„Das sehen wir auch in Österreich so“, erklärt Gesundheitswissenschafter Florian Bachner von der Gesundheit Österreich. „Die rohe 7-Tage-Inzidenz wird weiterhin eine wichtige Kennzahl bleiben, weil die Virusverbreitung durch sie sehr gut abgebildet wird. Aber sie alleine reicht nicht mehr aus, um insbesondere in Bezug auf schwere Verläufe und die Wahrscheinlichkeit von Spitalsaufnahmen eine Risikoabschätzung zu geben.
Man wird sie in Zukunft anders interpretieren müssen.“ Denn je nach Alter und Immunisierungsstatus der Infizierten „wird man sich bei entsprechend hoher Durchimpfungsrate wesentlich mehr Fallzahlen leisten können“, ehe das Gesundheitssystem ins Wanken komme. Dies sei bei einer zunehmenden Abnahme der Impfgeschwindigkeit jedoch nicht auszuschließen.
In Deutschland ist geplant, dass die Spitäler künftig mehr Daten zu ihren Corona-Patienten melden müssen als bisher: Etwa über den Impfstatus, die Symptome, die Art der Behandlung. „Das wäre auch für Österreich extrem hilfreich“, sagt Bachner: „Wir wissen zwar, wie viele Menschen aufgenommen werden, aber wir wissen nichts über ihr Alter, über die Virusvariante oder ihren Impfstatus. Das ist eine Blackbox.“
„Die Inzidenz verliert nicht an Aussagekraft“, sagt der Gesundheitsökonom und Mediziner Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS). „Aber der Schwellenwert, ab dem man reagieren muss, ändert sich. Ein und derselbe Wert ist heute weniger gefährlich als vor einem Jahr.“ Deshalb sei es wichtig, von schon stärker betroffenen Ländern wie England zu lernen, „welchen neuen Zusammenhang es zwischen der Inzidenz, der Spitalsaufnahmen und Intensivstationen-Belegungen es gibt.“
So werden laut Bachner derzeit in Österreich 1,3 Prozent der positiv Getesteten auf Intensivstationen aufgenommen, in England lag dieser Wert zuletzt deutlich unter 1, jedoch mit steigender Tendenz. „Der Blick auf die Entwicklung in den Spitälern wird noch wichtiger werden. Wobei eine Inzidenz von 25 unabhängig von anderen Indikatoren weiterhin ein Zeichen dafür bleibt, dass sich das Infektionsgeschehen beschleunigt und Infektionsketten bilden, auf die man mit sanften Präventionsmaßnahmen reagieren sollte.“
Ähnlich Czypionka: „Die Inzidenz bleibt ein wichtiger Frühindikator. Wenn man in einer exponentiellen Entwicklung erst reagiert, wenn die Spitalszahlen ansteigen, kann es schon zu spät sein.“ Bei der AGES und im Umweltministerium wird betont, dass man die Inzidenz schon bisher nie als einzigen Indikator gesehen habe: „Wir bedienen uns verschiedener Indikatoren, darunter das Übertragungsrisiko, die Rückverfolgbarkeit der Übertragungsketten, die Testaktivität und die Ressourcenauslastung der Spitäler.“
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