Geimpft und erkrankt: Spricht das gegen die Impfung?
Egal ob geimpft, genesen oder ungeimpft: Das Risiko sich zu infizieren ist für alle drei Gruppen derzeit praktisch gleich hoch, erklärte kürzlich die Virologin Dorothee von Laer im KURIER. Viele fragen sich deshalb: „Was bringt mir dann eigentlich eine Impfung?“ Warum sich derzeit auch so viele Geimpfte infizieren und das nicht gegen die Impfungen spricht erklärt der Virologe Lukas Weseslindtner vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien.
„Bei Omikron reicht bereits eine geringere Virenkonzentration, um eine Infektion zu verursachen“, erklärt Weseslindtner. Gleichzeitig besitzt Omikron eine Art Tarnkappe, die ihn für einen Teil der Impfantikörper unsichtbar macht, weshalb ein sehr hoher Antikörperspiegel notwendig ist, um das Virus bereits an den Schleimhäuten abzuwehren und so eine Infektion zu verhindern.
„Ich erkläre es immer mit einem Football-Spiel. Die Angreifer – als Symbol für die Omikron-Subvariante – versuchen in die Endzone zu kommen, aber von 20 Verteidigern (als Symbol für die abwehrenden Antikörper) sehen 18 die Angreifer nicht. Und: Um Erfolg zu haben, muss bei Omikron nur mehr ein Angreifer durchdringen, bei der Urform des Virus waren es noch zehn.
Deshalb gebe es sowohl bei Geimpften, Genesenen und Ungeimpften Infektionen. „Wobei Geimpfte und Genesene kürzer infektiös sind als Ungeimpfte und weniger Viren ausscheiden.“ Zumindest theoretisch sei dadurch auch in einer Gruppe von lauter Geimpften das Infektionsrisiko geringer.
Welche Vorteile die Impfung trotzdem hat
Schutz vor schwerer Krankheit: „Die Impfung schützt nicht nur vor schweren Verläufen, sondern senkt generell die Intensität von Beschwerden und auch das Risiko von Langzeitfolgen wie Long Covid“, sagt Weseslindtner. Besonders gut sieht man den Effekt eines fehlenden Impfschutzes derzeit in Hong Kong: Dort ist in der Omikron-Welle die Sterberate älterer Menschen extrem hoch – vor Beginn der Welle hatten nur rund ein Viertel der Über-80-Jährigen zumindest zwei Impfungen. Und nur rund ein Prozent der Bevölkerung hatte vor Omikron eine Infektion durchgemacht. Weseslindtner: „Auch für viele Geimpfte ist Omikron nicht ’mild‘, aber ganz besonders gilt das für ungeimpfte Menschen, und dabei wiederum ganz besonders für Ältere und Menschen mit Risikofaktoren wie chronischen Erkrankungen.“
Mehr Antikörper: Eine Dreifach-Impfung führt zu einem deutlich höheren Antikörperspiegel als eine Infektion. Zwar konnten Weseslindtner und seine Kolleginnen Judith Aberle und Karin Stiasny zeigen, dass nach einer Infektion der Anteil neutralisierender (vor neuerlicher Infektion schützender) Antikörper an der Gesamtmenge aller Antikörper größer ist. „Da aber nach einer Impfung insgesamt mehr Antikörper gebildet werden, ist dadurch auch die Menge der neutralisierenden Antikörper höher als nach einer Infektion.“
Infektion alleine schützt wenig: Eine Omikron-Infektion allein schützt nicht vor Infektion und Erkrankung durch andere Varianten. „Die Antikörper gegen Omikron unterscheiden sich grundsätzlich von den Antikörpern gegen andere Varianten - und sogar zwischen den Subvarianten BA.1 und BA.2 ist ein riesiger Unterschied, was die Bindungsfähigkeit der Antikörper betrifft.“ „Von den saisonalen Coronaviren weiß man außerdem, dass bereits nach sechs Monaten eine neuerliche Infektion möglich ist.“
Wer hingegen geimpft ist und sich mit Omikron infiziert, hat danach einen sehr guten Schutz gegen alle bisherigen Varianten und gegen Omikron: „Die Infektion boostert in diesem Fall den Schutz gegen das ursprüngliche Virus, das als Blaupause für die Impfung verwendet wurde und gegen das das Immunsystem nach der Impfung Antikörper entwickelt hat. In schwächerem Ausmaß richtet sich das Immunsystem gegen die Omikron-Variante. „Das erhöht den Schutz gegen alle bisherigen Varianten.“
Denn das Immunsystem von Geimpften reagiert bei einer Infektion mit einer neuen Variante zunächst immer mit seinem bereits ausgeprägten Gedächtnis: "Es werden die alten, antikörperproduzierenden B-Zellen geboostert, die Antikörper gegen die Urform des Virus bilden. Da gibt es den stärksten Effekt. Gleichzeitig kommt aber eine - geringere - Menge an Antikörpern spezifisch gegen Omikron dazu."
Der lediglich mit Omikron infizierte Ungeimpfte "ist dann natürlich nur mit neutralisierenden Antikörpern gegen Omikron ausgestattet - der hat ja sonst nichts zu boostern, kein Immungedächtnis."
Vierte Impfung: Eine vierte Impfung frischt den Schutzeffekt wieder auf, ähnlich wie eine Infektion nach drei Impfungen. „Für mich ist das aber kein Argument die Infektion einer Impfung vorzuziehen, weil ja die Infektion auch bei Geimpften unangenehme Folgeerscheinungen haben kann - die Auswirkungen, etwa auf das Gehirn, können wir derzeit noch gar nicht überblicken.“
Die Breite des Antikörperschutzes sei jedenfalls am höchsten, wenn man nach einer Dreifachimpfung mit weiteren Varianten in Kontakt kommt – sei es durch Infektionen oder Impfungen mit Variantenimpfstoffen.
Wer übrigens jetzt eine Omikron-Infektion hatte und - falls es eine entsprechende Empfehlung geben wird – im Herbst sich zum vierten Mal impfen lässt, schadet damit seinem Immunsystem nicht: „Im Gegenteil: Bis dahin ist der Schutzeffekt durch die Infektion wahrscheinlich schon wieder weitgehend verschwunden, aber eine weitere Impfung ist dann ein besonders guter Booster.“
Ältere Menschen über 65 und Hochrisikopersonen (z .B. immunsupprimierte Menschen) kann angesichts der derzeit noch hohen Fallzahlen nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt eine vierte Impfung schon jetzt angeboten werden. Weseslindtner: "Es schadet einer älteren Person aber auch nicht, sich bereits nach vier Monaten die vierte Impfung zu holen - die Antikörpermenge steigt, und das Infektionsrisiko sinkt dadurch", sagt Weseslindtner.
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