Corona: Was gegen und für eine baldige 4. Impfung spricht
Über 80-Jährige in Frankreich, über 75-Jährige in Großbritannien, über 70-Jährige in Deutschland: Wem die vierte Corona-Schutzimpfung künftig angeboten werden soll, darüber gehen die Planungen in den EU-Staaten stark auseinander. In einer Woche soll ein EU-weiter Vorschlag vorliegen, berichtet die italienische Zeitung Corriere della Sera. "Die Priorität besteht darin, die schwächsten Menschen zu schützen", sagte Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza. Was aber sagen Experten in dieser Diskussion? Und wann ist der beste Zeitpunkt für eine vierte Impfung?
Wie lautet die genaue Regelung in Österreich?
Bei hohen Fallzahlen kann Hochrisikopersonen und Menschen ab 65 "frühestens ab 6 Monaten nach der 3. Impfung nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt oder die Ärztin und auf persönlichen Wunsch (off-label) eine weitere Impfung angeboten werden". – "Wir haben lange um diese Formulierung gerungen", sagt Infektiologe Herwig Kollaritsch, Mitglied im Nationalen Impfgremium. "Es soll niemandem die Impfung verweigert werden, aber es soll eine Einzelfallentscheidung sein, in Absprache mit dem impfenden Arzt oder Ärztin. Wer sich impfen lassen will, soll dazu auch die Möglichkeit haben."
Er sei absolut dafür, dass man sich bei Menschen, deren Immunantwort auf Impfungen schlechter ist, eine vierte Impfung nach sechs Monaten zu überlegen. Kollaritsch: "Das sind aber auch jene, die schon sehr früh die dritte Impfung erhalten haben. Bei ihnen ist die Sechs-Monats-Frist im Mai schon vorbei und da wäre dann noch genügend Abstand hin zu einem weiteren Booster im Herbst." Grundsätzlich sei es eine strategische Überlegung, wann man die Impfung bestmöglich positioniert.
Warum gibt es keine explizite Impfempfehlung?
"Wir sehen, dass der Schutz vor schwerem Verlauf mit Spitalsaufnahme nach drei Impfungen bisher unverändert hoch bleibt", sagt Kollaritsch. "Dazu gibt es sehr gute Daten aus Großbritannien die zeigen, dass sich da bisher nicht viel ändert." Gleichzeitig habe eine Studie in Israel gezeigt, dass bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen die vierte Impfung in Bezug auf die Zahl der schweren Infektionen nicht viel an Unterschied ausmacht.
"Bei sinkenden Infektionszahlen und schwacher Datenlage ist jetzt eine Kampagne für die 4. Impfung nicht argumentierbar. Bei vielen laufen die sechs Monate nach der 3. Impfung erst im Juni / Juli ab, und da wird die Infektionsgefahr am geringsten sein. Gleichzeitig wäre es für die Herbstwelle zu früh. Wenn wir aber die vierte Impfung vor einer neuen Welle ansetzen, nützen wir auch den Schutz der Impfung vor einer Weitergabe der Infektion, der nicht lange anhält."
Außerdem sei derzeit die Impfbereitschaft sehr gering: "Jetzt eine Kampagne für eine vierte Impfung wäre ein hoher Aufwand für einen geringen Effekt."
Aber zeigen nicht neuere Daten aus Israel eine Reduktion der Sterblichkeit?
Es gibt neue Daten aus Israel, die eine deutliche weitere Reduktion der Sterblichkeit nach der vierten Impfung zeigen. Aber noch sei die Datenlage dünn, sagt Kollaritsch. Und: "Israel hatte die dritte Impfung sehr früh nach der zweiten angesetzt, und dadurch Teile des Booster-Effekts verschenkt (das Immunsystem braucht einige Monate zum Reifen, Anm.). Deshalb kann man die Situation nicht vergleichen."
Und was würde für eine breitere 4. Impfung nach sechs Monaten sprechen?
"Generell ist die Datenlage für eine Entscheidung in diese oder jene Richtung dünn", sagt der Pharmakologe Markus Zeitlinger von der MedUni Wien. "Nach dem vierten Stich steigen die Antikörpertiter wieder – aber nicht höher als nach dem dritten Stich – und dürften dann weniger rasch abfallen als nach dem dritten. Das ist die Evidenz, alles andere sind strategische Überlegungen." Bei deutlich rückläufigen Infektionszahlen sei wahrscheinlich die Strategie, erst vor einer Herbstwelle zu boostern, die richtige. "Aber wenn die Zahlen nicht rasch sinken oder die ganze Zeit auf mittelhohem Niveau dahin dümpeln, dann würde ich ungern damit bis zum Herbst warten bei Personen, bei denen bis dahin schon zwölf Monate seit dem dritten Stich vergangen sind."
Auf jeden Fall brauche es in den kommenden drei Monaten eine Lösung, "weil sonst viele aus dem Grünen Pass herausfallen", sagt Zeitlinger. Geht es nur um das Rechtliche, könne man das einfach mit einer Verlängerung der Gültigkeitsdauer lösen. "Aber dann bleibt eben die Frage, wie sich die Welle weiterentwickelt. Bricht sie wirklich zusammen, ist es wissenschaftlich gesehen eine gute Strategie, erst vor der nächsten Welle zu boostern. Aber wenn sie auf nur auf eher niedrigem Niveau weitergeht dann würde ich den vierten Stich vorziehen."
Jedenfalls mache niemand etwas falsch, der sich nach sechs Monaten impfen lässt. "Im schlimmsten Fall lässt man sich dann halt im Herbst nochmals impfen, vom Sicherheitsaspekt spricht nichts dagegen."
Wobei Zeitlinger seine "vorsichtige Empfehlung für alle" für eine vierte Impfung erst ab sechs Monaten nach der dritten Impfung ausspricht: "Vier Monate sind aber der absolute Mindestabstand, den würde ich auf jeden Fall einhalten." Wobei auch er sagt: "Ich bin zwar ein bisschen mehr auf der Seite derer die meinen, ein vierter Stich macht jetzt schon Sinn, aber es ist insgesamt alles sehr unsicher derzeit, es gibt nur wenig belastbare Daten und es ist auch kein Fehler, noch zuzuwarten."
Was ist von einem Booster-Impfstoff der spanischen Firma Hipra zu halten?
Die EU-Arzneimittelagentur hat das schnelle Prüfverfahren gerade erst gestartet. Es ist ein Proteinimpfstoff mit Komponenten gegen die Alpha- und Beta-Variante. Das soll – als Booster – auch eine Kreuzimmunität gegen Omikron bewirken. "Gegen schwere Krankheitsverläufe bieten aber auch die derzeitigen Impfstoffe einen sehr guten Schutz und wir wissen nicht, wann dieser Impfstoff zugelassen wird", sagt Kollaritsch.
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