Rückkehr zur "Normalität in Schulen"? Debatte um Ansteckung durch Kinder

Spread of the coronavirus disease (COVID-19) in Berlin
Infektiologe Wenisch spricht sich für eine komplette Öffnung aus. In Deutschland ist ein Streit um Star-Virologen Drosten entbrannt, der vor zuviel Freizügigkeit in Schulen warnt.

Der Wiener Infektiologe Christoph Wenisch plädiert für eine komplette Öffnung der Schulen: "Kinder haben für die Übertragung vermutlich eine geringe Bedeutung. Kinder sind kaum betroffen und das bedeutet, dass man hier die Freiheitsgrade erhöhen sollte in Richtung Normalität - das sollte man jetzt rasch tun", sagte er in der Sendung "Milborn" des Privatsenders Puls 24 am Montagabend.

Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung am Kaiser-Franz-Josef-Spital, bezog sich dabei auf die Hypothese, dass bestimmte Andockstellen für das Sars-CoV-2-Virus bei Erwachsenen gut ausgebildet, bei Kindern hingegen noch unausgereift sind. Das Coronavirus soll es deshalb bei den Jüngeren schwerer haben, in die Zellen eindringen zu können, so die wissenschaftliche Vermutung.

PK ERSTER COVID-19-TODESFALL IN ÖSTERREICH: WENISCH

Infektiologe vom WIener Kaiser-Franz-Josef-Spital: Christoph Wenisch

Die Aussagen Wenischs kommen an einem Tag, an dem die deutsche Bild-Zeitung schwere Vorwürfe gegen den deutschen Star-Virologen Christian Drosten erhob. In einer Studie unter der Leitung Drostens kamen Forscher der Berliner Charité zu dem Schluss, dass Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene sein könnten, weil sie eine ähnliche Virenlast entwickeln würden. Die Forscher warnten daher "vor einer unbegrenzten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten in der gegenwärtigen Situation".

Drosten im Clinch mit "Bild"-Zeitung

Nun zitierte die Boulevardzeitung mehrere internationale Forscher, die Kritik an der Studie üben. Zentraler Kritikpunkt sei die geringe Anzahl der untersuchten Kinder. Laut Drosten, der sich bereits im Vorfeld auf Twitter gegen die angekündigte Berichterstattung verteidigte, seien die ihm vorgehaltenen Wortmeldungen lediglich "Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang."

Auch habe die Zeitung, die seine Studie als "grob falsch" bezeichnet, ihm lediglich eine Stunde zur Stellungnahme eingeräumt. Drosten belegte dies mit der E-Mail-Anfrage der Bild-Zeitung, die er auf Twitter teilte.

Wie der Tagesspiegel berichtet, wurde in dem Artikel zudem eine nicht unwichtige Aussage der Studie verändert - aus einem "Kinder könnten genauso ansteckend sein wie Erwachsene" wurde in dem Bild-Artikel ein "können" ohne Konjunktiv.

Zudem lieferte ausgerechnet einer der von Bild zitierten Wissenschafter Drosten umgehend Rückendeckung. "Niemand von #Bild hat mit mir gesprochen, und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung“, schrieb Christoph Rothe auf Twitter.

Virologe Hengel: Schließungen begründbar

Der KURIER befragte den Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Virologie, Hartmut Hengel, in einem aktuellen Interview auch zum Thema Schließung von Kindergärten. Hengel sagte dazu: "Dass es nur ganz wenige schwere Erkrankungen bei Kindern gibt, heißt nicht, dass von ihnen keine Infektionen in Familien hineingetragen werden. Wir kennen den Anteil der Infektionen, die von Kindern ausgehen, noch nicht genau, aber es ist nicht so, dass Kinder gar keine Infektion übertragen würden. Deshalb kann man die Schließung in der erste Phase der Pandemie mit den stark steigenden Erkrankungszahlen im Sinne des Vorsorgeprinzips schon begründen."

Das Team um Drosten steht in Deutschland mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht alleine da. Anfang Mai berichteten weitere Experten, dass Kinder wahrscheinlich gleich ansteckend sind wie Erwachsene. Das Fazit von Ulrike Protzer (Technische Universität München und Helmholtz Zentrum München) und Philipp Henneke, Kinder- und Jugendmediziner am Universitätsklinikum Freiburg: Kinder erkranken in aller Regel weniger heftig an Corona - aber sie haben in etwa die gleiche Viruslast wie Erwachsene. Eine These zu den weniger schweren Krankheitsverläufen bei Kindern weise auf deren anders ausgerichtetes Immunsystem hin.

Kawasaki-Syndrom als schwere Folgeerkrankung?

Ende April meldeten britische Gesundheitsbehörden eine Zunahme von Erkrankungen bei Kindern, die an das sogenannte Kawasaki-Syndrom erinnerten, eine entzündliche Erkrankung der Blutgefäße meist bei Kleinkindern. Einige der Kinder in Großbritannien mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Außerdem wurden aus Spanien, Italien und der Schweiz solche Erkrankungen bei Kindern gemeldet. Ein Zusammenhang mit Covid-19 wurde untersucht.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO und Ärzteverbände warnten Eltern bereits vor Panik - die überwiegende Zahl der Kinder, die sich mit dem Coronavirus infizierten, habe einen sehr milden Verlauf der Krankheit und erhole sich komplett.

Kommentare