Mehr Rettung als Risiko: Experten beruhigen Corona-Impfstoff-Skeptiker
Impfstoffe werden gesunden Menschen verabreicht. Kaum verwunderlich also, dass sie zu den am präzisesten geprüften Arzneistoffen zählen. Wegen der dramatischen Folgen der Corona-Pandemie wurde das Entwicklungs- und Zulassungsprozedere für eine Coronavakzine stark beschleunigt. Begutachtungsphasen laufen parallel statt hintereinander ab, das nährt Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit. Experten, etwa der Chefmediziner der EU-Arzneimittelbehörde, Hans-Georg Eichler, geben aber Entwarnung. "Es gibt keine Abkürzungen bei der Sicherheit", sagt er.
Wie ist das Nebenwirkungsprofil der fortgeschrittensten Impfungen?
Pro Vakzine wurden für die Studien bis zu 43.000 Personen rekrutiert. Zum Vergleich: Vor der Zulassung eines neuen Antibiotikums werden rund 1.000 Menschen final getestet. Akute Nebenwirkungen können daher gut beschrieben werden, sagt Markus Zeitlinger, Leiter der Uni-Klinik für Klinische Pharmakologie, MedUni Wien: "Sie sind bei allen drei Präparaten absolut im akzeptablen Rahmen. Begleiterscheinungen wie Schüttelfrost, leichtes Fieber oder Gliederschmerzen nehme ich explizit aus, weil sie nicht als Nebenwirkungen zu verstehen sind."
Wichtig sei die Solidarität der Bevölkerung, sobald eine Vakzine zugelassen wird. "60 bis 70 Prozent müssen sich immunisieren, damit wir Erfolge erzielen." Das betont auch Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres: "Wenn es viele sind, wird es Herdenschutz geben. Das wäre der Schlüssel, um die Pandemie zu beenden."
Sind Langzeitfolgen denkbar?
Hier könnte es laut Zeitlinger Sicherheitslücken geben, die in den kurzen Studienzeiträumen nicht sichtbar wurden. "Die Literatur lehrt uns aber, dass sie bei Impfstoffen extrem unwahrscheinlich sind."
Unter den Präparaten sind zwei mRNA-Impfstoffe. Können sie das Erbgut des Menschen verändern?
Bei RNA-basierten Impfstoffen bekommt der Körper die Anleitung für ein Viruseiweiß, gegen das er Antikörper bildet. Dafür wird genetisches Virusmaterial verwendet, das in Zellen abgelesen wird. Dass es zu einer Erbgutveränderung kommen könnte, schließt Zeitlinger aus: "Das ist rein technisch nicht möglich. Die Injektion führt zur Neubildung von Proteinen. Dafür ist kein Eingriff ins Erbgut nötig." Bei mRNA handelt es sich um ein Botenmolekül, "das nicht in den Zellkern eingebaut wird", betont auch Impfexpertin Ursula Wiedermann-Schmidt. "Diese RNA ist nur für bestimmte Zeit haltbar und wird ebenso wie das Eiweiß abgebaut."
Ist die Technologie hinter RNA-Impfstoffen erprobt genug?
"Bisher gab es hier tatsächlich bedenken, weil es noch keinen RNA-basierten Impfstoff gibt, der zugelassen wurde", sagt Zeitlinger. Durch die großangelegten Studien zum SARS-CoV-2-Impfstoff sei aber augenscheinlich geworden, dass die Technologie ausgezeichnet funktioniert. "Es steht hier also eher der Vorteil im Vordergrund: Und zwar, dass sie aller Voraussicht nach eine sehr gute langanhaltende Immunantwort generieren und rasch große Mengen an Impfstoff produzieren können."
In welcher Art und Weise könnten Vektorimpfstoffe gefährlich sein? Hier wird ein für den Menschen harmloser Erreger genetisch verändert.
Im Fall des Oxford-Impfstoffes wurde ein aus Schimpansen isoliertes Adenovirus verwendet, das für Menschen keine Gefahr darstellt. Das Virus wurde genetisch so präpariert, dass es nicht mehr vermehrungsfähig ist und SARS-CoV-2 von seiner Oberflächenstruktur her ähnelt (es wurde das Spike-Protein des neuen Coronavirus eingepflanzt), damit dem Immunsystem eine Covid-19-Infektion vorgegaukelt wird. Zeitlinger: "Das hat den Vorteil, dass eine stärkere Immunreaktion hervorgerufen wird. Allerdings verabreicht man derartige Lebendimpfstoffe deshalb nicht gern an organtransplantierte Menschen, weil ihr Immunsystem durch Medikamente stark herunterreguliert ist."
Wird die Weitergabe einer Infektion durch die gut erprobten Impfstoffe blockiert?
Im Zuge der Studien wurden die Infektionsfälle gezählt. Um zu ergründen, ob Infizierte ansteckend waren, wären PCR-Abstriche nötig, "was ein wahnsinniger logistischer Aufwand gewesen wäre", sagt Zeitlinger. Er vermutet aber, dass zumindest eine verminderte Weitergabe des Virus gegeben sein wird. Bisherige Daten zeigen, dass die Impfstoffe nach einer Infektion bei vielen vor einer Erkrankung schützen. "In so einem Fall ist auch zu erwarten, dass sie in irgendeiner Form die Übertragungsfähigkeit eines Geimpften beeinflussen", sagt der Infektiologe Herwig Kollaritsch. Es sei denkbar, dass ein Geimpfter, der Antikörper gebildet hat, in wesentlich geringerem Ausmaß und über einen geringeren Zeitraum infektiös ist.
Könnte die Wirksamkeit unter realen Bedingungen eingeschränkt sein?
So zuverlässig Impfstudien sind, die Wirklichkeit können sie nicht abbilden. Zeitlinger: "Es ist noch unmöglich, abzusehen, wie lange die Schutzwirkung bestehen bleibt." Bei älteren Menschen könnte etwa eine Auffrischung nötig sein. "Malt man sich die anfänglich sicher eingeschränkte Verfügbarkeit aus, wäre das problematisch."
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