Wettlauf mit der Zeit: Warum Delta uns jetzt zum Handeln zwingt
Die US-amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC ist alarmiert. Der "Kampf" gegen Corona habe sich "verändert", heißt in einem Bericht, der heute veröffentlicht wurde.
Angesichts neuester Daten zur Ausbreitung der Delta-Variante sei das Impfen nun wichtiger denn je, Masken müssten wieder flächendeckender zum Einsatz kommen. Weitere Mutationen zu verhindern, habe oberste Priorität.
Wie ansteckend ist die Delta-Variante des Coronavirus?
Sehr – oder wie die CDC sagt: So ansteckend wie die Windpocken. Im Klartext heißt das, dass sich fast jeder, der sich einem Infizierten ohne Hygieneregeln nähert, ansteckt. Mögliche Ursache für die hohe Infektiosität ist die im Vergleich zur Ursprungsvariante höhere Viruslast. Delta-Viren vermehren sich schneller im Nasen- und Rachenraum, wie eine chinesische Studie gezeigt hat.
Heinz Burgmann, Infektiologe an der MedUni Wien, kann dem Vergleich etwas abgewinnen: "Es war bekannt, dass bisherige Corona-Varianten weniger infektiös waren als die Windpocken. Nun zeigt sich, dass Delta-Infizierte deutlich mehr andere anstecken, es weniger Viren für eine Ansteckung braucht und die Infektiosität damit an jene der Windpocken herankommt." Das lasse sich auch daran ablesen, dass Delta alle anderen Varianten bereits weitgehend verdrängt habe.
Welche Symptome verursacht die Delta-Variante?
Der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn wird nur mehr selten festgestellt. Die Symptome gleichen eher einer starken Erkältung, wie etwa Kopfschmerzen, rinnende Nase oder eine raue Kehle.
Wie unterscheidet sich die Virus-Weitergabe von Geimpften und Ungeimpften?
Die US-Behörde meint, dass Geimpfte genauso infektiös sein können wie Ungeimpfte, sobald sie sich angesteckt haben. Dem widerspricht Infektiologe Herwig Kollaritsch: "Das sehen wir derzeit nicht. Wäre dem so, wäre die Zahl der Infizierten bei uns weitaus höher, was aber nicht heißt, dass Geimpfte nicht anstecken können." Burgmann hält die Aussagen der CDC durchaus für plausibel: "Bei Delta werden Viren wahrscheinlich länger ausgeschieden. Geimpfte mögen zwar weiterhin Überträger bleiben, aber sie sind gut vor schweren Verläufen geschützt. Deshalb ist eine hohe Durchimpfungsrate so wichtig."
Ob Genesene bei einer Delta-Infektion das Virus in gleichem Ausmaß wie geimpfte Infizierte oder Ungeimpfte weitergeben können, ist derzeit noch nicht wirklich zu beantworten, sagt Burgmann. "Das wird auch davon abhängen, wie sehr das Immunsystem des jeweiligen Menschen sich mit SARS-CoV-2 auseinandergesetzt hat."
Ist die Delta-Variante tödlicher?
Um Gesundheitsmaßnahmen setzen zu können, muss bestimmt werden, wie tödlich ein Krankheitserreger ist. Als wichtige Kennzahl dafür gilt die Case Fatality Rate (CFR). Sie gibt an, wie viele Corona-Infizierte sterben. Britische Daten zeigen, dass die CFR bei Delta derzeit niedriger ist als jene der Alpha-oder Beta-Varianten – der Erreger demnach weniger tödlich ist. Während die Fallsterblichkeit bei Delta im Juni 2021 bei 0,1 Prozent lag, lag sie bei der zuvor dominanten Variante Alpha bei 1,9 Prozent und bei Beta bei 1,4 Prozent.
Allein auf Basis dessen lässt sich allerdings noch nicht beurteilen, ob die Mutation wirklich weniger gefährlich ist, sagt Burgmann. So müsse etwa der Impffortschritt miteinbezogen werden. Auch die jeweils aktuelle Spitalsauslastung und neue Therapiemöglichkeiten machen es schwierig, verschiedene Varianten miteinander zu vergleichen. "Die aktuellen Daten sind Momentaufnahmen. Die Sterblichkeit wird erst im Nachhinein beurteilbar sein."
Welches Risiko geht von Flucht-Mutationen aus?
Delta und niedrige Durchimpfungsraten: Die Kombination bereitet Experten derzeit Sorge. Je häufiger virales Erbgut kopiert wird – sprich, je mehr menschliche Zellen das Virus in Beschlag nimmt –, desto wahrscheinlicher werden Mutationen. "Je länger und breiter SARS-CoV-2 die Bevölkerung durchseucht, desto größer wird das Zeitfenster für die Entstehung neuer, potenziell gefährlicher Varianten", sagt Burgmann. Auch die CDC warnt vor Mutanten. Bis dato würden die Impfstoffe "sehr gut funktionieren" und uns "vor schweren Krankheitsverläufen und dem Tod" schützen.
Die große Gefahr sei, "dass die nächste Variante unsere Impfungen umgehen könnte. Möglicherweise ist sie nur ein paar Mutationen entfernt". Man müsse laut Burgmann schnell eine möglichst große Zahl von Menschen impfen: "Dann hat das Virus gar nicht die Gelegenheit, sich zu viel zu verändern."
Die Grippe-Impfung blockiert die Virusweitergabe nicht zu 100 Prozent. Ist man als Grippe-Geimpfter ähnlich ansteckend wie als Corona-Geimpfter?
"Das kann man pauschal nicht beantworten", sagt Burgmann. Bei der Influenza-Impfung stelle sich jedes Jahr die Frage, wie gut der Impfstoff überhaupt schützt. "Der Grippe-Impfstoff wird auf Basis jenes Grippevirus konzipiert, der auf der Südhalbkugel grassiert, bevor er in unseren Breiten virulent wird." In der Zwischenzeit mutiere das Virus "und es kann passieren, dass der Impfstoff diese Mutationen infolge nicht gut genug abdeckt".
Zudem gebe es bei der Grippe Impfungen, die per Nasenspray verabreicht werden: "Hier kommt ein anderer Mechanismus zum Tragen. Es werden direkt Antikörper an der Schleimhaut im Nasen-Rachen-Raum gebildet, sodass das Virus gar nicht erst in den Körper eindringen kann. Das blockiert die Weitergabe zuverlässig." Bei Impfungen per Spritze bilden sich primär Antikörper im Blut, "was im Falle einer Infektion die Vermehrung des Virus, aber nicht die Weitergabe vollkommen hemmt".
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