Adiós Covid: Warum Spanien Corona jetzt wie die Grippe behandelt
"La gripalización del Covid“ – also die "Grippalisierung“ von Corona – ist auf der iberischen Halbinsel in vollem Gange. Die spanischen Gesundheitsbehörden haben kürzlich beschlossen, die Maßnahmen der zweijährigen "akuten Phase“ hinter sich zu lassen, um den Übergang zu einem kontrollierten Zusammenleben mit dem Virus einzuleiten.
Wer sich in Spanien mit Sars-CoV-2 infiziert und keine oder nur leicht ausgeprägte Krankheitssymptome zeigt, kann also seit Montag sein Leben normal weiterführen. Infizierte werden nicht mehr getestet und die verpflichtende häusliche Isolation ist seit Anfang der Woche Geschichte. Wer milde Symptomen hat, kann das Haus verlassen und zur Arbeit, einkaufen, ins Restaurant oder an den Strand gehen.
Nur Empfehlungen
In der neuen Verordnung empfiehlt das spanische Gesundheitsministerium Menschen mit bestätigten Fällen lediglich zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen. Sie sollen soziale Kontakte so weit wie möglich einschränken und zehn Tage nach Auftreten der Symptome oder nach der Diagnose Maske tragen und Händewaschen.
In der Verordnung wird Infizierten auch nahegelegt, "den Kontakt mit gefährdeten Personen und die Teilnahme an Massenveranstaltungen besonders zu vermeiden“ oder – wenn möglich – im Homeoffice zu arbeiten. Müssen tun sie das jedoch nicht und die Mehrheit der Menschen muss sich ohnehin nicht mehr testen lassen. Wer sich zum Arbeiten nicht gesund genug fühlt, lässt sich krankschreiben.
Ausgenommen von den aktuellen Änderungen der Maßnahmen sind Menschen über 60 sowie Personen mit einer Immunschwäche. Auch für Schwangere und Mitarbeiter des Gesundheitswesens gelten die bisherigen Auflagen weiterhin. Diese Personengruppen werden bei Infektionsverdacht auch weiterhin getestet.
Hoher Impfschutz
Der Grund, warum Spanien aktuell große Schritte in Richtung Pandemieende wagt, ist die hohe Durchimpfungsrate: Mehr als 92 Prozent der spanischen Bevölkerung über zwölf Jahren ist mindestens zweimal geimpft. Bei Kindern ab fünf Jahren beträgt die Impfquote 36 Prozent. Und 79 Prozent der über 40-Jährigen sind außerdem mit einer Auffrischungsimpfung geschützt.
Hinzu kommt, dass in Spanien bereits viele Menschen eine Infektion durchgemacht und eine höhere hybride Immunität durch die hohe Durchseuchung in der ersten Corona-Welle haben. Das Land wurde zu Beginn der Corona-Pandemie besonders hart getroffen. Im Frühjahr 2020 wurde eine wochenlange Ausgangssperre über die Menschen verhängt, um die Ausbreitung des Coronavirus einschränken zu können.
Heute beobachtet das Gesundheitsministerium in Madrid einen Rückgang der schweren Krankheitsfälle.
Weitere Lockerungen geplant
Mit den letzten Änderungen der Maßnahmen bleibt in den meisten autonomen Regionen des Landes nun nur noch die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln bestehen. In Galicien gelten zwar noch die 3-G-Regeln beim Betreten von Krankenhäusern und Seniorenheimen sowie Obergrenzen bei den Gästen pro Tisch in Gaststätten. Aber auch diese Einschränkungen enden zum 9. April.
Das Gesundheitsministerium in Madrid betont, dass die neuen Regeln nicht in Stein gemeißelt sind. Richtschnur für eine mögliche Wende wird der Druck auf das Gesundheitssystem, also die Situation in den Krankenhäusern sein. Sobald die Krankenhausauslastung über zehn Prozent auf den Intensivstationen und fünf Prozent auf Normalstationen steige, müsste wieder getestet und Coronafälle gezählt werden.
Kritik aus der Medizin
Kritik an den drastisch gelockerten Maßnahmen gibt es aus der Medizin. Lorenzo Armenteros, Sprecher der spanischen Hausarzt-Vereinigung, sagt dazu gegenüber dem spanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVE: "Die derzeitigen Bedingungen sind weder epidemiologisch noch aus Sicht der Pandemiebekämpfung geeignet, da die Ansteckungsgefahr nach wie vor sehr hoch ist, die Inzidenz stagniert und das Virus ansteckender und schwieriger nachzuweisen ist.“ Es sei nicht der richtige Zeitpunkt, eine Entscheidung dieser Tragweite zu treffen, zitiert ihn der spanische Sender.
Die Sieben-Tage-Inzidenz in Spanien lag am Freitag bei 227 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, 3,6 Prozent aller Krankenhausbetten sind mit Corona-Patienten belegt. "Es war immer von einer solchen Situation die Rede, in der die Inzidenz unter 50 liegen würde. Es erscheint riskant, das jetzt zu tun und eine unbekannte Welt zu betreten“, so der Arzt.
Auch César Carballo, Notarzt am Universitätsklinikum Ramón y Cajal in Madrid, plädierte bereits vor einigen Monaten, die Grippe zu "covidisieren“ und nicht Corona wie die Grippe zu behandeln. Die Maßnahmen zur Eingrenzung von Covid-19 sollten auch auf die Influenza angewandt werden
„Jede COVID-positive, asymptomatische oder leicht symptomatische Person sollte für 7 Tage isoliert werden", twittert auch Vicente Baos, spanischer Allgemeinmediziner und Professor für medizinische Pathologie und öffentliche Gesundheit. "Zum Wohle der Allgemeinheit, um die Infektion nicht zu verbreiten. Und das sollte bei JEDEM Atemwegsinfekt gemacht werden. Vielleicht würde es die Häufigkeit ALLER Infektionen der Atemwege verringern". Er plädiert: "Lasst uns nicht zu den Ereignissen von vor zwei Jahren zurückkehren."
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