Dabei wissen Historiker: Unsere Vorfahren haben jahrhundertelang gegendert, es allerdings nicht so genannt. Im Mittelalter war von „Gästin“ und „Bürgerin“ die Rede. Die Sprache – sogar die Amtssprache – trug der Existenz beider Geschlechter Rechnung; sie verließ sich nicht auf Fußnoten, um diese Wirklichkeit abzubilden.
Auch die Historikerin Waltraud Schütz findet in ihren Quellen aus dem Biedermeier gegenderte Berufsbezeichnungen: „Nüchtern betrachtet ging es einfach darum, die Gegebenheiten sichtbar zu machen: Wenn Schülerinnen und Schüler im Raum waren, wurde von Schülerinnen und Schülern berichtet. Eine Graveurin wäre nicht als Graveur bezeichnet worden, eine Lehrerin nicht als Lehrer. Es ging um Genauigkeit, nicht um ideologisch aufgeladene Fragen.“
Gleichzeitig „verschwand“ die Erwerbstätigkeit von Frauen oft gänzlich in Matrikenbücher-Einträgen, hat die Historikerin beobachtet:
Alles also nicht so eindeutig und im Fluss. Fest steht aber, dass der Kampf gegen Gendersternchen und andere Versuche, eine geschlechtergerechte Sprache umzusetzen, mittlerweile in den Kriegsmodus gewechselt ist, wie die deutsche Kulturtheoretikerin Christina von Braun im Magazin Focus diagnostiziert.
Daher: Emotion raus, historische Fakten rein.
Was ist "normal"
Ja, alle Veränderungen der Sprache rütteln an lieb gewordenen Vorstellungen von „Normalität“. Doch das, was wir für normal halten, muss es historisch gesehen gar nicht sein. Nehmen wir nur das generische Maskulinum, laut dem die Frauen und andere Geschlechter „mitgemeint“ seien. Das sei keineswegs „sprachursprünglich, weder im Deutschen noch im Englischen oder Französischen. Im Gegenteil, es entstand vor gar nicht so langer Zeit in einem gewaltsamen Akt der Sprachumgestaltung“, weiß von Braun.
Der Mittelalterforscher Andreas Zajic hat sich für den KURIER das Wiener Stadtrecht von 1221 angeschaut und kommt zum Schluss, dass das Deutsch – anders als lateinische Gesetzestexte, die sich an beide Geschlechter gleichermaßen richteten – damals kein generisches Maskulinum kannte. „Männer und Frauen werden hier sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich unterschieden.“ Der Herzog von Österreich spricht von „unser Burger“. „Da geht es immer um den männlichen Bürger“, erklärt Zajic. Zumindest in den ersten Paragrafen, die die wichtigsten Fälle vor städtischen Gerichten abhandeln. „Erst später kommen die unwichtigen Spezialfälle, auch die Frauen – etwa Witwen und Waisen oder Vergewaltigungsopfer. Die Sprache war damals präzise und bildet genau die Realität ab.“
"Sie" muss einen Namen bekommen
Damit sind wir an jenem Punkt, um den es den Gender-Befürwortern geht. Das Argument: Um 1900 gab es weder Wählerinnen noch Professorinnen. Heute gibt es sie – folglich müssen sie auch einen Namen bekommen. Historikerin von Braun: „Man kann versuchen, die Realität durch die Nichtbenennung zu verhindern. Das hält nie lange. Jede neue Wirklichkeit will gesehen, gehört, benannt werden.“
Auch Gabriella Hauch ist überzeugt, "dass es wichtig ist, Frauen in der Sprache ebenfalls sichtbar zu machen. Das war in den Nullerjahren etwa in Verordnungen bereits fast durchgesetzt und wird jetzt massiv angegriffen – durch den Aufschwung des Rechtspopulismus", analysiert sie. "Denn für diese politischen Strömungen sind Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit ein Dorn im Auge. Sie glauben, dass das der Ordnung widerspricht."
Im Geschlechterverhältnis habe sich in den vergangenen 30 Jahren viel geändert, vieles an Unsicherheiten sei aufgebrochen. "Und viele meinen, das letzte, was uns bleibt ist Sprache", sagt Hauch. Wobei: "Sprache bildet Wirklichkeit ab und ist für alle da. Daher glaube ich, sollten alle benannt werden. Ich glaube nicht, dass man ein Regime darüber errichten kann, wer jetzt genannt werden darf und wer nicht." Ihr Plädoyer: "Man muss das fließen lassen, es wird sich was ergeben. Aber nicht hineinregieren."