Warum die Demokratie keine Diktatur der Mehrheit ist
"Verfassung, Verfassung!“ rufen Tausende Demonstranten am 13. März 1848 in Wien. Gerade fegt ein beispielloser politischer Sturm über Europa: Ausgehend von Paris lehnen sich Menschen vielerorts gegen die Monarchien auf, begehren Demokratie und Selbstbestimmung. Doch die alten Eliten sind militärisch überlegen und schlagen brutal zurück.
Einmal noch siegen die Fürsten. Aber der Sturm der Revolutionen offenbart, dass sich ihre Zeit dem Ende zuneigt. Schließlich zerbricht nicht nur das Habsburgerreich im Ersten Weltkrieg – Europa wird im Laufe des 20. Jahrhunderts nach und nach zu einem Kontinent der Demokratien.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung, Schutz der Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit für uns selbstverständlich. Vielleicht scheint die Demokratie deshalb schal geworden zu sein. Bereits 2017 sorgte sich Philipp Blom in seinem Buch Was auf dem Spiel steht: „Demokratie ist kein Naturzustand, sie ist etwas sehr, sehr Künstliches. Die menschliche Natur ist nicht demokratisch, sondern ziemlich autokratisch“, meinte der Historiker damals.
Umfragen geben ihm recht. Das Wahlvolk gibt nicht erst seit Corona und Kriegsbeginn immer öfter zu Protokoll, mit dem Funktionieren der Demokratie nicht zufrieden zu sein. Mehr noch: Viele wünschen sich einen starken Mann an der Spitze des Landes (in Österreich waren es 2023 immerhin 19 Prozent, Quelle: Österreichischer Demokratie Monitor). Das gilt nicht nur für einzelne Länder, sondern ist ein globales Phänomen.
Nicht selbstverständlich
Das hatten wir schon einmal: Die Weltwirtschaftskrise 1929 mit Massenarbeitslosigkeit schuf den Nährboden, den die Feinde der Republik nutzen, um die Demokratie zu diffamieren. Auch heute erleben viele Menschen das 21. Jahrhundert als Dauerkrise. Man demonstriert – gegen soziale Schlechterstellung, Sparprogramme, die Corona-Pandemie, den Klimawandel, den Krieg und Israel, gegen rechts, gegen links und „die da oben“.
Schon tauchen Kassandrarufer auf, wonach es „keineswegs selbstverständlich“ sei, dass die westliche Demokratie überlebe. Das meint etwa der deutsche Ex-Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle. „Es kann durchaus sein, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweist“. Es sei möglich, dass „danach wieder die dunkle Zeit des Totalitarismus zurückkehrt“, warnt er und verweist auf die attische Demokratie im antiken Griechenland, die ebenfalls keinen Bestand gehabt habe.
Geschichte der Demokratie
Womit wir bei den Anfängen der uns so selbstverständlichen Volksherrschaft sind. Zwischen 508 und 322 vor Christus gehorchen nämlich bereits die alten Athener keinem König mehr, sondern nur sich selbst. Bis heute gilt diese Zeit in der Geschichte der Demokratie als Glücksfall.
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