind nach wie vor sehr gefragt. Aktuell hat sich die Verfügbarkeit etwas gebessert. Ozempic ist weiterhin vergriffen und hat die Problematik, dass es eigentlich für Diabetiker zugelassen ist und nicht zur Gewichtsreduktion. Daher sollten behandelnde Ärzte etwas zurückhaltend sein, wenn Patienten keinen hohen BMI haben und auch nicht Diabetiker sind. Was wir nicht wollen, ist, dass die Diabetestherapie durch eine geringe Verfügbarkeit von Medikamenten behindert wird. Man kann aber sagen, dass die Mittel, insbesondere Saxenda, jetzt wieder besser in Österreich verfügbar sind. Wegovy ist nach wie vor noch nicht in Österreich auf dem Markt.
Haben chirurgische Eingriffe durch die Spritzen abgenommen?
Brigitte Obermayer: Bei uns im Adipositas-Zentrum haben sie sogar zugenommen. Wir hatten 2023 knapp 200 bariatrische Eingriffe. Bariatrische Operationen werden nach internationalem Standard ab einem BMI von 35 von der Krankenkasse bewilligt, wenn Zusatzerkrankungen vorliegen. Ab einem BMI von 40 auch ohne Zusatzerkrankungen. Diese Richtlinie wird derzeit überarbeitet und wahrscheinlich um fünf BMI-Einheiten herabgesetzt. Generell sollte die Adipositaschirurgie der letzte Ausweg sein, wenn alles andere versagt hat.
Zum Beispiel die Abnehmspritze? Ist sie besser?
Das kann man so nicht sagen. Man weiß, dass man mit der Abnehmspritze auf lange Sicht bis zu 20 Prozent des Übergewichts abnehmen kann. Bei den chirurgischen Eingriffen sind es bis zu 80 Prozent. Der Eingriff ist radikaler und härter als die Spritzen, weil man nach der Operation nicht mehr viel auf einmal essen kann, die Verdauungsstrecke ist verkürzt. Die Ernährung muss auf vier kleine, eiweißreiche Mahlzeiten umgestellt werden. Zudem muss man ein Leben lang Multivitamin-Präparate nehmen, Kalzium und Vitamin D, um die Aufnahme für den Körper zu erleichtern. Derzeit bekommen die Abnehmspritze eher jene, die kein extremes Übergewicht haben. Sie funktioniert am Anfang gut, langfristig allerdings nur mit Ernährungsumstellung. Die Patienten müssen es schaffen, ihren Lebenswandel zu ändern, sonst kommt es sofort zu einem Jo-Jo-Effekt, wenn sie mit den Medikamenten aufhören. Vor allem bei einem sehr hohen BMI ist es schwierig nur mit den Spritzen dauerhaft abzunehmen.
Magenverkleinerungen sind große Eingriffe.
Es ist keine lockere Variante für Menschen, die sagen, ich bin dick, okay, ich lasse mich operieren. Man muss auf die Folgen des Eingriffs Rücksicht nehmen und es braucht eine sehr gute medizinische und psychologische Begleitung. Als Chirurgin favorisiere ich dieses Vorgehen auf lange Sicht. Wenn ein Patient es schafft, mit anderen Methoden abzunehmen, ist das aber super.
Zögern Betroffene oft lange bis zu einem Eingriff?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Zu uns kommen primär Patienten, die schon entschlossen sind, dass sie eine Operation möchten. Nicht alle, aber der Großteil hat sich bereits entschieden. Viele haben eine lange Vorgeschichte mit Abnehmversuchen. Es gibt immer wieder Patienten, die es schaffen, 30, 40 Kilogramm gut abzunehmen, ohne Spritze, mit Bewegung und Ernährung. Aber häufig kommt es zu Rückfällen, sobald sie mit starken Maßnahmen aufhören, und das Gewicht geht relativ rasch wieder nach oben. Viele sind frustriert, wenn sie das zwei-, dreimal durchmachen.
Warum fällt das so schwer?
Der Körper ist evolutionsbedingt auf Gewichtszunahme programmiert, um Nahrungsengpässen entgegenzuwirken. Das erklärt auch den Jo-Jo-Effekt. Wenn ich zum Beispiel zehn Kilogramm gut abnehme und dann aufhöre mit gewichtsreduzierenden Maßnahmen, arbeitet der Körper richtiggehend daran, das Gewicht wieder aufzubauen.
Warum ist die psychologische Begleitung so wichtig? Übertriebenes Essen hat für die Patienten meist eine Funktion. Einige haben traumatische Erfahrungen gemacht, in manchen Fällen liegt eine Depression vor. Es gibt Studien, die zeigen, dass es zu Alkoholismus oder vereinzelt zu Suizidalität kommen kann. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man die Patienten begleitet und rechtzeitig abholt. Eine bestehende Suchterkrankung ist zum Beispiel ein Ausschlussgrund für eine bariatrische Operation (z.B. die Magenverkleinerung, Anm.).
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