Lobautunnel-Studie sieht vor allem mehr Schwerverkehr als Folge des Baus

Eine der lang erwarteten Entscheidungen der neuen Bundesregierung ist jene zum Bau des Lobautunnels.
Peter Hanke, Infra- und Mobilitätsminister aus den Reihen der Wiener SPÖ, wird die Entscheidung treffen müssen. Einer Entscheidung für den Bau steht nun aber ein 518-seitiges Gutachten des Umweltbundesamtes unter Beteiligung von TU Wien, TU Graz und einem Verkehrsplanungsbüro entgegen: Es kommt zum Schluss, dass von allen möglichen Verkehrsvarianten der Tunnelbau die teuerste ist, die noch dazu mehr Schwerverkehr anziehen wird und kaum entlastet.
Der KURIER sprach mit Studienleiter Günther Lichtblau vom Umweltbundesamt.
KURIER: Die wichtigste Frage zum Lobautunnel ist: Auf der Südosttangente ist fast jeden Tag Stau, bei einem Unfall sogar ein riesiger Stau. Würde der Lobautunnel dieses Nadelöhr endlich entlasten?
Günther Lichtblau: Das war auch für mich eines der spannendsten Ergebnisse der Untersuchung: Es liegt ja auf der Hand, dass eine neue hochrangige Straße negative Effekte hätte auf Bodenverbrauch, und Naturschutz – die S1 liegt etwa auf einer Wanderroute für Wildtiere. Aber der eigentliche Knackpunkt ist die Entlastungswirkung auf die Südosttangente. Wir haben da derzeit im Schnitt einen täglichen Verkehr von etwa 200.000 Fahrzeugen. Der würde sich mit dem Lobautunnel reduzieren – aber nur auf etwa 175.000 Fahrzeuge. Das ist recht wenig, zudem muss man davon ausgehen, dass diese Lücke bald aufgeholt wird, weil neue Straßen immer neuen Verkehr anziehen. Insgesamt würde der Verkehr in der Region sogar massiv zunehmen, um etwa eine Million Pkw-Kilometer pro Tag. Also nur leichte Entlastung der Tangente bei deutlich mehr Verkehr auf fast allen anderen Straßen im Untersuchungsraum.
Variante I – Bau der S1 mit Lobautunnel wie geplant:
Mit 2,4 Milliarden Euro ist diese Variante die teuerste der vier geprüften Varianten. Sie habe laut der Studie „Vorteile in der verkehrlichen Abwicklung bei weiterhin hoher Auslastung im bestehenden Straßennetz“, die in Summe zur höchsten Verkehrsbelastung aller Alternativen führt. Kurzfristige wirtschaftliche Effekte seien möglich, „langfristige positive wirtschaftliche Aspekte werden nicht erwartet“. Sie stehe allen nationalen und lokalen Klimazielen entgegen.
Variante II – Schnellstraße von Süßenbrunn bis Groß-Enzersdorf und Ausbau öffentlicher Verkehr:
Diese Variante kostet 1,04 Milliarden Euro und bringt laut Studie eine weiter hohe Auslastung im bestehenden Straßennetz, führe aber zu einer besseren Erreichbarkeit für viele Wienerinnen und Wiener im öffentlichen Verkehr – die zusätzlichen ÖV-Maßnahmen über das ÖBB Zielnetz hinaus werden Investitionen von rund 0,4 Mrd. Euro kosten. Auch bei dieser Alternative werden nur kurzfristig positive Impulse für die Wirtschaft erwartet.
Variante III – keine S1, aber Ausbau öffentlicher Verkehr und verkehrslenkende Maßnahmen:
Die Kosten von 0,4 Milliarden Euro entfallen auf den Ausbau von Straßenbahnlinien, Optimierung von Buslinien und Verbesserung der Radinfrastruktur. Die Studie geht daraus resultierend von einer „markanten Reduktion der Verkehrsleistung“ und damit einer geringeren Auslastung bzw. Belastung des Straßennetzes bei gleichzeitiger Verbesserung der Reisezeiten (speziell auch auf der Südost-Tangente) aus. Diese Variante trage zur Erreichung umweltrelevanter Ziele bei. Gesamtwirtschaftlich wird sie neutral bewertet, leicht positive Wirkungen werden auf die Regionalwirtschaft erwartet.
Variante IV – Landstraße von Süßenbrunn bis Groß-Enzersdorf. Diese Alternative führt zu keiner Änderung oder Verbesserung des überregionalen Verkehrsnetzes , die Auslastung im Straßennetz bleibt hoch. Insgesamt kann eine sehr geringe Abnahme der Verkehrsleistungen im Individualverkehr erreicht werden, die Wirkungen hinsichtlich Treibhausgasen, Luftschadstoffen und Lärm leisten keinen relevanten Beitrag zu den Umweltzielen. Auch ergeben sich keine Änderungen im öffentlichen Verkehr. Die Investitionskosten von 0,7 Milliarden Euro fallen deutlich geringer aus.

Dafür würde der Tunnel aber viel befahren werden?
Das war die zweite Überraschung, die Studie sieht nur eine geringe Verkehrsbelastung des Tunnels, etwa 37.000 Fahrzeuge täglich, das ist gerade einmal die Hälfte vom aktuellen Verkehr der Triester Straße am Wienerberg. Für den normalen täglichen Personenverkehr nützt der Tunnel wenig, weil die wenigsten von der Donaustadt nach Mödling fahren.
Aber würde nicht jedenfalls der Schwerverkehr, der um Wien herumfährt, von Norden, Süden und Osten kommend, mit dem Tunnel nicht mehr auf der Südosttangente fahren?
Vor allem der Transit-Schwerverkehr würde sich in den Tunnel verlagern. Das stimmt ganz sicher, dieser Verkehr würde durch den Tunnel von der Tangente weggelenkt werden.
Aber?
Eine neue hochrangige Verbindung würde auch neuen Transitverkehr nach Wien ziehen– etwa jenen bei Bratislava, der heute an Österreich vorbeifährt. Wir würden uns also zusätzlichen Lkw-Verkehr ins Land holen. Und damit stellt sich schon die Frage, ob so ein teures Verkehrsprojekt mit Tunnelbau gerechtfertigt ist.
Welche Alternativen gibt es?
Wir haben zehn möglichen Varianten untersucht, und dann für vier Alternativen eine vollständige Umweltuntersuchung gemacht. Da war schon bemerkenswert, dass jene Variante die stärkste Entlastung der Südosttangente ergeben hat, die die höchste Umweltverträglichkeit aufweist, also ohne Lobautunnel und einem starken Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Radinfrastruktur und intensiven verkehrslenkenden Maßnahmen. Da sind wir nur mehr auf rund 160.000 Fahrzeuge täglich auf der Südost gekommen, die stärkste Entlastung unter allen Alternativen. Zudem wäre das die günstigste Variante. Und diese Variante wäre am ehesten im Einklang mit den Umwelt- und Klimazielen der Stadt Wien und des Bundes.
Wer sitzt eigentlich täglich in einem dieser 200.000 Fahrzeuge auf der Südosttangente?
Das ist natürlich ein Mix. Wie in allen Gebieten Österreichs dominiert der lokale und regionale Verkehr, also die Wiener und die Pendler aus dem Umland fahren jeden Tag über die Tangente. Da müssen wir die Alternativen schaffen im öffentlichen Verkehr. Da ist Wien gut, aber es gibt in der Region noch einiges zu tun. Denn gerade wenn sie in Wien Destinationen erreichen wollen, die nicht direkt bei einer U-Bahnstation oder der Schnellbahn liegen, ist man mit den Öffis lang unterwegs. Da ist man im Vergleich mit dem Auto trotzdem noch flott unterwegs, auch wenn man 10 oder 20 Minuten auf der Tangente steht.
Sind neue Öffis notwendig?
Ja, wobei etwa Maßnahmen wie ein Ausbau des Schnellbahnrings nicht in der Untersuchung enthalten sind. Hier haben wir Verlängerungen von Buslinien, Verlängerung von Straßenbahnlinien, bessere Taktung, auch alles Richtung Anbindung der Seestadt und Groß-Enzersdorf abgebildet.
Der Tunnel würde über zwei Milliarden kosten, das müsste die Asfinag zahlen?
Genau, das wird also nicht unmittelbar relevant für das Defizit. Aber die Dividende der Asfinag an den Staat würde natürlich über Jahrzehnte vermindert sein. Und auch über Mauteinnahmen wird sich der Tunnel niemals rechnen.
Medien sprechen von einem Luxusgutachten, weil es 460.000 Euro gekostet hat. Warum eigentlich?
Es handelt sich um eine extrem komplexe Untersuchung, das Kernteam umfasste 21 Personen, die daran rund 1,5 Jahre gearbeitet haben. Insgesamt waren zwei Unis und 70 bis 80 Fachleute beteiligt. Solide Fachgrundlagen sind hier extrem wichtig, um die Auswirkungen solch umfassender Vorhaben gut beurteilen zu können.
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