Missbrauch vertuscht, Täter geschützt: Das ganze Ausmaß der Vorwürfe gegen Kutin
Helmut Kutin war über Jahrzehnte das personifizierte Machtzentrum der SOS-Kinderdorf-Welt.
Es war ein Paukenschlag in einer ganzen Serie an Skandalen in der Welt von SOS-Kinderdorf, die seit Herbst aufgebrochen sind: Wie der KURIER vor einem Monat aufzeigte, wurde in Deutschland bereits 2023 gegen Helmut Kutin – über Jahrzehnte das personifizierte Machtzentrum der global tätigen Organisation – ermittelt.
Der finanzgewaltige Förderverein SOS-Kinderdörfer weltweit (ehemals Hermann-Gmeiner-Fonds) in München hatte damals die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Der Grund: Mutmaßliches „Fehlverhalten von Kutin“, das auf Nachfrage nicht konkretisiert wurde – aber wohl im Zusammenhang damit stand, dass Kutin einem Großspender Zugang zu Kinderdörfern in Nepal und so Missbrauch von Buben ermöglicht haben soll.
KURIER-Recherchen zeigen nun das ganze Ausmaß der Vorwürfe und wie sie mutmaßlich in Österreich von höchster Stelle unter der Decke gehalten wurden. Wie berichtet, wäre die fragwürdige Rolle Kutins in der Causa mit dem Großspender schon 2023 zu hinterfragen gewesen.
Ein brisanter Bericht
Damals legte eine vom Dachverband beauftragte Untersuchungskommission ihre Ergebnisse zu Missständen in Kinderdörfern auf der ganzen Welt vor. Der Bericht der Independent Special Commission (ISC) liegt inzwischen in seiner unanonymisierten Langversion von 991 Seiten der Staatsanwaltschaft Wien vor.
Er hat offenkundig unter anderem Kutin von Anfang derart belastet, dass Dachverband wie Förderverein dem vermeintlichen Strahlemann damals – ohne die Öffentlichkeit zu informieren – Ehrentitel aberkannten. Der Verein in München konfrontierte die langjährige Führungsfigur des Vereins, von SOS-Kinderdorf Österreich und international im Zuge eines Ausschlussverfahrens auch mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen.
Nicht nur Nepal wurde zugedeckt
Und dabei geht es längst nicht nur um Nepal. So soll Kutin gleich in mehreren Ländern über Kinderschutzvergehen und finanzielle Missstände Bescheid gewusst haben.
Zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch in Bangladesch, Sierra Leone, Syrien und Panama soll der mitunter als „Großvater für die Kinder dieser Welt“ titulierte Frontmann vertuscht und zum Teil die Täter geschützt haben.
Statt für Aufklärung zu sorgen, habe er vielmehr „gezielt Ermittlungen von Kinderschutzvergehen behindert“, warf SOS-Kinderdörfer weltweit Kutin vor. Und sah darin eben auch eine mögliche Relevanz nach deutschem Strafrecht.
Verdacht der Strafvereitelung
Gemäß Aktenlage ging es dabei um das Delikt der Strafvereitelung – also das Verhindern, dass ein Täter belangt wird. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft. Die Ermittlungen endeten 2024 mit Kutins Tod.
Viele der Anschuldigungen – auch jene zu Nepal – lassen sich mit entsprechendem Hintergrundwissen selbst aus der öffentlich zugänglichen Version des ISC-Berichts herauslesen, in der freilich keine Namen genannt werden.
Bei SOS-Kinderdorf Österreich soll die Brisanz bzw. sogar die Existenz dieses Konvoluts zuletzt für große Überraschung gesorgt haben. Dabei soll 2023 nicht nur Kutin mit den schweren Vorwürfen konfrontiert, sondern auch Langzeitgeschäftsführer Christian Moser zeitnah über diese informiert worden sein.
Das Dienstverhältnis mit Christian Moser wurde am 5. Dezember beendet.
Genau das dürfte ihn nun den Kopf gekostet haben. Diese Woche teilte SOS-Kinderdorf Österreich mit, dass das bereits seit Anfang Oktober ruhend gestellte Dienstverhältnis mit Moser am 5. Dezember mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden sei.
Man ersuchte gleichzeitig um Verständnis, „dass aus arbeitsrechtlichen Gründen“ keine weiteren Angaben gemacht werden könnten. Laut KURIER-Informationen soll der Entlassungsgrund „Vertrauensunwürdigkeit“ lauten.
Konkret soll Moser seine Geschäftsführerkollegen und insbesondere den Aufsichtsrat nicht informiert bzw. diesem verheimlicht haben, was Kutin auf internationaler Ebene vorgeworfen wurde und etwa die Causa mit dem Großspender heruntergespielt haben. Dabei sah die ISC, wie berichtet, hier sogar Verdachtsmomente für Menschenhandel.
Fast 30 Jahre am Ruder
Dem Vernehmen nach bestreitet Moser die Vorwürfe. Als er 1996 bei SOS-Kinderdorf Österreich zunächst als Leiter der Finanzabteilung andockte, war Helmut Kutin intern das Maß aller Dinge. 17 Jahre lang war Moser bis zuletzt Geschäftsführer – ein Amt, das er zunächst elf Jahre in Alleinverantwortung ausübte.
Ob er seinen Rauswurf bekämpft, ist vorerst unklar. Bis Ende kommender Woche hat der Tiroler Zeit für eine Anfechtung.
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