Long Covid: Wie gefährdet sind ungeimpfte Junge?
Über 630.000 Menschen haben in Österreich bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht. Die unangenehmen Nachwirkungen sind viele nach wie vor nicht los.
Die diversen Langzeitfolgen, die bei Genesenen auftreten können – Abgeschlagenheit, Husten, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Geschmacksverlust, Kopf-, Bauch-, Muskel- und Gelenkschmerzen aber auch Hautausschläge – werden inzwischen unter dem Begriff "Long Covid" (auch "Post-Covid-Syndrom") zusammengefasst.
"Die gängige Schätzung zur Häufigkeit ist, dass zehn bis 15 Prozent der Leute auch nach eher milden und teilweise asymptomatischen Verläufen über Monate, wenn nicht sogar noch länger, anhaltende Probleme haben", sagt der Neurologe Michael Stingl aus Wien: "Letztendlich wissen wir es noch nicht ganz genau. Die Leistungsfähigkeit ist oft nicht mehr gegeben. Banale Tätigkeiten führen oft zu sehr langen Zuständen, wo man sich hinlegen oder hinsetzen muss und sich krank fühlt."
In einer aktuellen Studie, die jetzt im Fachblatt PLOS ONE erschienen ist, berichten Forscher, dass über ein Viertel der infizierten Erwachsenen angibt, sich nach sechs Monaten noch nicht von der Erkrankung erholt zu haben.
Höheres Risiko für Frauen
Für die Erhebung rekrutierten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich 431 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Durchschnittsalter 47 Jahre), die zwischen Februar und August 2020 positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Sie füllten sieben Monate nach ihrer Diagnose einen Online-Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand aus. 89 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelten Symptome, 19 Prozent mussten im Krankenhaus behandelt werden.
26 Prozent gaben an, sich sechs bis acht Monate nach der Diagnose nicht vollständig erholt zu haben. 55 Prozent berichteten von anhaltender Müdigkeit, 25 Prozent von Kurzatmigkeit, 26 Prozent bemerkten eine depressive Symptomatik. Bei Frauen und Hospitalisierten waren die Beschwerden am ausgeprägtesten.
Auch für manche Kinder folgenschwer
Auch Kinder können langfristig mit Covid-19 zu kämpfen haben. Die Daten zur Häufigkeit variieren je nach Untersuchung. Eine heuer im Jänner veröffentlichte italienische Studie zeigte, dass mehr als ein Drittel von 130 infizierten Kindern zwischen sechs und 16 Jahren vier Monate nach der Infektion an ein oder zwei dauerhaften Symptomen litt, ein weiteres Viertel sogar über drei oder mehr Symptome berichtete. Auch Kinder, die einen asymptomatischen oder milden Verlauf hatten, waren betroffen.
Umfragedaten aus Großbritannien, die im April 2021 publiziert wurden, legen nahe, dass Long-Covid- Symptome bei Kindern im Alter von zwei bis 16 Jahren deutlich weniger verbreitet sind als in der Gruppe der Über-25-Jährigen. "Wir gehen derzeit davon aus, dass rund 15 Prozent der infizierten Kinder Long Covid durchmachen", sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien. "Das gibt es bei der Grippe nicht. Dort macht man die akute Erkrankung durch, dann hat man noch eine Rekonvaleszenzphase von ein bis zwei Wochen. Dass man deutlich länger nicht belastbar ist, das ist bei der Influenza nicht bekannt." Das Problem an der aktuellen Situation sei, dass "die Bevölkerungsgruppe durchseucht werden wird, in der noch keine ausreichende Immunität besteht. Und damit rutschen wir automatisch zu den Kindern".
Darauf, dass Kinder ähnliche Long-Covid-Symptome entwickeln können wie Erwachsene, deutet eine kleine Erhebung des schwedischen Karolinska-Instituts vom November 2020 hin: Es wurden fünf Kinder auf potenziell lang anhaltende Folgen untersucht, sie waren zwischen neun und 15 Jahre alt, vier davon waren Mädchen. Nach ihrer Covid-19-Diagnose (keine Hospitalisierung) litten die Kinder sechs bis achte Monate lang an Beschwerden. Alle fünf Kinder laborierten an Müdigkeit, Atemnot, Herzrasen oder Brustkorbschmerzen, vier hatten Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskelschwäche, Schwindel und Halsschmerzen. Einige der Symptome hatten sich nach sechs bis acht Monaten gebessert, in die Schule war zu diesem Zeitpunkt keines der Kinder zurückgekehrt.
Laut einer ganz aktuellen Untersuchung kann sich Long Covid mit 200 verschiedenen Symptomen manifestieren.
In einer russischen Studie, die im European Respiratory Journal erschienen ist, ist ebenfalls davon die Rede, dass ein beträchtlicher Teil jener Kinder, die wegen Covid-19 im Spital behandelt werden mussten, sich nur langsam erholen. Ein Viertel der untersuchten Kinder (Durchschnittsalter zehn Jahre) hatte noch bis zu acht Monate nach dem Krankenhausaufenthalt anhaltende Symptome. Höheres Alter und Allergien waren mit einem höheren Risiko verbunden.
Long Covid oder Long Lockdown
Heftig diskutiert wird, ob alle diese Symptome auf die Virusinfektion an sich, oder teilweise nicht auch auf die Folgen von Schulschließungen und die psychisch belastete Gesamtsituation zurückzuführen sind.
So kam eine Studie mit Daten von 23.000 Haushalten aus England und Wales im Juni zu dem Ergebnis, dass 4,6 Prozent der infizierten Kinder an Symptomen litten, die länger als vier Wochen andauerten. Fazit: "Auch Kinder bekommen Long Covid – aber Forschende arbeiten noch daran, herauszufinden, wie oft und wie schwer sie es bekommen", heißt es dazu im Wissenschaftsmagazin Nature. Wie lange dauern die Symptome an? "Das weiß derzeit niemand."
Die Autorinnen und Autoren einer Studie der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden mit 1.560 Schülerinnen und Schüler im durchschnittlichen Alter von 15 Jahren kamen kürzlich zu dem Schluss, dass auch der Lockdown physische und psychische Folgen für Heranwachsenden bergen und womöglich zu Long-Covid-ähnlichen Symptomen führen kann. Von den Schülerinnen und Schülern hatten sich zwölf Prozent mit dem Virus infiziert. Bei der Mehrheit (88 Prozent) fiel der Corona-Antikörper-Test negativ aus. Post-Covid-Symptome waren bei mindestens 35 Prozent sieben Tage vor der Befragung vorhanden.
Allerdings konnte kein Unterschied beim Vergleich der berichteten Symptome zwischen seropositiven und seronegativen Kinder ermittelt werden. Dies deute darauf hin, "dass Long Covid möglicherweise weniger häufig vorkommt als bisher angenommen und unterstreicht die Auswirkungen von pandemieassoziierten Symptomen auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von jungen Heranwachsenden", heißt es dazu in der Studie.
Was genau Long Covid verursacht, ist noch nicht vollständig geklärt. Zum einen könnten virusbedingte Zellschäden, etwa an der Lunge, einige Beschwerden erklären. Denkbar ist auch, dass bei Betroffenen die Abwehrreaktionen des Immunsystems kein Ende finden und es so zu langwierigen Verläufen kommt. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 zieht zudem das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft, auch nachdem die Betroffenen wieder genesen sind. Auch hier wurde gezeigt, dass Covid19 so etwas verursachen kann.
Ein Verdacht ist, dass Viruspartikel im Körper anhaltend vorhanden sein könnten und so eine wiederholte Reaktion des Immunsystems auslösen, sagt Neurologe Stingl. "Eine andere Möglichkeit ist, dass es durch die Infektion zu einer Reaktivierung anderer, bereits im Körper schlummernder Viren kommt. Das kann dann ebenfalls zu einer verstärkten Aktivierung des Immunsystems führen.
Junge im Visier des Virus
Doch so oder so könnte sich das Problem verschärfen, wenn jetzt vor allem jüngere Altersgruppen infiziert werden. So zeigte etwa eine im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie, dass sich die Delta-Variante hauptsächlich unter Jüngeren ausbreitet. "Das Risiko einer Spitalsaufnahme wegen Covid-19 war bei mit der Delta-Variante Infizierten ungefähr doppelt so hoch wie bei jenen mit der Alpha-Variante."
"Viele meinen, so lange die Krankenhäuser nicht überlastet seien, sei alles gut", schreibt der Mikrobiologe Michael Wagner von der Universität Wien auf Twitter: "Laut aktueller Literatur leiden je nach Zeitpunkt zwischen 10 und 60 Prozent der Covid-19–Patientinnen und Patienten an Folgeschäden. Dies betrifft Menschen mit schweren und milden Verläufen."
Der Mikrobiologe und Science Buster Martin Moder zitierte auf Twitter aus einer vorveröffentlichten kanadischen Studie, wonach sich die Hinweise mehren würden, "dass Delta bei Ungeimpften häufiger zu schweren Verläufen führt". In dem Tweet ist zu lesen: "Delta im Vergleich zum ursprünglichen Coronavirus: Chance auf Hospitalisierung +120 %, Intensiv-Einlieferung +287 %, Tod +137 %." Für die Arbeit "wurden über 200.000 Fälle auswertet, wobei Faktoren wie Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen etc. herausgerechnet wurden. Die Arbeit deckt sich mit Daten aus Schottland, die ebenfalls ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe nahelegen".
"Why?", fragt Moder und liefert eine mögliche Antwort: "Delta dürfte mit einer stark erhöhten Viruslast einhergehen, zumindest zu Beginn der Infektion. Laut dieser Arbeit rund 1.000 Mal höher als bei den ursprünglichen Varianten. Ist wohl Teil der Erklärung, weshalb das Drecksding so verdammt ansteckend ist."
Wirksame Impfung
Jüngste Untersuchungen aus Großbritannien ergaben laut Guardian, dass Long Covid im mittleren Alter (17 Prozent) deutlich häufiger vorkommt als bei jüngeren Menschen (7,8 Prozent). Etwa 1,2 Prozent der 20-Jährigen und 4,8 Prozent der Personen mittleren Alters gaben an, das die Beschwerden sie im Alltag beeinträchtigen. Frauen und Asthma-Patienten leider eher an Long Covid.
Laut Claire Steves, Epidemiologin am King’s College London und Hauptautorin der sogenannten Rekonvaleszenz-Studie, seien die kommenden Wochen besonders riskant, da die Öffnungsschritte in England auf viele ungeimpfte junge Erwachsene treffen. Die Impfstoffe seien ein Hoffnungsschimmer, was Long Covid betrifft: Eine Impfung könne das Risiko einer langen Covid-Erkrankung erheblich reduzieren. "Wir wissen, dass Impfstoffe dazu beitragen, das Infektionsrisiko zu verringern, wenn man dann das Pech hat, Covid zu bekommen, zeigt sich, dass das Risiko für eine lange Covid-Erkrankung stark reduziert ist."
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