SOS-Kinderdorf: Aufsichtsrat entscheidet nächste Woche über Geheimbericht

Der volle, 991-seitige Bericht ist geheim
Das Kontrollgremium des Dachverbands trifft sich kommende Woche in Wien. Zentrales Thema: Die aktuelle Krise, in der man nach allen Enthüllungen steckt. Und die Frage der Kooperation mit der Staatsanwaltschaft.

Der KURIER-Artikel über den 991-seitigen Bericht zu Missständen in SOS-Kinderdörfern auf der ganzen Welt, der unter Verschluss gehalten wird, hat hohe Wellen geschlagen: Der Dachverband SOS-Kinderdorf International überlegt jetzt, wie berichtet, diesen zumindest teilweise der Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen.

Wie ein Sprecher am Freitag erklärt, wird dies gerade von der Rechtsabteilung geprüft. Kommende Woche findet eine Sitzung des Aufsichtsrats (International Board) in Wien statt, der darüber entscheiden soll. Österreich ist in dem Gremium suspendiert.

Einblick in den Bericht

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat derzeit nur die 262-seitige und anonymisierte Kurzfassung, die online abrufbar ist. 

Die Langversion aber enthält Namen und Details zu teils hochbrisanten Vorwürfen und Verdachtsmomenten, die zwischen 2021 und 2023 von der „Independent Special Commission“ (ISC) erhoben wurden. Wie intensiv von den hoch spezialisierten Fahndern ermittelt wurde, zeigen Auszüge aus der Langfassung, die dem KURIER vorliegen (nächste Woche mehr dazu).

Es drängt sich die Frage auf: Warum wird erst jetzt darüber nachgedacht, der Strafverfolgung Einblick zu geben? Immerhin liegt der ISC-Bericht der Führung und dem Aufsichtsrat des Dachverbands seit Mai 2023 vor. Der Österreich-Vertreter in dem Gremium gab auf KURIER-Anfrage keine Stellungnahme ab.

Der KURIER sprach aber mit Insidern der Organisation. Dort hegt man den Verdacht, dass die ungekürzte Fassung „etwas für den Giftschrank“ sei. Dahinter steckt angeblich ein Machtkampf zwischen den verschiedenen Einheiten bei SOS-Kinderdorf, der mit den Interessen der Kinder nicht mehr viel zu tun hat: 

Der österreichische Ur-Verein, der 1949 von Hermann Gmeiner gegründet wurde, kämpft um seine Bedeutung, während zwei deutsche Vereine wesentlich finanzstärker und wichtiger geworden sind. Mit deutschem Geld werden laut Insidern rund zwei Drittel aller SOS-Projekte weltweit finanziert. Hinzu kommen noch einzelne Landesvereine, die dem früheren Langzeitpräsidenten Helmut Kutin schon immer misstraut haben und es leid sind, von den Westeuropäern bevormundet zu werden.

Finanziell unter Druck

Oben drüber steht der Dachverband SOS-Kinderdorf International, der finanziell aber unter Druck gekommen ist. Für 2026 droht eine Halbierung des Budgets, das sich aus Mitgliedsbeiträgen der Länder speist, auf 15 bis 20 Mio. Euro. Es gab bereits massive Kürzungen beim Personal, die nächste Kündigungswelle steht angeblich bevor.

Der 991-seitige Bericht könnte – so die Theorie, die kursiert – von der Spitze lange Zeit als Drohgebärde gegenüber den Mitgliedern zurückgehalten worden sein. Sprich: Wer nicht spurt, wird mit seinen Schweinereien geoutet.

Entsprechend groß ist jetzt, nach Publikwerden seiner Existenz, die Nervosität im gesamten Netzwerk. Was wirklich im ISC-Bericht steht und wie viel (auch strafrechtliches) Gewicht er hat, ist unklar.

Alles in der Familie

Wobei betont wird: Intern habe man in mehreren Ländern sehr wohl Konsequenzen aus dem ISC-Bericht gezogen, sich etwa von einzelnen Akteuren getrennt. Ganz im Sinne von Kinderdorf-Gründer und „Übervater“ Gmeiner: Wir regeln die Dinge unter uns, innerhalb der Familie.

Merkwürdig erscheint in diesem Zusammenhang auch das Verhalten des Österreich-Vereins: Im ISC-Bericht wird ja empfohlen, im Zusammenhang mit der Causa Großspender (der Buben in Nepal missbraucht haben soll) Hinweisen zu Menschenhandel und Geldwäsche nachzugehen. 

Am Mittwoch erklärte eine SOS-Sprecherin gegenüber der APA, man habe eine „vertiefte strafrechtlichen Analyse“ gemacht und sei zum Schluss gelangt, dass keine Verdachtsmomente vorlägen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Verein, der in schwerwiegende Straftaten verwickelt sein könnte, hat selbst geprüft, ob diese vorlägen. 

Anders der Förderverein in München: Dieser hatte ebenfalls Einblick in den ISC-Bericht und hat die Staatsanwaltschaft informiert – die daraufhin Ermittlungen gegen Kutin prüfte. Mit seinem Tod im April 2024 endete das Verfahren, nach weiteren Tatverdächtigen wurde nie gesucht. Das könnte sich nun ändern.

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