Jeder fünfte Symptomlose bekommt Long Covid
Die umfassende Studie mit den Daten von zwei Millionen Menschen, die sich im vergangenen Jahr mit SARS-CoV-2 infizierten, lässt aufhorchen: Jeder Vierte entwickelte einen Monat nach der Infektion oder später Gesundheitsprobleme.
Das betrifft auch Menschen, die eine symptomlose Infektion hatten – von ihnen hatte jeder Fünfte Long-Covid-Symptome. Bei jenen, die im Spital behandelt werden mussten, war es sogar jeder Zweite. Bei leichten oder mittelschweren Symptomen entwickelte jeder Vierte gesundheitliche Probleme.
KURIER Talk Michael Stingl
Häufig Schmerzen
Am häufigsten waren Schmerzen (5 %), etwa in Nerven und Muskeln, und Atembeschwerden (3,5 %), einschließlich Kurzatmigkeit, sowie Unwohlsein und Müdigkeit (3 %). Außerdem wurden ein hoher Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, Darmsymptome, Migräne, Hautprobleme, Herzanomalien, Schlafstörungen sowie psychische Erkrankungen wie Angst und Depression mehrfach genannt.
Betroffen waren alle Altersgruppen, auch Kinder. „Für uns war vor allem der hohe Prozentsatz asymptomatischer Patienten, die Long Covid entwickelten, überraschend. Es gibt Menschen, die vielleicht gar nicht wissen, dass sie Covid gehabt haben, und nun einige dieser Symptome aufweisen. Für ihre weitere Behandlung kann es helfen, diesen Zusammenhang zu kennen“, sagt Studienautorin Robin Gelburd.
Zwar gibt es keine einheitliche Therapie, sondern es werden die Symptome behandelt. Für die Diagnose ist es aber notwendig, Long Covid mitzudenken, erklärt Neurologe Michael Stingl. „Wenn jemand Symptome wie Erschöpfung oder Schwindel entwickelt, die sich nach Anstrengung verschlechtern, dann sollte auf jeden Fall in diese Richtung gedacht werden. Nur Antikörper zu haben, ist aber kein Grund zur Sorge.“
Antikörper messen?
Stingl hat immer wieder Patienten, die während ihrer Infektion keine Symptome hatten, aber ein, zwei Monate später Long-Covid-Symptome entwickelten. Die Allermeisten bekommen nach einer symptomlosen Infektion aber keine Long-Covid-Symptome. „Der Antikörperspiegel alleine ist nicht aussagekräftig. Ich halte nichts davon, dass sich jetzt jeder auf Antikörper testen lässt. Aber bei Symptomen, etwa bei länger anhaltender unklarer Erschöpfung, ist das sinnvoll“, betont der Neurologe.
Neben der symptomatischen Behandlung ist es wichtig, bei Long-Covid-Symptomen Anstrengung zu vermeiden. Dieses als „Pacen“ bezeichnete Runterfahren führe in den meisten Fällen zu einer langsamen Verbesserung des Zustandes. Das falle vielen Patienten nicht leicht, erzählt Stingl, da sie sich sogar bei scheinbar banalen Alltagstätigkeiten nicht überanstrengen dürfen. Tun sie es doch, verschlechtert sich meist der Zustand und die Symptome können chronisch werden.
Das Krankheitsbild von Long Covid ist als postvirale Fatigue auch nach anderen Virusinfekten bekannt. Es kommt dabei wahrscheinlich zu einer überschießenden Immunreaktion. Die Ursachen dafür sind noch nicht ausreichend erforscht, es gibt aber unterschiedliche Hypothesen. Eine ist, dass noch Viruspartikel im Körper vorhanden sein können und wiederholt das Immunsystem aktivieren. Eine andere besagt, dass es zu einer Reaktivierung anderer, bereits im Körper vorhandener Viren kommt, was wiederum das Immunsystem aktiviert. Möglich ist auch, dass beides gleichzeitig auftritt. Stingl: „Postvirale Fatigue sollte in Zukunft als Differenzialdiagnose bedacht werden, unabhängig von Corona.“
Definition fehlt
Problematisch sei, dass eine genaue Definition von Long Covid noch fehle. Derzeit fallen viele verschiedene Symptome unter den Begriff. Gemeint sind zudem sowohl Patienten, die unter den Folgen einer Behandlung auf der Intensivstation leiden, ebenso wie junge Patienten, deren Infektion symptomlos verlaufen ist, die nun aber unter Erschöpfung und Konzentrationsproblemen leiden.
Die Daten der Covid-Infizierten stammen aus der Datenbank einer privaten amerikanischen Krankenversicherung. Sie erhielten zwischen Februar und Dezember 2020 die Diagnose Covid-19. Etwa die Hälfte der zwei Millionen Menschen gab an, keine Symptome gehabt zu haben. 40 Prozent hatten Symptome, mussten aber nicht im Krankenhaus behandelt werden, darunter war ein Prozent, die als alleiniges Symptom Geruchs- und Geschmackverlust angaben. Fünf Prozent der Personen wurden im Krankenhaus behandelt.
Einschränkend ist, dass die Studie nur Daten infizierter Personen berücksichtigt, diese aber nicht mit Nicht-Infizierten vergleicht. Damit ist unklar, wie häufig die unspezifischen Symptome wie Müdigkeit in dieser Vergleichsgruppe auftreten.
Kommentare