Warum die Demokratie keine Diktatur der Mehrheit ist

Symbolbild Demokratie: Die Versammlung der Abgeordneten in Paris 1891
2024 wählen 3,5 Milliarden Menschen – bei Weitem nicht alle in stabilen Demokratien. Zeit für einen Blick auf die Geschichte der Volksherrschaft.

"Verfassung, Verfassung!“ rufen Tausende Demonstranten am 13. März 1848 in Wien. Gerade fegt ein beispielloser politischer Sturm über Europa: Ausgehend von Paris lehnen sich Menschen vielerorts gegen die Monarchien auf, begehren Demokratie und Selbstbestimmung. Doch die alten Eliten sind militärisch überlegen und schlagen brutal zurück.

Einmal noch siegen die Fürsten. Aber der Sturm der Revolutionen offenbart, dass sich ihre Zeit dem Ende zuneigt. Schließlich zerbricht nicht nur das Habsburgerreich im Ersten Weltkrieg – Europa wird im Laufe des 20. Jahrhunderts nach und nach zu einem Kontinent der Demokratien.

Die Welt steht am Beginn eines für die Zukunft der Demokratie entscheidenden Jahres. Wahlen in der EU, Österreich, Deutschland, Indien, Indonesien, den USA, die 2024 anstehen – um nur einige zu nennen – wären normalerweise Routineangelegenheiten. Doch viele dieser Demokratien befinden sich unter Druck, vielleicht sogar an einem  Wendepunkt.

Heuer werden bei weltweit mehr als 70 Wahlen 3,5 Milliarden Menschen zu den Urnen gerufen – und bei Weitem nicht alle in stabilen Demokratien.  Die Vorzeichen stehen höchst unterschiedlich. Besonders im Fokus sind  die ewigen Rivalen USA und Russland. Im einen Land wurden Opposition und regimekritische Medien vom Langzeitpräsidenten Wladimir Putin längst ausgeschaltet. Im anderen fürchten Liberale genau das, sollte Trump wiedergewählt werden. Und wenn Indien im Mai  gewählt hat, könnte es sein, dass der Hindu-Nationalismus erstarkt  und die liberale Demokratie auch im bevölkerungsreichsten Land der Welt geschwächt worden ist.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung, Schutz der Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit für uns selbstverständlich. Vielleicht scheint die Demokratie deshalb schal geworden zu sein. Bereits 2017 sorgte sich Philipp Blom in seinem Buch Was auf dem Spiel steht: „Demokratie ist kein Naturzustand, sie ist etwas sehr, sehr Künstliches. Die menschliche Natur ist nicht demokratisch, sondern ziemlich autokratisch“, meinte der Historiker damals.

Umfragen geben ihm recht. Das Wahlvolk gibt nicht erst seit Corona und Kriegsbeginn immer öfter zu Protokoll, mit dem Funktionieren der Demokratie nicht zufrieden zu sein. Mehr noch: Viele wünschen sich einen starken Mann an der Spitze des Landes (in Österreich waren es 2023 immerhin 19 Prozent, Quelle: Österreichischer Demokratie Monitor). Das gilt nicht nur für einzelne Länder, sondern ist ein globales Phänomen.

Nicht selbstverständlich

Das hatten wir schon einmal: Die Weltwirtschaftskrise 1929 mit Massenarbeitslosigkeit schuf den Nährboden, den die Feinde der Republik nutzen, um die Demokratie zu diffamieren. Auch heute erleben viele Menschen das 21. Jahrhundert als Dauerkrise. Man demonstriert – gegen soziale Schlechterstellung, Sparprogramme, die Corona-Pandemie, den Klimawandel, den Krieg und Israel, gegen rechts, gegen links und „die da oben“.

Schon tauchen Kassandrarufer auf, wonach es „keineswegs selbstverständlich“ sei, dass die westliche Demokratie überlebe. Das meint etwa der deutsche Ex-Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle. „Es kann durchaus sein, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweist“. Es sei möglich, dass „danach wieder die dunkle Zeit des Totalitarismus zurückkehrt“, warnt er und verweist auf die attische Demokratie im antiken Griechenland, die ebenfalls keinen Bestand gehabt habe.

Geschichte der Demokratie

Womit wir bei den Anfängen der uns so selbstverständlichen Volksherrschaft sind. Zwischen 508 und 322 vor Christus gehorchen nämlich bereits die alten Athener keinem König mehr, sondern nur sich selbst. Bis heute gilt diese Zeit in der Geschichte der Demokratie als Glücksfall.

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