Kinder werden – was Maßnahmen zur Viruseindämmung betrifft – vielfach wie Erwachsene behandelt: Maskenpflicht in der Schule (ausgenommen im Unterricht), Abstandhalten, Händewaschen. Doch das könnte sich – früher oder später – ändern. Denn die Diskussion um „die Gretchenfrage: Geben Kinder das Virus weiter?“ (Virologe Alexander Kekulé) ist neu aufgeflammt.
„Kinder haben für die Übertragung vermutlich eine geringe Bedeutung“, sagte der Infektiologe Christoph Wenisch vom Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital bei Corinna Milborn auf Puls 24. Deshalb sollte man in den Schulen die Freiheitsgrade Richtung Normalität erhöhen.
Neue Daten zeigen, dass Kinder weniger Rezeptoren (Andockstellen) für das Virus in der Nasenschleimhaut haben, erläutert Thomas Müller, Direktor der Univ.-Klinik für Pädiatrie I der MedUni Innsbruck: „Das ist ein erster Hinweis, dass sie es nicht so leicht aufnehmen.“ Müller verweist auch auf eine Studie, wonach Kinder nur ein Drittel des Risikos von Erwachsenen haben, infiziert zu werden, allerdings: „Durch ihre vielen Sozialkontakte kann sich dieser Vorteil wieder aufheben und das Risiko ausgleichen.“
Gleichzeitig gibt es eine wissenschaftliche Expertendiskussion um eine Vorveröffentlichung von Christian Drosten und seinem Team, die von der Bild-Zeitung hochgespielt wurde: In dieser Studie wurden Ende April vorläufige Daten publiziert, wonach Kinder in ihren Atemwegen ungefähr dieselbe Virusmenge wie Erwachsene haben. Mehrere Statistiker kritisierten aber die Auswertungsmethode und sehen in den Daten vielmehr Hinweise, dass die Virusmenge bei Kindern geringer ist. Drosten bekräftigte Dienstagnachmittag in seinem NDR-Podcast: „Es gibt auch bei Kindern sehr hohe Viruslasten.“
Ähnlich sieht das der Virologe Christoph Steininger von der MedUni Wien: „Man weiß aus mehreren Studien, dass Kinder das Virus etwa in gleich hoher Menge ausscheiden wie Erwachsene und damit wahrscheinlich ähnlich infektiös sind.“
Müller betont, dass man mit der Messung der Menge von Viruserbgut nicht so einfach beantworten könne, wie infektiös Kinder für ihre Umgebung tatsächlich sind. „Das ist erst mit Studien möglich, wo Infektionsketten in Kindergärten und Schulen nachverfolgt werden. Durch die frühen Schulschließungen fehlen viele Daten noch.“ Aktuelle Infektionsfälle zeigen, wie wichtig es sei, Pädagogen und Kinder rasch zu testen. Sein vorläufiges Fazit: „Es gibt keinen Hinweis, dass Kinder Virenschleudern sind – was ja am Anfang mit der Erfahrung von anderen Infektionskrankheiten befürchtet wurde. Umgekehrt darf man aber auch nicht sagen, dass sie in den Infektionsketten gar keine Rolle spielen.“
Steininger verweist auf Studien aus China, wonach sich Kinder hauptsächlich zu Hause bei den Eltern angesteckt haben: „Wie stark sie dann Infektionen in der Schule weitergeben, ist gerade die zentrale Frage mehrerer Studien. Das wissen wir noch nicht.“ Es wäre aber sehr überraschend, wenn Kinder gar keine Infektionen weitergeben würden.
„Im Zweifel ist es besser, vorsichtig zu sein“, betont Müller. Den derzeitigen Testlauf mit den geteilten Klassen hält er deshalb für sinnvoll: „Wir können jetzt Erfahrung sammeln, damit wir im Herbst mit einem möglichst normalen Schulbetrieb starten können.“
In Deutschland haben sich vier medizinische Fachgesellschaften (darunter die Akademie für Kinder- und Jugendmedizin) für eine vollständige Öffnung von Schulen und Kindergärten ausgesprochen – unter Einhaltung von Hygieneregeln, aber ohne Masken bei Unter-10-Jährigen. Steininger: „Man kann derzeit vermuten, dass ihre Bedeutung für die Infektionsweitergabe geringer ist – aber wir brauchen mehr Daten.“
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