Faktencheck: Was steckt hinter den empfohlenen Corona-Regeln?
Die türkis-grüne Regierung verkündete am Mittwoch nach dem Ministerrat nicht die erwarteten Verschärfungen, sondern Empfehlungen. Kanzler Sebastian Kurz "garantierte" aber, dass es in der kühlen Jahreszeit, wenn die Infektionszahlen wieder steigen, auch wieder strengere, rechtsverbindliche Regeln geben wird. "Alles andere wäre ein Wunder."
Bis dahin setzt man aber auf "Eigenverantwortung" und "Hausverstand". Der KURIER hat die Empfehlungen der Regierung von Experten analysieren lassen. Wie sinnvoll sind sie?
Keine Privat-Feste mit mehr als 25 Personen
Die Regierung empfiehlt:
Eine möglichst geringe Gästezahl – Richtwert sind 25 Personen.
Was dahinter steckt:
Wenn ein einzelner Infizierter Dutzende andere ansteckt, spricht man von einem Superspreading-Event. Genau das will die Regierung verhindern. Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien hält die veranschlagte Zahl für "schlüssig", betont aber, dass es "immer davon abhängt, wie die räumliche Situation gestaltet ist". Als Besitzer einer Reithalle könne man dort recht gefahrenlos eine Feier mit 25 Personen ausrichten. "Man kann große Abstände einhalten, ausgestoßene Tröpfchen verdünnen sich in der Umgebungsluft." Riskant sei dieselbe Party in einer beengten Wohnung: "Weil man permanent lüften müsste, um die Keimbelastung gering zu halten."
Um das Ansteckungsrisiko so klein wie möglich zu halten, rät das deutsche Umweltbundesamt, alle 20 Minuten bei komplett geöffnetem Fenster zu lüften. Die Raumtemperatur sollte in Covid-Zeiten 22 Grad nicht übersteigen, raten Forscher der Yale University. Denn im Winter liegt die Luftfeuchtigkeit in beheizten Räumen oft unter 30 Prozent. Eine neue Studie zeigt, dass virushaltige Aerosole sich dann deutlich länger halten. "Wir atmen sehr kleine Partikel aus", sagt Aerosolforscher Martin Kriegel vom deutschen Hermann-Rietschel-Institut. "Ist es trocken, verdunsten sie und werden noch winziger und schweben länger in der Luft – und werden von Gesunden eingeatmet."
Langfristig sieht Steininger die Lösung des Eventproblems in Vorab-Testungen, um auf Nummer sicher zu gehen. "Sobald es logistisch möglich ist, viele Tests bei großen Gruppen durchzuführen, wird sich die Lage entspannen." Konzertbesucher – aber auch Gäste von Privatpartys – könnten per Selbsttest und digitaler Überprüfung im Vorhinein gemütlich daheim feststellen, ob sie eine Gefahr darstellen – und das Ergebnis an der Abendkasse vorweisen.
Abstand halten, Hände waschen
Die Regierung empfiehlt:
Auf Abstand und Händehygiene achten.
Was dahinter steckt:
Wenn sich das gesellschaftliche Leben im Herbst mehr in Innenräume verlagert, wird der Abstandsregel wieder mehr Bedeutung zukommen – drinnen ist das Infektionsrisiko etwa 19-Mal so hoch wie draußen. Chinesische Forscher haben 318 Infektionsherde in China mit drei oder mehr Fällen untersucht, darunter war nur ein einziger im Freien. "Es gibt leider keine exakte Faustregel dazu, die sich pauschal anwenden und wissenschaftliche belegen lässt", sagt Steininger. "Aber die Grundregel, die einen Abstand von einem bis eineinhalb Metern gebietet, bleibt nach wie vor ein sinnvoller Richtwert. Mehr Abstand ist natürlich immer besser."
Doch absolute Sicherheit bietet das Abstandhalten – ein Meter in Österreich, eineinhalb in Deutschland oder der Schweiz bzw. knapp zwei Meter (sechs Fuß) wie etwa in den USA – nicht: Diese Empfehlungen würden auf „veralteter Wissenschaft“ beruhen, schreiben britische und US-amerikanische Forscher im Fachmagazin British Medical Journal. Selbst größere Tröpfchen können beim Husten, Niesen oder lauten Sprechen sieben bis acht Meter vertragen werden.
Deshalb sprechen sich die Forscher für ein differenziertes Modell aus, wo man konkrete Faktoren bewertet: Sind viele Menschen in einem Raum? Werden Masken getragen? Gibt es eine Lüftung? Wie lange ist man dort? In engen Räumen mit vielen Menschen wäre neben Abstand und Maske die empfohlene Händehygiene noch wichtiger.
"Schmeißen Sie die Maske nicht weg!"
Die Regierung empfiehlt:
In geschlossenen Räumen sollen Masken getragen werden. Dies und der Mindestabstand sind die Hauptbotschaften.
Was dahinter steckt:
Neuere Daten belegen zumindest einen Teilschutz durch die Alltagsmasken: "Die Maske ist kein 100-prozentiger Schutz, aber in Verbindung mit den Hygieneregeln ein Teil der Maßnahmen", sagt die Mikrobiologin Birgit Willinger von der Med-Uni Wien. "Bei größeren Tröpfchen, die beim heftigen Husten oder Niesen ausgestoßen werden, entfalten sie eine gute Schutzwirkung, die die abgesonderten Tröpfchen zu einem großen Teil im Stoff hängen bleiben", sagt Steininger. Laut dem deutschen Infektiologen Holger Schünemann senken Masken das relative Risiko einer Infektion um "überraschende 80 Prozent". Wiederverwendbare Stoffmasken stehen dem chirurgischen Mund-Nasenschutz um nicht viel nach.
Um Pilz-Entwicklung und Mikroben zu verhindern, rät Willinger dazu, Masken "nicht durchfeuchtet" liegen zu lassen. Ein Waschgang mit 65 Grad töte Pilze bei Stoffmasken zuverlässig ab. Visiere sieht sie nicht als adäquaten Ersatz. Wenn schon, müssten sie eng anliegen. "Solche, die seitlich wegstehen, sind ein Pseudoschutz."
Ein Mund-Nasen-Schutz diene eher dem Fremdschutz. Neuere Daten zeigen aber auch einen gewissen Eigenschutz: Laut US-Infektiologin Monica Gandhi könnten sie die Virenmenge, die zu einer Infektion führt, reduzieren – die Folge seien mildere Symptome.
Noch strenger bei Quarantäne-Sündern
Die Regierung empfiehlt:
Quarantäne ist keine Empfehlung, sondern Pflicht.
Was dahinter steckt:
Die Regeln nach der Einreise aus einem Risiko-Land wurden vor rund einem Monat verschärft: Wer keinen negativen PCR-Test vorweisen kann, muss zehn Tage in Quarantäne. Und auch, wer auf sein Testergebnis wartet, muss solange in den eigenen vier Wänden bleiben. Für Covid-19-Kranke gilt sowieso strenge Quarantäne.
Weil es manche damit offenbar nicht so genau nehmen, warnte Innenminister Karl Nehammer am Mittwoch erneut: Bei Verstößen gegen die Quarantäneauflagen werden Geldstrafen von bis zu 1.450 Euro fällig. Bei einer Person, die nachweislich mit Covid-19 infiziert ist, drohen obendrein noch strafrechtliche Konsequenzen. Bislang wurden mehr als 23.000 Personen in Quarantäne geschickt, 343 hat man bei Verstößen erwischt.
Die Exekutivbeamten stünden bereit, verhängte Maßnahmen zu überwachen – nicht nur in Uniform, sondern auch in Zivil, warnte Nehammer, der bei der Pressekonferenz nach dem Ministerrat auch persönliche Worte sagte: Er habe kürzlich jemanden kennengelernt, der an den Folgen einer Covid-Erkrankung leide: "Wenn man das gesehen hat, dann weiß man, warum diese Regeln sinnvoll sind."
Kommentare