Ozempic, Saxenda: Selbstmordgedanken nach Abnehmmittel?
Ozempic, Wegovy und Saxenda – unter diesen drei Handelsnamen werden die sogenannten "Abnehmspritzen" derzeit weltweit verkauft. Sie sind allerdings so begehrt, dass nicht alle in allen Ländern verfügbar sind. In Österreich ist etwa nur Saxenda auf dem Markt. Der Unterschied der Medikamente liegt zum Teil in ihrem Wirkstoff sowie seiner Dosierung – Ozempic und Wegovy basieren auf dem Wirkstoff Semaglutid, Saxenda auf Liraglutid.
Allen gemeinsam ist, dass sie wöchentlich als Spritze verabreicht werden und innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Gewichtsreduktion führen. Zwar machten manche Promis wie Elon Musk öffentlich bekannt, dass sie das Mittel dazu nutzen, um überflüssige Kilos loszuwerden. Gedacht ist es aber eigentlich für Menschen, die unter Fettleibigkeit leiden.
Wer die Abnehmspritze nutzt, muss neben hohen Kosten – das in Österreich verfügbare Mittel Saxenda kostet Betroffene für drei Wochen 200 Euro und muss langfristig gespritzt werden – auch mit Nebenwirkungen rechnen. In der Anfangszeit der Einnahme kommt es vor allem zu Magen-Darm-Problemen wie Erbrechen, Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall. In einer Studie hatten 74 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wöchentlich 2,4 mg injizierbares Semaglutid erhielten, Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt.
➤ Mehr lesen: Wie die Abnehmspritze Menschen mit Übergewicht helfen kann
Fälle von Selbstmordgedanken
Jetzt sorgen neue Berichte über eine bisher nicht bekannte Nebenwirkung für Aufsehen: In Island wird von drei Fällen berichtet, bei denen Patienten nach Verabreichung des Abnehmmittels Selbstmordgedanken oder Selbstverletzungsgedanken hatten. Die isländische Gesundheitsbehörde meldete, dass zwei der Betroffenen das Mittel Ozempic verwendet hatten und Suizidgedanken entwickelten, eine Person nahm Saxenda ein – bei ihr kam es zu Gedanken an Selbstverletzung.
Wirkstoffe
Die Wirkstoffe Liraglutid und Semaglutid wurden ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt. Sie haben sich jedoch auch bald in der Behandlung von Adipositas durchgesetzt. Von Adipositas spricht man ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m². Menschen mit einem BMI von über 40 kg/m² leiden an einer schweren Form der Adipositas und haben das größte Risiko für weitere Gesundheitsprobleme. Von Normalgewicht spricht man zwischen einem BMI von 19 und 25 kg/m².
Wirkweise
Die darauf basierenden Medikamente regulieren den Appetit, indem sie ein Darmhormon nachahmen. Die Arzneistoffe werden auch als GLP-1-Rezeptorantagonisten bezeichnet. GLP steht für Glucagon-like Peptide. Das Peptidhormon, dem die Wirkstoffe nachgeahmt sind, wird im Darm produziert und spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Glukosestoffwechsels.
Das Medikament sorgt dafür, dass ein längeres Sättigungsgefühl besteht – die Patientinnen und Patienten haben weniger Appetit und führen weniger Nahrung zu. Bei gleichzeitiger Diät und vermehrter körperlicher Aktivität können bis zu 25 Prozent des Körpergewichts reduziert werden.
Die europäische Arzneimittelagentur EMA untersucht die unerwünschten Ereignisse derzeit. Novo Nordisk, die dänische Herstellerfirma von Ozempic, erklärte, dass die Sicherheit der Patientinnen und Patienten höchste Priorität habe und alle Meldungen über derartige Ereignisse sehr ernst genommen würden. Die eigene Sicherheitsüberwachung habe bislang keinen "kausalen Zusammenhang" zwischen den selbstverletzenden Gedanken und den Medikamenten festgestellt, hieß es in einer Stellungnahme.
USA geben Warnhinweis
Die Untersuchung der EMA konzentriert sich nun auf Arzneimittel, die entweder Semaglutid oder Liraglutid enthalten. Wegovy, von dem in Island keine derartigen Nebenwirkungen berichtet wurden, wird ebenfalls von Novo Nordisk hergestellt und enthält Semaglutid. Derzeit werden Selbstmordgedanken in den EU-Produktinformationen für beide Arzneimittel nicht als Nebenwirkung angeführt. In den USA empfehlen die Verschreibungsanweisungen für Wegovy allerdings, dass Patienten auf Selbstmordgedanken oder Selbstmordverhalten überwacht werden.
Laut dem öffentlichen Dashboard eines Reportingsystems der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA wurden seit 2018 mindestens 60 Berichte über Suizidgedanken von Patienten, die Semaglutid einnahmen, oder von ihren Gesundheitsdienstleistern gemeldet. Zudem wurden seit 2010 mindestens 70 solcher Berichte von Anwendern von Liraglutid oder ihren Gesundheitsdienstleistern verzeichnet. Bisher wurden die Informationen in diesen Berichten laut FDA aber nicht geprüft – ihre Existenz sei auch kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang.
Bei früheren Medikamenten gab es ähnliche Berichte
Laut FDA werde die Sicherheit von Arzneimitteln streng überwacht. Die Studien zu Wegovy deuteten nicht auf ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten hin. Der Hinweis in der Verschreibungsbeilage, der vor suizidalem Verhalten und Selbstmordgedanken warnt, sei deshalb gewählt worden, weil andere Medikamente zur Gewichtskontrolle mit derartigen Risiken verbunden seien.
Denn: Das Thema Selbstmordgedanken im Zusammenhang mit Medikamenten zur Gewichtsreduktion ist heikel. Bereits frühere Versuche der Pharmaindustrie, lukrative Medikamente zur Gewichtsreduktion zu entwickeln, scheiterten daran. Das Medikament Acomplia von Sanofi wurde 2008 in Europa zurückgezogen, nachdem es mit Selbstmordgedanken in Verbindung gebracht wurde. In den USA hatte es nie eine Zulassung erhalten. Das Medikament veränderte Teile des Nervensystems, die den Appetit regulieren. Auch einzelne andere Abnehmpillen, die in den USA zugelassen sind, haben Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Selbstmordgedanken.
Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöht?
Derzeit läuft zudem eine Untersuchung der EMA für alle GLP-1-Medikamente, nachdem sie in Verdacht gerieten, mit Schilddrüsenkrebs in Verbindung zu stehen. Diese Vermutung beruht auf Studien mit Nagetieren, bei denen es nach der Anwendung der Mittel zu einem erhöhten Risiko für Schilddrüsenkrebs kam. Unabhängig davon zeigte eine Analyse französischer Krankenkassendaten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs mit der Medikamentengruppe der GLP-1, was ebenfalls eine Untersuchung der EMA einleitete. Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.
Ein potenzielles Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs konnte ausgeschlossen werden – es wurde kein Kausalzusammenhang beim Menschen festgestellt, wie aus dem aktuellen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts hervorgeht.
➤ Mehr lesen: Gehypte Abnehmspritze: Langfristige Verabreichung notwendig
Möglich wäre, dass es nach den noch laufenden Untersuchungen der EMA zu einer Änderung der Warnhinweise für Abnehmmedikamente in der EU kommt. Die Medikamente sind mittlerweile so gefragt, dass es Lieferengpässe gibt. Zudem wird an einer Tablette gearbeitet, die deutlich einfacher einzunehmen wäre als die wöchentliche Spritze und die auch kostengünstiger wäre.
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums.
Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.
In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u.a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133).
Kommentare