Die neuen Abnehmmedikamente, die bei krankhaftem Übergewicht (Adipositas) helfen, sind so begehrt, dass es bereits Lieferengpässe gibt. Obwohl sie privat gezahlt werden müssen, häufig Nebenwirkungen auftreten und man sie sich selbst spritzen muss, ist die Nachfrage groß. Wer sie bekommt, wie sie wirken und warum uns Prävention nicht erspart bleibt, beantwortet die Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, Johanna Brix.
KURIER: Frau Dr. Brix, kann man bei der „Abnehmspritze“ von einer Revolution im Bereich der Gewichtsreduktion sprechen?
Johanna Brix: Ja, ich glaube nicht, dass das übertrieben ist. Wir haben erstmals Medikamente, wo wir von zahlreichen Studien wissen, dass sie sicher und effektiv sind, solange man sie einnimmt. Sie ermöglichen, Gewicht abzunehmen und gleichzeitig Risikofaktoren wie hohen Blutzucker, Blutdruck und Blutfette zu senken. Die Medikamente werden seit ca. 10 Jahren erfolgreich bei Diabetes eingesetzt. Es konnte gezeigt werden, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen senken. Man hat dann bemerkt, dass sie auch für den Gewichtsverlust bei Menschen ohne Diabetes sicher eingesetzt werden können.
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Frühere Medikamente setzten im Gehirn an, die jetzigen ahmen ein Darmhormon nach.
Die derzeit zugelassenen Medikamente entsprechen dem Darmhormon GLP-1, Anfang 2024 wird Tirzepatid zur Adipositastherapie zugelassen werden, dieses ahmt die Wirkung von GLP-1 und GIP, einem weiteren Darmhormon, nach und ist noch potenter. Mit den derzeitigen Wirkstoffen Semaglutid und Liraglutid kann man bis zu 15 Prozent des Körpergewichts abnehmen. Mit Tirzepatid kommen wir auf 20 bis 25 Prozent. Menschen mit Adipositas benötigen vermutlich höhere Konzentrationen dieser Hormone im Vergleich zu schlanken Menschen. Die GLP-1-Rezeptorantagonisten setzen hier an – sie wirken positiv auf den Stoffwechsel, auf die Magenentleerung und sorgen für ein längeres Sättigungsgefühl.
Warum reichen Diäten und Lebensstilveränderungen nicht aus?
Menschen, die Diäten hinter sich haben, wissen, dass das Gewicht runter- aber auch wieder raufgeht und dass sich der Körper massiv dagegen wehrt, abzunehmen. Es hat sich im Lauf der Evolution im Körper eingeprägt, dass es schlecht ist, Gewicht zu verlieren. Hier helfen diese Medikamente. Ohne Veränderung des Lebensstils geht es aber nicht, das muss man schon ehrlich sagen. Das sind ja keine Wundermittel. Sie helfen, weniger zu essen, aber es sollte – von Diätologen begleitet – der Lebensstil geändert werden.
Wer erhält das Medikament?
Das Kriterium ist die Erkrankung Adipositas. Bis zu 20 Prozent der Menschen in Österreich sind adipös, definiert über einen Body Mass Index von über 30 kg/m2 oder ein BMI über 27 kg/m2 verbunden mit einer Erkrankung, die mit der Adipositas in Zusammenhang steht und für die ein Gewichtsverlust von Vorteil wäre. Das wären zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, Gelenkserkrankungen. Wer das Mittel lediglich nutzen möchte, weil ihn stört, dass etwas Bauch über die Badehose hängt, dem kann ich nur abraten. Es wäre eine missbräuchliche Verwendung und es muss klar sein, dass es dafür keine Studien gab.
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Das in Österreich verfügbare Mittel „Saxenda“ kostet für drei Wochen ca. 200 Euro und muss privat bezahlt werden. Warum ist das so teuer?
Prinzipiell sind die Menschen schon bereit, das zu zahlen, auch jene, die nicht so viel Geld haben. Was manche unterschätzt haben, ist der große Leidensdruck Betroffener. Die meisten haben schon sehr viel versucht. Von den Kosten haben wir eher das Problem, dass sie in Europa niedriger sind und die Hersteller lieber in Ländern verkaufen, wo die Preise höher sind und sich die hohen Entwicklungskosten amortisieren. Das muss man ganz klar so sagen. Momentan wird Adipositas von der Sozialversicherung nicht als Erkrankung anerkannt. Sie steht auf einer Negativliste, wo zum Beispiel Therapien für Impotenz oder Haarausfall zu finden sind. Das ist ein Problem.
Braucht es tatsächlich eine lebenslange Einnahme der Medikamente?
Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Ich kann damit aufhören und versuchen, dass ich mit dem, was ich gelernt habe, etwa, wie viel ich essen darf, ohne Medikament zurechtkomme. Mir muss aber klar sein, dass ich wahrscheinlich wieder zunehme und dass ich nach einer gewissen Zeit wieder auf das Medikament zurückgreife. Ich verstehe, dass nicht jeder gerne Medikamente verwendet, aber es ist so wie mit den Diäten. Man kann auch keine Diät machen und sagen jetzt habe ich abgenommen und bleibe für immer schlank. Das hat noch nie funktioniert. Es wird zudem an einer Tablettenform gearbeitet.
Ein Thema sind Nebenwirkungen. Bei vielen treten Magen-Darm-Probleme auf. In den USA und in Island wurden Fälle berichtet, wo es zu Selbstmordgedanken kam.
Von den GLP1-Rezeptor-Antagnoisten kenne ich das so nicht. Was wir aber wissen ist, dass wir nach bariatrischen Operationen erhöhte Selbstmordraten sehen, die offensichtlich eher mit dem Gewichtsverlust und was er für mich bedeutet, zusammenhängen. Bei dem Medikament selbst von seiner Wirkweise her schließe ich einen Zusammenhang aus. Immer wieder geistert auch herum, dass Schilddrüsenkarzinome auftreten können. Das wurde in Tierstudien mit deutlich erhöhten Konzentrationen dieser Medikamente gezeigt. Das wird man beobachten müssen, aber da gibt es bei Menschen keine wirklichen Hinweise.
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Werden chirurgische Eingriffe wie Magenband oder -bypass auf lange Sicht ersetzt?
Ich denke, dass sie nicht ganz ersetzt werden, sondern dass sich die Indikation in Richtung höherer Gewichtskategorien verschiebt. Die schwer adipösen Patientinnen und Patienten werden nach wie vor die bariatrische Chirurgie brauchen und davon profitieren. Aber im niedriger-adipösen Bereich sind die Medikamente eine sehr, sehr gute Möglichkeit.
Wenn es mit den Medikamenten gut gelingt abzunehmen, braucht es dann überhaupt noch Prävention?
Ja! Natürlich ist Prävention das Um und Auf. Wir reden schon so lange über die tägliche Turnstunde und es weiß jeder, dass es eigentlich – plakativ gesagt – im Mutterleib mit der Ernährung der schwangeren Frau beginnen muss. Natürlich muss man in den Schulen und Kindergärten Freude an Bewegung wecken. Die Medikamente sind nur eine weitere Säule, wir müssen jene behandeln, die jetzt betroffen sind und wir sollten dafür sorgen, dass die Kurve mit den Adipositaszahlen nicht weiterhin stark nach oben geht, weil das auch unglaubliche Kosten für unser Gesundheitssystem darstellt.
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