Wer die Abnehmspritze nutzt, muss neben hohen Kosten – das in Österreich verfügbare Mittel Saxenda kostet Betroffene für drei Wochen 200 Euro und muss langfristig gespritzt werden – auch mit Nebenwirkungen rechnen. In der Anfangszeit der Einnahme kommt es vor allem zu Magen-Darm-Problemen wie Erbrechen, Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall. In einer Studie hatten 74 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wöchentlich 2,4 mg injizierbares Semaglutid erhielten, Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt.
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Fälle von Selbstmordgedanken
Jetzt sorgen neue Berichte über eine bisher nicht bekannte Nebenwirkung für Aufsehen: In Island wird von drei Fällen berichtet, bei denen Patienten nach Verabreichung des Abnehmmittels Selbstmordgedanken oder Selbstverletzungsgedanken hatten. Die isländische Gesundheitsbehörde meldete, dass zwei der Betroffenen das Mittel Ozempic verwendet hatten und Suizidgedanken entwickelten, eine Person nahm Saxenda ein – bei ihr kam es zu Gedanken an Selbstverletzung.
Die europäische Arzneimittelagentur EMA untersucht die unerwünschten Ereignisse derzeit. Novo Nordisk, die dänische Herstellerfirma von Ozempic, erklärte, dass die Sicherheit der Patientinnen und Patienten höchste Priorität habe und alle Meldungen über derartige Ereignisse sehr ernst genommen würden. Die eigene Sicherheitsüberwachung habe bislang keinen "kausalen Zusammenhang" zwischen den selbstverletzenden Gedanken und den Medikamenten festgestellt, hieß es in einer Stellungnahme.
USA geben Warnhinweis
Die Untersuchung der EMA konzentriert sich nun auf Arzneimittel, die entweder Semaglutid oder Liraglutid enthalten. Wegovy, von dem in Island keine derartigen Nebenwirkungen berichtet wurden, wird ebenfalls von Novo Nordisk hergestellt und enthält Semaglutid. Derzeit werden Selbstmordgedanken in den EU-Produktinformationen für beide Arzneimittel nicht als Nebenwirkung angeführt. In den USA empfehlen die Verschreibungsanweisungen für Wegovy allerdings, dass Patienten auf Selbstmordgedanken oder Selbstmordverhalten überwacht werden.
Laut dem öffentlichen Dashboard eines Reportingsystems der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA wurden seit 2018 mindestens 60 Berichte über Suizidgedanken von Patienten, die Semaglutid einnahmen, oder von ihren Gesundheitsdienstleistern gemeldet. Zudem wurden seit 2010 mindestens 70 solcher Berichte von Anwendern von Liraglutid oder ihren Gesundheitsdienstleistern verzeichnet. Bisher wurden die Informationen in diesen Berichten laut FDA aber nicht geprüft – ihre Existenz sei auch kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang.
Bei früheren Medikamenten gab es ähnliche Berichte
Laut FDA werde die Sicherheit von Arzneimitteln streng überwacht. Die Studien zu Wegovy deuteten nicht auf ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten hin. Der Hinweis in der Verschreibungsbeilage, der vor suizidalem Verhalten und Selbstmordgedanken warnt, sei deshalb gewählt worden, weil andere Medikamente zur Gewichtskontrolle mit derartigen Risiken verbunden seien.
Denn: Das Thema Selbstmordgedanken im Zusammenhang mit Medikamenten zur Gewichtsreduktion ist heikel. Bereits frühere Versuche der Pharmaindustrie, lukrative Medikamente zur Gewichtsreduktion zu entwickeln, scheiterten daran. Das Medikament Acomplia von Sanofi wurde 2008 in Europa zurückgezogen, nachdem es mit Selbstmordgedanken in Verbindung gebracht wurde. In den USA hatte es nie eine Zulassung erhalten. Das Medikament veränderte Teile des Nervensystems, die den Appetit regulieren. Auch einzelne andere Abnehmpillen, die in den USA zugelassen sind, haben Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Selbstmordgedanken.
Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöht?
Derzeit läuft zudem eine Untersuchung der EMA für alle GLP-1-Medikamente, nachdem sie in Verdacht gerieten, mit Schilddrüsenkrebs in Verbindung zu stehen. Diese Vermutung beruht auf Studien mit Nagetieren, bei denen es nach der Anwendung der Mittel zu einem erhöhten Risiko für Schilddrüsenkrebs kam. Unabhängig davon zeigte eine Analyse französischer Krankenkassendaten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs mit der Medikamentengruppe der GLP-1, was ebenfalls eine Untersuchung der EMA einleitete. Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.
Ein potenzielles Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs konnte ausgeschlossen werden – es wurde kein Kausalzusammenhang beim Menschen festgestellt, wie aus dem aktuellen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts hervorgeht.
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Möglich wäre, dass es nach den noch laufenden Untersuchungen der EMA zu einer Änderung der Warnhinweise für Abnehmmedikamente in der EU kommt. Die Medikamente sind mittlerweile so gefragt, dass es Lieferengpässe gibt. Zudem wird an einer Tablette gearbeitet, die deutlich einfacher einzunehmen wäre als die wöchentliche Spritze und die auch kostengünstiger wäre.
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