Wien-Energie-Chef: "Wir haben keine so hohen Preise verrechnet"
Im Spätsommer 2022 drohte Österreichs größtem regionalen Energieversorger in Folge von Verwerfungen im Großhandel die Zahlungsunfähigkeit. Wien-Energie-Chef Michael Strebl sprach mit dem KURIER über Strompreise, Energiebörsen und Politik.
KURIER: Wien Energie hat ein bewegtes Jahr hinter sich – sind die Gewässer wieder ruhiger?
Michael Strebl: Sie sind ein bisschen ruhiger geworden. In der Energiewirtschaft muss man die Balance von drei Ziele halten: Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Umweltschutz. Jede dieser drei Punkte ist letztes Jahr ins Wanken geraten.
Laufen noch Überprüfungen zu den Ereignissen vom August?
Wir sind momentan sicherlich das bestgeprüfte Unternehmen Österreichs. Wir haben mehrere Untersuchungen gehabt, von Stadtrechnungshof, Bundesrechnungshof, alle sonstigen möglichen Institutionen und natürlich die U-Kommissionen. Die Rechnungshöfe sind zum Teil noch im Haus, aber nähert sich dem Ende. Beim Jahresabschluss haben wir vom unabhängigen Wirtschaftsprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungvermerk bekommen.
Die Stadtregierung hat Ihre Kommunikation in der Krise kritisiert. Gerechtfertigt?
Ja, der Bürgermeister hat die die Kommunikation kritisiert. Das kann man besser machen, das ist keine Frage. Da waren wir sicher zu langsam damit, unsere Position zu erklären.
Techniker und Betriebswirt. Strebl wurde 1964 in Salzburg geboren. Er studierte Betriebswirtschaft und Technische Physik in London, Graz, Linz und Wien.
Seit 1994 in der Energiewirtschaft. Vor seiner Tätigkeit bei Wien Energie war der Vater zweier Kinder unter anderem Geschäftsführer der Salzburg Netz GmbH. Seit Ende 2022 ist er außerdem Präsident der Austrian Association für Energy Economics (AAEE).
386 Millionen Euro Gewinn hat Wien Energie im Geschäftsjahr 2022 erwirtschaftet.
Was ist geblieben vom "Black Friday"?
Wir waren sehr stark in der Defensive und mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. Ich hätte lieber mehr Ressourcen in die Gestaltung der Zukunft hineingesteckt.
Sind Sie politisch zwischen die Fronten gekommen?
Ja, mit Sicherheit, aber ich möchte da nichts mehr hinzufügen. Alles, was es dazu zu sagen gibt, habe ich gesagt.
Das Problem hat sich aus dem Börsenhandel ergeben. Dieser wurde sehr bald wieder aufgenommen. Ist mehr bilaterales Geschäft keine Option?
Der Börsenhandel ist insofern eine sehr sichere Option, weil für alle Geschäfte Kautionen hinterlegt werden. Wenn bei einem Handelspartner was schiefgeht, liegt dort eine Kaution, die Sie absichert. Das führt natürlich auf der anderen Seite zu Liquiditätsbedürfnissen. Im bilateralen Handel haben Sie diese Liquiditätsbedürfnisse nicht, aber das Risiko, dass Ihnen Ihr Handelspartner ausfällt. Ein paar Tage nach unserem Black Friday war die Schweizer Axpo stark in Liquiditätsschwierigkeiten. Ich möchte nicht wissen, was gewesen wäre, wenn die ausgefallen wäre. Das hätte einen Rattenschwanz an anderen Unternehmen mitgezogen. Also ich sehe schon, dass dieser bilaterale Handel risikoreicher ist. Denn da geht es nicht um Kautionen, die sie hinterlegen und die Sie wieder zurückkriegen, wenn das Geschäft geschlossen ist – sondern da handeln Sie sich wirklich einen Verlust ein.
Die Axpo wurde dann vom Staat gerettet.
Ja, da wurde ein Schutzschirm gemacht. Mittlerweile stellt sich die Situation wieder anders dar, weil durch die staatlichen Schutzschirme und die zurückgegangenen Preisniveaus wird der bilaterale Handel wieder attraktiver. Wenn ich weiß, dass der Handelspartner in einem staatlichen Schutzschirm ist, ist es natürlich desto leichter mit dem auch sicher zu handeln.
Was schützt Sie vor dem nächsten "Black Friday"?
Erstens ist das Preisniveau wieder niedriger. Aber wir haben auch risiko- und liquiditätsschonende Maßnahmen eingeleitet. Ich habe die Vorgänge im August ja mit einem Tsunami verglichen. Wir hatten eine zwei Meter fünfzig hohe Mauer gegen die Flutwelle gebaut. Jetzt haben wir gesehen, das ist nicht hoch genug. Jetzt haben wir die Mauer vier Meter fünfzig hoch gebaut.
Warum zahlen Neukunden bei Wien Energie mehr als 50 Cent pro Kilowattstunde Strom?
Die absolute Mehrheit unserer Bestandskunden zahlt seit September einen Preis von etwa 22 Cent, mit der Frei-Energie-Aktion sogar nur etwa 16 Cent pro Kilowattstunde. Ich will nicht unkollegial sein, aber das ist deutlich weniger als das was andere Energieversorger jetzt als Preissenkung verkaufen.
...aber wieso ist es für Neukunden so viel teurer?
Da wirken die hohen Großhandels–Strompreise vom letzten Jahr nach. Aber auch Neukunden bekommen 90 Frei-Energie-Tage.
Wieso verlangen Sie nicht einfach niedrigere Preise?
Wir haben im Vergleich zu anderen Anbietern keine so hohen Preise verrechnet, sonst hätten wir nicht 140 Millionen Euro Verlust in unserer Vertriebsgesellschaft.
Aber die Preise sind nur durch befristete Rabatte niedriger.
Wir werden im Sommer ein neues, wettbewerbsfähiges Angebot schnüren. Und wir geben heuer insgesamt 140 Millionen Euro an unsere Kundinnen und Kunden weiter: 50 Millionen Euro in der Fernwärme, rückwirkend für die vergangene Heizperiode, 80 Millionen Euro für Rabatte und Frei-Energie-Tage für Strom und Gas und weitere 10 Millionen Euro für soziale Härtefälle.
Wie viele Frei–Energie-Tage wird es geben?
Das hängt vom Strompreis im Sommer ab, jedenfalls wird es ein Volumen von 80 Millionen Euro sein.
Die Großhandelspreise sind seit letztem Jahr wieder deutlich gesunken...
Es werden jetzt auch wieder stark Float-Tarife beworben, aber da haben manche ein schlechtes Gedächtnis. Stellen Sie sich vor, wir hätten die Preise vergangenen Sommer an den Großhandelspreis gekoppelt. Dann hätten wir im August 1.000 Euro die Megawattstunde an unsere Kundinnen und Kunden verrechnet. Das entspricht etwa 30 Euro für einen Liter Benzin. Das wäre fatal gewesen.
Die Diskont-Anbieter sind zurück am Markt und schon wieder deutlich billiger.
Vergangenes Jahr haben einige Energieversorger ihre Kunden gekündigt. Wir haben, im Gegenteil, sehr viele Kunden aufgenommen, die andere gekündigt haben und im letzten Jahr 80.000 neue Kunden dazugewonnen. Jetzt kommen diese Anbieter wieder zurück auf den Markt. Ich kann nur an alle Kunden appellieren, sich genau anzuschauen, mit wem sie jetzt einen Vertrag abschließen. Möglicherweise, werden das wieder genau diejenigen sein, die dann ihre Kunden rausschmeißen, wenn es wieder stürmischere Zeiten gibt.
Wie kann man sich gegen diese "Stürme" wappnen?
Meiner Meinung nach muss man jetzt zwei Sachen machen: Kurzfristig entlasten, damit Energie leistbar bleibt und um den Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden. Das zweite und wirklich wichtige Thema ist, sich aus der Abhängigkeit von Gas herausinvestieren. Dafür geben wir in den nächsten fünf Jahren 1,8 Milliarden Euro aus.
Wien Energie will bis 2040 klimaneutral sein und setzt dabei große Hoffnung auf die Fernwärme. Zwar wird diese nicht nur mit Müll, sondern mehr als zur Hälfte mit Gas befeuert, das soll sich aber schrittweise ändern.
Das Unternehmen betreibt die größten kalorischen Kraftwerke im Land. Im Winter wird dort Heizung und Warmwasser für 440.000 Haushalte produziert – und gleichzeitig etwa doppelt so viel Strom, wie die Stadt verbraucht (sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung, KWK). Zu Spitzenzeiten wird dort allerdings bis zu 65 Prozent Erdgas verheizt. Dieses will Wien Energie bis 2040 ersetzen. Die Leistung soll dann zu je einem Viertel aus Großwärmepumpen, Geothermie, Müllverbrennung und grünen Gasen wie Wasserstoff gewonnen werden. Man werde "auch in einer dekarbonisierten Welt" KWK-Anlagen brauchen, sagte Strebl zum KURIER.
Im Netz-Ausbau beschreitet das Unternehmen heuer neue Wege. Bisher war eine Anschlussquote von 80 Prozent der möglichen Abnehmer (etwa: Häuser einer Straße) Voraussetzung, damit sich das Vorhaben wirtschaftlich rechnet. In der Vergangenheit habe sich aber gezeigt, dass diese Anschlussquote oft über mehrere Jahre verteilt erreicht werde. Wien Energie geht deswegen in Vorleistung und stellt heuer 50 Millionen Euro für den beschleunigten Ausbau zur Verfügung. Wien-Energie-Chef Michael Strebl sieht darin einen "Meilenstein" im Fernwärme-Ausbau.
Gibt es konkrete Projekte, die heuer fertig werden?
Mehrere. Wir bauen zum Beispiel die größte Wärmepumpe Europas mit der Kläranlage in Simmering. Der erste Teil soll 55.000 Haushalte versorgen und geht gegen Ende des Jahres in Betrieb. Der zweite Teil kommt bis 2026, dann haben wir 110.000 Haushalte. Heuer kommt außerdem die Abwärmenutzung von einem Rechenzentrum für das Klinikum Floridsdorf und am Standort Spittelau setzen wir eine weitere große Wärmepumpe ein. Beim Kraftwerk Donaustadt mischen wir dem Erdgas in einem Betriebsversuche 15 Prozent Wasserstoff bei.
Muss sich auch auf der regulatorischen Ebene etwas ändern – Ist der europäische Strommarkt fit für die Klimawende?
Die Krise hat die Schwachstellen im System aufgezeigt. Ich glaube, es ist wichtig, dass man das Marktsystem auf europäischer Ebene weiterentwickelt. Wenn irgendwer sagt, das ändern wir in Österreich, dann ist das Humbug. Dabei geht es auch um die Akzeptanz von erneuerbaren Energien. Wir müssen sicherstellen, dass auch die Preisvorteile von den erneuerbaren Energien bei den Kunden ankommen.
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