Die Schwerpunkte im neuen Regierungsabkommen: Eine Analyse

Knapp 200 Seiten hat das Regierungsprogramm der neuen Wiener Stadtregierung, das unter dem Titel „Aufschwungskoalition für Wien“ und den Schlagworten „Sozialer Zusammenhalt“, „Wirtschaftliche Stärke“ und „Moderne Bildung“ die Schwerpunkte der Regierungsarbeit in den kommenden fünf Jahren festlegt.
Thematisch neu gegliedert knüpft die Regierung ans Programm der „Fortschrittskoalition“, so der Name von Rot-Pink I, an.
Die Schwerpunkte
Das Regierungsprogramm selbst hat fünf Kapitel, der KURIER hat sieben Themenfelder definiert und deren inhaltliche Ausgestaltung im vorliegenden Programm überprüft. „Wien schlägt ein neues Kapitel auf“, umreißt die neue – auf 13 Personen aufgestockte – Stadtregierung den Weg in die nächsten fünf Jahre: Wien wolle eine leistbare, lebenswerte und soziale Metropole bleiben und sozial gerecht, klimafit und wirtschaftlich stark sein. Eine Analyse.
Wohnen und Wohnbauförderung
Die Regierung kündigt 1.500 neue Gemeindewohnungen an, Vergabemodell soll sich an „individueller Lebensphase“ orientieren. Aber wer günstigen Wohnraum sucht, wird in Wien nur selten fündig: Die Mieten sind auf einem Rekordhoch. 13 Seiten widmet die Stadtregierung diesem Thema im neuen Regierungsprogramm. In acht Gebieten in Brigittenau, Donaustadt, Liesing und Simmering sollen 22.000 geförderte Wohnungen entstehen. Dazu gehören etwa die Seestadt, der Nordwestbahnhof oder der Schrödingerplatz. Neu sind diese Pläne aber nicht.
Außerdem sollen in der kommenden Legislaturperiode 1.500 zusätzliche neue Gemeindewohnungen „auf den Weg gebracht werden – unbefristeter leistbarer Wohnraum ohne Kautionen oder Eigenmittel“, heißt es im Programm.
Nicht erwähnt wird hingegen das Thema Leerstandsabgabe, das immer wieder für Diskussionen sorgt. Wohnungen, die länger als sechs Monate leer stehen, werden also auch künftig nicht mit einer Abgabe belegt. Eine digitale Leerstandsdatenbank soll zwar für Geschäftslokale kommen, nicht aber für Wohnungen. Das "Vorgehen gegen illegale Kurzzeitvermietung" wird nur kurz angeschnitten, hier hat die Stadt aber bereits im vergangenen Jahr mit einer strikten Regulierung gegengesteuert. Bekannt ist auch die neu geregelte Wohnungsvergabe. Statt fixer Wohnbedarfsgründe soll ein System mit Bonus-Punkten die Lebenssituationen der Menschen abbilden, etwa eine Scheidung. Bessere Vergaberegeln bringen aber nur etwas, wenn genug leistbarer Wohnraum vorhanden ist.

WienMobil Rad Angebot in Aspern Seestadt wird ausgebaut.
Stadtplanung und Mobilität
Der Verkehrsbereich könnte Potenziale bieten, wenn die Vorhaben mutig angegangen werden. Etwa bei der Umgestaltung des Rings. Vieles ist bekannt, einiges zum Teil sogar schon in Umsetzung. Die Verlängerung der 18er-Straßenbahn oder der Ausbau der U2xU5 sind nur einige Beispiele dafür. Dazwischen finden sich im neuen Regierungsprogramm von Rot-Pink II aber auch kleinere Neuerungen.
So soll künftig etwa die Fahrradmitnahme in Bussen und Straßenbahnen getestet werden – bisher durften nur Falträder mitgenommen werden. Außerdem soll es Strecken geben, auf denen Öffis „autonomes Fahren“ testen können. Also weitgehend selbstständiges Fahren ohne Fahrer.
Die von Experten geforderte großflächige Überarbeitung und Verteuerung des Parkpickerls ist im Programm nicht explizit festgeschrieben, dafür aber soll das Parkpickerl nun „evaluiert und auf eine mögliche Weiterentwicklung hin überprüft“ werden. Parkgebühren und -zeiten sollen an die „Realität der Wienerinnen und Wiener“ angepasst und das „Abrechnungssystem“ transparenter und nutzerfreundlicher werden.
Eine neue digitale Plattform zur Lösung eines Parkpickerls für Kurzzeitparker soll es genauso geben wie eine „digitale Lösung“, um die Steuerung des Verkehrs von der Straße in die Garage zu begünstigen.
Das größte Projekt im Bereich Stadtplanung und Verkehr ist aber die „Entflechtung von Rad- und Fußverkehr“ am Ring. Dabei soll die Aufenthaltsqualität entlang der heute viel befahrenen Straße steigen. „Die Kfz-dominierten Plätze vor repräsentativen Gebäuden“ gelten als „besondere Potenzialorte“. Es dürften also Parkplätze wegfallen, Rad- und Fußwege ausgebaut werden. Wird dieses Vorhaben mutig angegangen, bietet es durchaus Potenzial.
Passieren soll die Umgestaltung des Rings im Rahmen der Verkehrsberuhigung Innere Stadt. Während sich die Koalition dazu eindeutig bekennt, fehlt ein Bekenntnis zum Lobau-Tunnel oder zum 365-Euro-Öffi-Ticket.

Der "Warming Stripe" für Wien zeigt die Temperaturentwicklung für die Bundeshauptstadt.
Klima und Energie
Wien bleibt mit dem neuen Regierungsprogramm in Sachen Klimapolitik seiner bisherigen Linie treu: Eh gut, aber ...
Im Regierungsprogramm 2020, der "Fortschrittskoalition", war dem Thema "Lebenswerte Klimamuster-Stadt" ein eigenes Kapitel gewidmet. Und mit dem Klimagesetz, das kurz vor Ende der Periode noch beschlossen wurde, ist auch ein relevanter Schritt gelungen. Ein weiterer Aufschwung lässt sich im neuen Programm nur schwer finden. Business as usual, weit weg von den von Wissenschaftern seit Jahren geforderten wesentlich stärkeren Maßnahmen. Selbst nach dem Jahrtausendhochwasser im September ist das vorliegende Papier kein Gamechanger.
Ja, vieles wird fortgeschrieben. Und vieles davon ist gut, keine Frage. Aber insgesamt bleibt es viel zu wenig, auch wenn 400.000 Quadratmeter neue Parks, „Wiener Gartenstraßen“ und 20.000 neue Bäume (übrigens um 5.000 weniger als im letzten Regierungsprogramm) gut klingen und Friedhöfe als „Kälteinseln“ positioniert werden. Es fehlen verbindliche Ziele – wie sie etwa Paris festgeschrieben hat: Dort kommen 500 echte Gartenstraßen (mit 66 Prozent Zustimmung der Bevölkerung), in Wien bleiben SPÖ und Neos vage, um nicht weit zurück zu sagen.
Die Energieversorgung der Wienerinnen und Wiener ist – neben dem Verkehr (siehe nebenstehende Analyse) – ein großer Klimaschutz-Hebel. „Raus aus Gas“ wird fortgesetzt, ein versprochener Klimatarif für die Fernwärme ist schon in der abgelaufenen Periode nicht realisiert worden – obwohl das im eigenen Wirkungsbereich gelegen wäre.
Anders als die wichtige Stilllegung von Gasnetzinfrastruktur, die im Programm gefordert wird, denn dazu braucht es den Bund. Und ob die Geothermieprojekte „eine tragende Säule für die nachhaltige Wärmeversorgung“ der Stadt werden, steht nur auf dem Papier. In Sachen Klima triff das Programm den Zeitgeist: ambitioniert tun, aber große Schritte nicht wagen.
Gesundheit
Der Ausbau von Gesundheitszentren wird fortgesetzt, die Gemeindespitäler sollen mehr Forschung betreiben.
Seit Jahren gehört die Gesundheitsversorgung zu einem der brennendsten Themen der Stadtpolitik. Doch auch im Gesundheitskapitel setzt die rot-pinke Regierung mehr auf Kontinuität denn auf spektakuläre neue Leuchtturmprojekte.
Viele Vorhaben wurden bereits im Regierungsprogramm 2020 vereinbart, blieben dann aber unerledigt liegen. Allen voran das komplizierte Mega-Projekt der Neustrukturierung des Wiener Gesundheitsverbunds (Wigev), der Personal- und Finanzhoheit bekommen soll.
Oder der Ausbau der Hotline 1450 zur zentralen Anlaufstelle in Gesundheitsfragen sowie die Schaffung eines eigenen Gesundheitsportals („Wien gesund“) als digitales Einstiegstor in das Gesundheitssystem. Offen bleibt vorerst, wie man sich hierbei mit dem Bund, der Ähnliches vorhat, abstimmen will. Sonst drohen einmal mehr für das Gesundheitssystem so typische Doppelgleisigkeiten.
Fortsetzen will die Stadtregierung den Ausbau regionaler Gesundheitszentren, zu denen Primärversorgungseinheiten und fachmedizinische Zentren gehören. Bis 2030 soll es mehr als 100 davon geben. Im Zuge dessen soll auch ein eigenes Zentrum für Frauenheilkunde entstehen.
Somit folgt man dem Trend, der auch bundesweit mittlerweile zur Maxime in der Versorgung geworden ist: Digital vor ambulant vor stationär.
Neu ist, dass die Wiener Gemeindespitäler zu einem Forschungsträger ausgebaut werden sollen – „mit dem Ziel, die Stadt als führenden Standort für Gesundheitsforschung in Europa zu positionieren“. Gefördert werden soll Forschung, die unmittelbar den Patienten zugutekommt – „von der Früherkennung bis zur Palliativversorgung“. Zu diesem Zweck soll eine zentrale Forschungsabteilung im Wigev errichtet werden.
Internationalität
Kongresse, Großveranstaltungen, Forschung, Infrastruktur: Wien soll seine Rolle als beliebter Standort weiter festigen.
Wien ist derzeit die Stadt mit den meisten internationalen Kongressen. Erst kürzlich versammelten sich große Namen in der Forschung zur künstlichen Intelligenz in Wien. All das will man weiter stärken und der „Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend kompetitiven internationalen Marktumfeld“ höchste Priorität beimessen. Besonderes Augenmerk liegt darauf, dass „Wien als Tagungsmetropole eng mit den Bereichen Wissenschaft und Forschung sowie seiner Rolle als Sitz internationaler Organisationen verknüpft ist“.
Mit gutem Grund: Kongresse sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Und mit Investitionen in Forschung und Infrastruktur bringt man internationale Konzerne dazu, sich in Wien anzusiedeln, was Wertschöpfung und Arbeitsplätze schafft.
Um dem Genüge zu tun, hat man sich einiges vorgenommen. Die Stadt Wien will sich mit einem Konsortium für ein KI-Rechenzentrum bei der EU bewerben. Die mögliche Ansiedelung in der Seestadt Aspern würde diesen Bereich zusätzlich aufwerten. Lob von unerwarteter Seite kam darum auch sofort von der Industriellenvereinigung, der es seit Jahren ein Anliegen sei „Wien als Technologiemetropole im Herzen Europas“ zu positionieren.
Auch an anderer Stelle will man seine Attraktivität nach außen noch offensiver bewerben. Man ist darum bemüht, weitere Großveranstaltungen nach Wien zu holen, was auch mit einschließt, dass man einmal mehr versucht, Austragungsort des Eurovision Song Contests zu werden.
Angeführt wird auch der neue Standort der Musik- und Kunstuniversität der Stadt Wien (MUK), die künftig im Otto-Wagner-Areal beheimatet sein wird.
Damit will man internationale Maßstäbe setzen und das Jugendstil-Areal nicht nur für die Bevölkerung attraktivieren, sondern auch die eine oder andere Größe anlocken.
Bildung und Integration
Klare Priorität auf Deutschlernen und Reform der Mindestsicherung. Ein Integrationsleitbild soll Regeln definieren. Zu viele Kinder starten ihre Schulzeit ohne ausreichende Deutschkenntnisse, weshalb das Regierungsprogramm einen Schwerpunkt auf frühe Sprachförderung und verbindliche Integrationsmaßnahmen ab dem Kindergarten legt.
Konkret heißt das: Für Kinder mit Sprachförderbedarf wird die Besuchspflicht im verpflichtenden letzten Kindergartenjahr auf 30 Wochenstunden erhöht. Auch im vorletzten soll Sprachförderung niederschwellig angeboten werden.
Digitale Tools, Lesepaten und Programme wie „Deutsch im Park“ oder Sprachcafés sollen außerdem helfen. Künftig soll zudem eine Sprachkoordinationsstelle alle Maßnahmen bündeln. Offen bleibt, wie sehr der Fokus auf die Jüngsten jetzt den 10- bis 14-Jährigen hilft.
Immerhin sollen Schulen mit besonders hohem Förderbedarf durch ein neues Verteilungssystem – dem Chancenindex – gestärkt werden. Gleichzeitig wird die Schulautonomie gestärkt. Und die Stadtregierung will sich für die Umsetzung einer „Modellregion Gemeinsame Schule von 6–14 Jahre“ einsetzen.
Durch eine Reform der Mindestsicherung in Wien sollen alle leistungsfähigen Bezieher – insbesondere Junge unter 30 – aktiv an Bildungs- oder Arbeitsintegrationsprogrammen teilnehmen müssen. Und ein neuer Integrationskodex soll Regeln des Zusammenlebens definieren. Wie im Bund geplant soll eine stärkere Mitwirkungspflicht der Eltern samt Strafmöglichkeit eingefordert werden können.

Das Museumsquartier.
Kunst und Kultur
Große Würfe finden sich keine im Vorhabensprogramm, aber relativ viele große Worte. Und Altbekanntes.
Der Kurs stimmt, scheint die Überzeugung in der Kulturpolitik zu sein: Das Programm speist sich weitestgehend aus Fortschreibungen, Ankündigungen von kleineren Würfen sowie Diversitätsworthülsen.
So soll ein Raum für „Global Majority Arts“ gefördert werden; wer das nicht kennt und nicht googeln will: Das sind die internationalen Kunstpositionen aus aller Welt, die derzeit im postkolonialen Kulturgefüge allüberall jene Räume erobern, die bisher „dem Westen“ vorbehalten waren.
Der Rest lässt sich am besten als Neuerzählung der bekannten SPÖ-Kulturziele lesen: Kultur soll für alle leistbar sein und nicht nur im Zentrum, sondern auch in den Grätzeln stattfinden. Junge Menschen sollen umworben und die Bevölkerungsrealität abgebildet werden. Bekannte Anliegen, die wohl auch in allen nächsten Wahlprogrammen stehen werden.
Unter den konkreteren Ankündigungen finden sich der bereits verlautbarte zweite Standort des Kindermuseums ZOOM (in Floridsdorf), eine „Nacht der Clubkultur“ mit Verleihung eines Preises für Clubkultur oder auch die Einführung eines „Sounding Board“ für Diversität in der Kulturverwaltung sowie ein „Preis für innovative Kulturvermittlung“.
In aller Brisanz zusammengefasst: „Wir fördern neue Impulse, stärken innovative Vermittlungsformen und setzen auf Strukturen, die kulturelle Diversität nicht nur abbilden, sondern aktiv gestalten.“
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