Rückblick
Wer auf die Geschichte der Großen Koalition zurückblickt, stellt fest, dass es sie bereits in der Ersten Republik einmal gegeben hat. Ab 1919 arbeiten Sozialdemokraten und Christlichsoziale zusammen. „Karl Renners Regierung hielt zwei Jahre. Dann zerbrach sie, weil die Sozialdemokraten glaubten, bei der nächsten Wahl eine absolute Mehrheit erlangen zu können“, sagt Rauchensteiner.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es wieder Renner, der an der Wiege der damals wahrhaft Großen Koalition steht (Grafik unten). „Sozialdemokratie und Volkspartei haben sich mühelos verständigt, dass sie die politische Linie vorgeben.“ Ob der Probleme, die nach 1945 zu bewältigen waren, bildete man „eine Notgemeinschaft. Vordringlich war es, den Staat wieder irgendwie in Gang zu setzen, aus der existenziellen Not herauszukommen. Und dann war das Ziel, die Alliierten aus dem Land zu bekommen.“
Rauchensteiner weiter: „Die Große Koalition funktionierte immer dann gut, wenn es ein großes, gemeinsames Ziel gab.“ Wie es Unabhängigkeit und Staatsvertrag waren.
Auch der Grund für das Scheitern ändere sich über die Jahrzehnte kaum:
Anfang der 1960er „war die Luft raus und von ,Stillstand‘ die Rede“, so Rauchensteiner. „Wobei das nicht stimmte. Es war einfach Ausdruck dessen, dass die großen Ziele erreicht waren.“ Äußeres Zeichen für das Heraufdräuen des Endes „der Zwei“ waren immer längere Regierungsbildungsverhandlungen und dicke Koalitionsabkommen. „Das Misstrauen wurde paktiert.“
1966 war die erste Epoche der Großen Koalition unter vier ÖVP-Bundeskanzlern vorbei. 16 Jahre Alleinregierungen folgten. Zuerst war die ÖVP dran, danach die SPÖ, die von einer Kleinen Koalition (rot/blau) abgelöst wurde.
Ende der 1980er nahte die zweite Epoche der Großen Koalition – diesmal unter roter Kanzlerschaft. Franz Vranitzky bekam es mit vier ÖVP-Vizekanzlern zu tun. Einer davon – Erhard Busek – versprach im Wahlkampf 1994: „Große Koalition ohne Wenn und Aber“. Der Nimbus „der Zwei“ wirkte wohl nach: der Wiederaufbau, die Selbstbehauptung unter der Kontrolle der vier Besatzungsmächte, der Aufbau der Sozialpartnerschaft, die wiedergewonnene Souveränität, vor allem aber der unerwartete Wirtschaftsaufschwung. Manche nannten das politische Tandem sogar die „geschichtsgewollte Regierungsform“.
Und weil es auch in diesen Jahren ein wichtiges verbindendes Ziel gab – den EU-Beitritt – funktionierten „die Zwei“ , meint Politik-Kenner Rauchensteiner. Zumindest eine Zeit lang.
Zeitenwende
Diese Zeit war 1999 vorbei: Nach der Wahl koalierte der drittplatzierte Wolfgang Schüssel nicht mit der erstplatzierten SPÖ unter Viktor Klima, sondern schmiedete eine – turbulente – Koalition mit den Blauen, die 2007 von der Großen Koalition 3.0 unter roter Führung abgelöst wurde. Es folgten Parteichefwechsel und ein immer tieferer Fall beider Parteien in der Wählergunst. 2017 war auch die dritte Epoche der GroKo Geschichte.
Ausblick
Mittlerweile sind die ehemals Großen zu mittleren Parteien geschrumpft. Trotzdem stehen die Zeichen auf Große Koalition 4.0 (mit Unterstützung einer dritten Partei). „Ich erkenne im Augenblick aber keine gemeinsamen Ziele“, ist Historiker Rauchensteiner pessimistisch.
Bleibt nur, sich an den ersten Staatskanzler zu erinnern: Karl Renner war davon überzeugt, dass in den überdifferenzierten Verhältnissen im alten Österreich ein gedeihliches Zusammenleben nur dann möglich wäre, wenn die „einen“ auf die „anderen“ Rücksicht nehmen und mit ihrem Da-Sein und Anders-Sein rechnen; nur so gelinge es, aus einer Vielzahl verschiedener Interessen brauchbare Resultante für das Ganze zu bekommen.
Ob das auch im neuen Österreich helfen könnte?
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