Eine Freundin habe ihn dann dazu ermutigt, einen Antikörpertest zu machen. Trotz regelmäßiger negativer Corona-Tests hatte Reimon Antikörper, also ohne es zu merken, eine Infektion durchgemacht. In weiterer Folge erhielt er die Long-Covid-Diagnose.
Etwa 10 bis 20 Prozent der Covid-Infizierten leiden laut Studien unter Langzeitfolgen, von denen auch Reimon berichtet. Von Long Covid spricht man, wenn die Symptome vier bis zwölf Wochen nach überstandener Covid-Infektion auftreten. Am häufigsten kommt es zu körperlicher und kognitiver Erschöpfung, Problemen bei Konzentration und Merkfähigkeit, Kreislaufproblemen, Gelenksschmerzen, Atemnot und Verdauungsschwierigkeiten. Auch der Schlaf ist oft nicht erholsam.
Eine einheitliche Therapie gibt es nicht, es werden die Symptome behandelt, also etwa medikamentös bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen, erklärt der Neurologe Michael Stingl, der einige Long-Covid-Patienten behandelt: „Das Wichtigste ist, sich nicht zu überanstrengen, auch nicht mit scheinbar banalen Alltagstätigkeiten – denn dann verschlechtert sich meist der Zustand und die Symptome können chronisch werden. Das ist für die meisten Patienten sehr schwierig, da sie nicht gewohnt sind, so stark zurückzufahren.“ Epileptische Anfälle, wie Reimon sie berichtet, sind laut Stingl nicht typisch für Long Covid, es könne aber sein, dass Infekte epileptische Anfälle auslösen.
Dieses als „Pacen“ bezeichnete Runterfahren, ebenso wie eine symptomatische Behandlung führe in den meisten Fällen zu einer langsamen, aber konstanten Verbesserung des Zustandes. Auch mit Behandlung dauere das aber mitunter mehrere Monate. Noch gibt es wenig Erfahrungswerte zur Dauer von Long Covid.
Dass die Covid-Impfung zu Verbesserungen führt, wie einzelne Studien nahelegen, konnte Stingl in der Praxis nur selten beobachten. „Die Impfung ist definitiv nicht die Heilung von Long Covid, aber es gibt Patienten, bei denen sich die Symptome danach verbesserten. Bei den meisten meiner Patienten war der Zustand auch nach der Impfung unverändert.“
Dass es zu weiteren Symptomen nach einer viralen Infektion kommt, sei nichts Neues – Long Covid ist aber ein neuer Begriff für das bekannte Phänomen der postviralen Fatigue. „Durch den neuen Namen und die Vielzahl der Betroffenen wird nun genau hingeschaut, es gibt aber noch keine Diagnosekriterien“, erklärt Stingl.
Da eine genaue Definition von Long Covid noch fehlt, umfasse der Begriff Patienten, die unter den Folgen einer Behandlung auf der Intensivstation leiden, genauso wie solche mit schweren Lungenschäden oder junge Patienten, die unter Erschöpfung und Konzentrationsproblemen leiden.
Damit einher geht auch ein Mangel an Anlaufstellen für Patienten. Michel Reimon schreibt in seinem Posting, dass Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein eine Arbeitsgruppe einrichtet, um Hausärzte noch besser für die Diagnose von Long Covid zu wappnen. Für Stingl ist das der richtige Weg: „Hausärzte sind für viele Betroffene die erste Anlaufstelle und es ist wichtig, dass sie wissen, dass Long Covid überhaupt existiert. Trotzdem wird man nicht darum herumkommen, spezialisierte Ambulanzen einzurichten.“ Noch gibt es wenige solcher Ambulanzen wie etwa am AKH Wien, an denen Vertreter unterschiedlicher beteiligter Fachrichtungen die Betroffenen behandeln können.
Neurologe Stingl sieht auch Anpassungsbedarf bei der Reha von Long-Covid-Patienten. Da sie lange nicht so leistungsfähig sind wie andere Covid-Genesene, fruchte die herkömmliche Reha bei ihnen nicht. Long Covid tritt typischerweise übrigens bei Patienten auf, die einen milden Verlauf hatten. Bei Patienten mit schweren Verläufen sind Organschäden häufiger sowie Folgeerkrankungen aufgrund einer Behandlung auf der Intensivstation. Dass Patienten, die nicht erinnerlich infiziert waren, an Long Covid erkranken, sei nicht typisch, aber möglich. „Ich halte nichts davon, dass sich jetzt jeder auf Antikörper testen lässt, aber bei Symptomen, etwa bei länger anhaltender unklarer Erschöpfung, ist das sinnvoll.“
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