Zwei Virenstämme
Bisher war die internationale Wissenschaftsgemeinde großteils davon ausgegangen, dass das Wiederauftreten positiver PCR-Testergebnisse bei bereits genesenen Menschen auf den teils tückischen, wellenförmigen und langwierigen Verlauf von Covid-19 zurückzuführen ist – es sich dabei um keine echten Neuinfektionen handelt.
Im Falle des Hongkongers war jedoch noch Probenmaterial von seiner Erstinfektion vorhanden. Forschende konnten das Erbgut der infektionsauslösenden Viren bei der Erst- und Zweitinfektion vergleichen. Dabei zeigte sich, dass sich der Mann mit unterschiedlichen Varianten von SARS-CoV-2 infiziert hatte.
Eine neuerliche Infektion mit dem Coronavirus wissenschaftlich nachzuweisen, gelingt laut Weseslindtner vor allem dann, wenn Probenmaterial der Erstansteckung noch verfügbar ist und nicht nach der Testung verworfen wird. Dann kann man das genetische Material des Virus-Erbguts im alten Abstrich mit dem im neuen Abstrich abgleichen. "Wenn das Ausmaß des genetischen Unterschiedes stimmt, von dem im Fall des Hongkonger Patienten momentan berichtet wird, würde das tatsächlich darauf hindeuten, dass es sich um zwei verschiedene Virusstämme handelt, die jeweils zu einer Infektion geführt haben."
Interessant: Im Vergleich zu vielen anderen Viren, die Infektionen des Respirationstraktes verursachen (etwa Schnupfenviren oder Influenza), war der Unterschied zwischen den Virus-Varianten im konkreten Fall relativ gering. Dazu muss man wissen, dass sich jedes RNA-Virus (wie SARS-CoV-2) genetisch verändert, je stärker es sich verbreitet. Weseslindtner: "Solche Mutationen treten häufig auf und können sich auch wieder zurückbilden. Aufgrund dieser Tatsache lässt sich aber erheben, wie weit zwei Virusstämme miteinander verwandt sind", sagt Weseslindtner.
Ein Beispiel: Steckt Person A Person B in einer Bar an, so sind die Virenstämme praktisch ident. Vergeht zwischen den Infektionen mehr Zeit – bei dem Hongkonger Betroffenen waren es mehrere Monate – verändert sich der genetische Fingerabdruck des Erregers.
Gute Nachrichten?
"Das Virus scheint mutiert zu sein", bestätigt auch Stockinger, "allerdings sehen wir auch, dass der immunologische Schutz, den der Mann aufgebaut hat, scheinbar auch bei diesem Stamm sehr förderlich wirkt. Das könnte grundsätzlich auch eine gute Nachricht sein."
Was laut Stockinger und Weseslindtner in der Diskussion um Corona-Immunität oft untergeht: Diese aufzubauen bedeutet nicht, dass man sich nicht nochmals anstecken kann. "Immunologischer Schutz bedeutet nur, dass unser Immunsystem einen Schutz aufbaut, der den Organismus vor Schädigung bewahrt. Es bedeutet nicht, dass sich ein unsichtbarer Wall um die Körper bildet, der Antikörper ausstrahlt, an denen die Viren abprallen", erklärt Stockinger.
Die Daten zum Hongkonger Re-Infizierten wurde noch nicht vollständig publiziert. Ein Problem, wie beide Experten betonen: "Man muss die Daten kritisch sehen, bevor die Belege noch nicht transparent eingesehen werden können", sagt Weseslindtner. Wichtig sei etwa auszuschließen, dass der durchgeführte PCR-Test kein falsch-positives Ergebnis geliefert hat (indem man zum Beispiel die Höhe der Viruskonzentration beurteilt).
Bei Neuinfektion ansteckend?
Offen bleibt, ob der Mensch in der Phase der Re-Infektion Überträger oder nur Träger des Erregers ist. "Also, ob er das Virus nur in sich trägt oder es auch ausscheidet und damit andere anstecken und gefährden kann. Das wissen wir noch nicht", sagt Stockinger. Wenn das Virus im Körper im Zuge einer Re-Infektion durch die Immunreaktion schnell unschädlich gemacht würde, wäre davon auszugehen, dass man das Virus nicht weiterverbreitet, auch wenn virushaltige Partikel ausgeatmet oder beim Sprechen oder Singen ausgestoßen werden.
Was bedeutet es für die Entwicklung eines Impfstoffes, wenn Zweitinfektionen möglich sind? "Nicht viel", sagt Weseslindtner. "Angenommen, wir hätten eine Impfung, die Infektionen zu so milden Verläufen abschwächt, wie es bei dem Mann infolge der ersten Infektion passiert ist, wäre das sehr gut. Dann hätten wir die schlimmsten Folgen der Pandemie überwunden."
Prognose für Pandemie
Unterdessen wurden Medienberichten zufolge auch vereinzelt Re-Infektionen in den Niederlanden und in Belgien dokumentiert (mehr dazu hier). Davon, dass derartige Fälle das globale Infektionsgeschehen nachhaltig verschärfen, geht auch Infektiologe Heinz Burgmann von der MedUni Wien nicht aus: "Bei den millionenfachen Ansteckungen, die es weltweit gibt, wird es immer Menschen geben, bei denen entweder eine Infektion anders verläuft oder – wie bei den aktuellen Beispielen – sich eine Handvoll Menschen erneut infiziert."
Jede Immunreaktion sei grundsätzlich individuell, die Immunabwehr setzt sich verschieden mit dem Erreger auseinander, "daraus jetzt große infektionsepidemiologische Schlüsse zu ziehen, halte ich jedenfalls für verfrüht". Sollte man Re-Infektionen dieser Art in größerer Häufigkeit registrieren, sei eine Neubewertung vonnöten.
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