Nicht "dick und dumm"
Der Film wurde von internationalen Fachgesellschaften und Patientenorganisationen gut angenommen. Die meisten Darstellungen von Fettleibigen in Filmen seien hingegen sehr unwürdig, meint Itariu. "Es sind immer die Adipösen, die dick und dumm dargestellt werden." Etwa die böse Meereshexe Ursula im Disney-Film Arielle oder Harry Potters feindselige Stiefeltern in den gleichnamigen Romanverfilmungen. Oder aber Fettleibigkeit wird komödiantisch dargestellt, wie in den Filmen "Mrs. Doubtfire" oder "Big Mama's Haus". "The Whale" sei da eine Ausnahme.
Realitätsnah sind auch Charlies gesundheitliche Probleme, mit denen die meisten Adipösen früher oder später zu kämpfen haben, etwa, dass er kaum mehr gehen kann, schwer Luft bekommt und teilweise Sauerstoff braucht. Johanna Brix, Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, betont, dass nicht vergessen werde dürfe, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist. "Es kann zu zahlreichen Folgeerkrankungen kommen, etwa Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, Fettlebererkrankungen, Krebs, Asthma oder tabuisierte Erkrankungen wie Harninkontinenz schon bei jungen Erwachsenen“, sagt Brix.
Langer Leidensweg
Doch bis Betroffene Hilfe suchen dauert es meist mehrere Jahre. "Jeder Mensch hat seine Geschichte, keiner ist freiwillig adipös. Und oft besteht ein langer Leidensweg, bei dem vor allem Frauen bereit sind für zum Teil fragwürdige Abnehm-Methoden viel Geld auszugeben."
Der vielleicht gut gemeinte Tipp "Iss' doch einfach weniger" lässt sich bei Adipositas gar nicht umsetzen, so Brix. "Wenn man zunimmt, verändern sich im Gehirn die Sinneseindrücke für Nahrung und Geschmack. Man braucht etwa mehr Schokolade, um dieselbe Befriedigung zu erzielen wie jemand Schlanker. Gleichzeitig sinken die Sättigungshormone und man hat immer Hunger." Ein Teufelskreis, der alleine kaum zu durchbrechen ist.
"Das Gehirn wird immer wieder versuchen, das Ausgangsgewicht zu erlangen. Das ist evolutionär bedingt und kennt jeder, der mit einer Diät schon einmal abgenommen, dann aber wieder zugelegt hat", erklärt Brix. Vor allem zwei Therapieansätze zeigen gute Erfolge bei Adipositas: Die relativ neue Abnehmspritze sowie Operationen, bei denen beispielsweise der Magen verkleinert wird.
Neue Therapiemöglichkeit
Die Spritze ist erst seit einigen Monaten breiter bekannt, da sie von Promis wie Elon Musk genutzt wird, um überflüssige Kilos loszuwerden. Das gehe jedoch am eigentlichen Zweck vorbei, wie Internistin Brix betont. "Die Daten sind sehr gut und wir sind froh, dass es das Medikament gibt. Aber es ist wichtig, dass es nur Menschen erhalten, die tatsächlich an Adipositas erkrankt sind. Es gibt bei einem Hersteller bereits Engpässe."
Eine Studie mit Teenagern ab zwölf Jahren zeigt, dass von adipösen Jugendlichen, die sich die Spritze regelmäßig verabreichen, nicht nur der Gewichtsverlust als positiv erlebt wird, sondern vor allem der Wegfall von Heißhungerattacken. "Das belegt den enormen Leidensdruck, dem sie ausgesetzt sind. Die Mehrheit weiß, wie man sich gesund ernährt und versucht es auch, kommt aber nicht gegen dieses Craving (intensives Verlangen, Anm.) an."
Privat zu zahlen
Das in Österreich verfügbare Mittel "Saxenda" muss täglich und langfristig gespritzt und privat gezahlt werden – drei Wochen kosten für Betroffene 200 Euro. Brix: "Wir wünschen uns, dass zumindest für manche Patientengruppen die Kosten übernommen werden. Bariatrische Operationen wie die Magenverkleinerung sind auch gut geprüft, aber große Eingriffe, die viel Vor- und Nachbetreuung bedürfen."
Filme wie "The Whale" seien wichtig, um Aufmerksamkeit für Betroffene zu schaffen. Die Body Positivity Bewegung, bei der es darum geht, diskriminierende Schönheitsideale abzuschaffen, sieht die Medizinerin ambivalent. "Wir wollen nicht, dass sich Betroffene aus der Gesellschaft zurückziehen, sondern dass sie ein Teil davon sind. Aber es muss auch klar sein, dass Adipositas eine Erkrankung ist, die schwere Folgen haben kann", sagt Brix.
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