Kreuzimpfung: Soll man jetzt den Impfstoff wechseln, oder nicht?
Die Verwirrung ist mittlerweile groß: Wenn die erste Impfung mit dem Produkt von Astra Zeneca erfolgte, soll man dann versuchen, als Zweitimpfung einen mRNA-Impfstoff (Biontech/Pfizer, Moderna) zu erhalten? Bringt das wirklich einen Vorteil? Ist man dann im Alltag tatsächlich besser geschützt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum sind Kreuzimpfungen überhaupt so ein Thema geworden?
Befeuert wurde die Debatte zuletzt durch im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studienergebnisse mit 463 Teilnehmern: Bei der Kombination von zuerst Astra Zeneca und danach Biontech/Pfizer war die mittlere Antikörperkonzentration um das 9,2-Fache höher als bei der zweifachen Impfung mit Astra Zenca. Auch in einer Untersuchung zur Wirksamkeit der Abwehrzellen (T-Zellen) war das Ergebnis für die zweifache Impfung mit Astra Zeneca am schlechtesten im Vergleich zu zwei Mal Biontech / Pfizer oder den Kombinationen Astra Zeneca / Pfizer bzw. auch Pfizer / Astra Zeneca. Die höchste Antikörperkonzentration wurde nach der zweifachen Biontech/Pfizer-Impfung gemessen, die stärkste T-Zell-Antwort bei der Kombination von Astra Zeneca (zuerst) mit Biontech/Pfizer (Zweitimpfung).
Wenn der Impfstoffwechsel eine deutlich höhere Antikörperproduktion bringt: Spricht das dann nicht für einen Wechsel?
"Dieses heterologe Impfen führt zwar zu einer etwas besseren Immunantwort, aber wir wissen nicht, ob das auch tatsächlich eine bessere klinische Effektivität bedeutet – also einen höheren Schutz im echten Leben", sagt der Infektiologe Herwig Kollaritsch, Mitglied im Nationalen Impfgremium. "Und die neuesten Daten zeigen einen praktisch unveränderten Schutz von zwei gleichen Teilimpfungen auch gegen Delta – bei leichten Fällen ist er eine Spur schlechter, aber das ist marginal."
Und Delta? Wirken da die Impfstoffe nicht schlechter?
Tatsächlich zeigen neue Daten des israelischen Gesundheitsministeriums, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer eine Infektion und eine milde Erkrankung nur noch zu 64 Prozent, Krankenhausaufenthalte und schwere Verläufe aber zu 93 Prozent verhindert. Das Mittel von Biontech und seinem US-Partner Pfizer, verhindert eine Infektion und eine Erkrankung wohl nur noch zu 64 Prozent, Krankenhausaufenthalte sowie schwere Verläufe zu 93 Prozent. Eine kanadische Studie wiederum zeigte eine Schutzwirkung von 87 Prozent, eine schottische von 79 Prozent.
"Wir dürfen nicht zu viel Augenmerk auf einzelne Zahlen legen, sondern müssen sie als kleine Stücke eines Puzzles betrachten", wird die Biostatistikerin Natalie Dean von der Emory Universität in der New York Times zitiert. Eines haben aber alle Studien gemeinsam: Die Impfungen in ihrem zugelassenen Schema (zwei Mal dasselbe Präparat) sind sehr effektiv in der Verhinderung von schweren Erkrankungsfällen. Deshalb sieht ein Teil der Experten keine Notwendigkeit für einen Impfstoffwechsel.
Wie lautet jetzt die Position des Nationalen Impfgremiums (NIG) in Österreich genau?
Kurz zusammengefasst: Es gibt keine Empfehlung für das Impfstoffwechseln, aber es soll die Möglichkeit dazu geben. Konkret heißt es nun, dass ein Impfstoffwechsel gerechtfertigt ist, wenn "nach einer 1. Dosis schwere Nebenwirkungen aufgetreten" sind, oder "dies aus Sicht der zu impfenden Person dringend wünschenswert" ist. Auch Frauen, die nach der ersten Impfung mit Astra Zeneca schwanger geworden sind, sollen als Zweitimpfung einen mRNA-Impfstoff erhalten.
Wie kommt man in der Praxis jetzt zu einer anderen Zweitimpfung?
Mit Ausnahme von Wien sind die Bundesländer da sehr zurückhaltend. Wer in Wien daran interessiert ist, kann sich bei der Hotline 1450 einen entsprechenden Termin ausmachen. In allen anderen Bundesländern wird nur bei medizinischer Notwendigkeit – gemäß den Empfehlungen des NIG – der Impfstoff gewechselt. Niedergelassene Ärzte führen solche heterologen Impfungen teilweise auch ohne medizinische Gründe durch, "oder wenn der Patient explizit darauf besteht", erklärt Rudolf Schmitzberger. Allerdings: Verpflichtet dazu ist der Arzt nicht. Und der Patient müsse aufgeklärt werden, dass es sich um eine Anwendung außerhalb des Zulassungsbereiches handelt.
Warum wird das mit der Anwendung außerhalb des Zulassungsbereiches (Off-Label) immer so betont?
Weil man sich damit laut Kollaritsch rechtlich in einem anderen Umfeld bewegt: "Zum einen besteht eine erhöhte Aufklärungspflicht. Es muss sichergestellt sein, dass der Patient wirklich alle Risiken versteht. Zum anderen trägt der impfende Arzt die alleinige Verantwortung, die Hersteller und auch die Arzneimittelbehörde können sich hingegen der Verantwortung entziehen." Und: Laut Ärztekammer sei auch noch nicht geklärt, ob bei seltenen Nebenwirkungen das Impfschadengesetz zur Anwendung kommen könne. Kollaritsch: "Für eine Off-Label-Anwendung braucht es eine stichhaltige Begründung, die es aus meiner Sicht im Regelfall nicht gibt."
Gibt es in Österreich auch Befürworter des Impfstoffwechsels?
Ja. Der Virologe Norbert Nowotny von der Veterinärmedizinischen Universität in Wien etwa begrüßt alle Erleichterungen in diese Richtung: "Ich hoffe, dass die Möglichkeit auf Kreuzimpfungen bald auch abseits der medizinischen Notwendigkeit gegeben sein wird." Für den Virologen ist die Datenlage ausreichend, um heterologes Impfen zu empfehlen: "Gerade im Hinblick auf die massive Ausbreitung der Delta-Variante." Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein tendiert in diese Richtung: "Wir sind da noch ein bisschen vorsichtig, aber es zeigt sich bei zunehmender Datenlage, dass die heterologe Impfung eine gute Idee ist."
Ist jetzt die Ärztekammer für den Impfstoffwechsel oder nicht?
Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres sprach sich am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal für einen mRNA-Impfstoff als Zweitimpfung nach Astra Zeneca aus. Er gehe davon aus, dass das Nationale Impfgremium eine "Meinung abgeben wird, die ähnlich ausfallen wird wie in Deutschland, dass man den Wechsel auch empfehlen kann und wird". Es mache aber auch nichts, "wenn man sich zweimal mit demselben Impfstoff impfen lässt. Wichtig ist, dass man sich zweimal impfen lässt", sagte er.
Am Donnerstag schwächten Vertreter der Ärztekammer die Aussagen von Präsident Szekeres ab: Daraus eine bedingungslose Empfehlung für Kreuzimpfungen abzuleiten, sei nicht angebracht. Man fühle sich etwas missverstanden, die Aussagen des Ärztekammer-Präsidenten seien teilweise verkürzt verbreitet worden. Man unterstütze die Sichtweise des Nationalen Impfgremiums, dass der Impfstoffumstieg in den aktuellen Anwendeempfehlungen nicht ohne Vorbehalte befürwortet werde. Und man empfehle, eine Impfserie mit jenem Impfstoff, der beim Erststich verabreicht wurde, auch zu beenden.
"Es ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht notwendig, dass man heterologes Impfen breit einführt und sich damit in die Off-Label-Anwendung der Impfstoffe begibt", sagt Schmitzberger.
In Deutschland wird das aber ganz anders gesehen?
Die deutsche ständige Impfkommission empfiehlt jetzt Menschen jeglichen Alters, die ihre erste Impfdosis mit Astra Zeneca erhalten haben, als Zweitimpfung einen mRNA-Impfstoff (Biontech/Pfizer, Moderna), weil die Immunantwort "deutlich überlegen" sei. Allerdings wurde in Deutschland schon davor nur Impfwilligen ab 60 Jahren nach einer Astra-Zeneca-Erstimpfung auch eine solche Zweitimpfung empfohlen, wegen des erhöhten Thromboserisikos bei jüngeren Menschen. Eine derartige Einschränkung gibt es in Österreich ebenfalls nicht.
"Aus medizinisch-immunologischer Sicht ist die Empfehlung der STIKO sinnvoll", schreibt der deutsche Impfstoffforscher Leif-Erik-Sander in einer Stellungnahme an das Science Media Center Deutschland. "Allerdings sind die zugrundeliegenden Studiendaten noch überschaubar und befinden sich zumeist noch im nicht-begutachteten Preprint-Stadium. Darüber hinaus beziehen sich die Daten auf nur einige hundert Probanden, die allerdings klar zeigen, dass das heterologe Impfschema – erste Impfdosis mit Vaxzevria von Astra Zeneca und die zweite mit einem mRNA-Impfstoff – einer homologen Impfung (also zwei Dosen Vaxzevria) überlegen ist, weil sie eine stärkere Immunantwort aktiviert. Nichtsdestotrotz bietet die homologe Impfung mit Vaxzevria ebenfalls einen guten Schutz, das zeigen Daten aus Großbritannien."
Und wie sieht das eigentlich der Autor der Studie, die diese bessere Immunantwort belegt hat?
Eher entspannt. Mattew Snape von der Universität Oxford tritt trotz dieser Studienergebnisse dafür ein, in erster Linie die zugelassenen Impfschemen einzuhalten: "In erster Linie ist es besser, sich an jene Schemen zu halten, von denen wir eine belegte Wirksamkeit haben. Wir wissen, dass zwei Dosen von Astra Zeneca Krankheiten verhindern, wir wissen, dass zwei Dosen von Pfizer Krankheiten verhindern. Beide funktionieren sehr gut. Und wir haben eine sehr große Datenbasis zur Sicherheit beider Impfstoffe im Standard-Schema."
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