Während Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Aufklärung verspricht und der Konzern bestreitet, hochriskante Geschäfte getätigt zu haben, sehen Juristen einen möglichen Untreue-Verdacht
Es soll schon Termine mit einem besser gelaunten Wiener Bürgermeister gegeben haben. Nach einer viel kritisierten Schrecksekunde von fast zwei Tagen trat am Dienstag Michael Ludwig, flankiert von Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ) und Peter Weinelt, Aufsichtsratschef der Wien Energie, vor die Medien, um zu erklären, warum der städtische Energiekonzern über Nacht vom Bund für seine Energie-Geschäfte Garantien in Milliardenhöhe braucht.
Succus des Termins: Es handle sich um völlig normale Vorgänge, schuld an der Misere sei die jüngste rasante Preiseinwicklung am Strommarkt, die niemand vorhersehen konnte – und ein wenig doch auch die Bundesregierung, die es bisher verabsäumt hätte, einen Schutzschirm nach deutschem Vorbild für Energie-Unternehmen zu spannen.
Deshalb habe Wien einen eigenen Schutzschirm geschaffen, wie es Ludwig formuliert. Er meint damit jene zwei Mal 700 Millionen Euro an Sicherheiten, die er kraft seiner Notkompetenz als Bürgermeister am 15. Juli bzw. am Montag bewilligt hat. Sehr zur Empörung der Wiener Oppositionsparteien, die erst jetzt über die Medien über diesen Vorgang informiert wurden.
Begründen wollte Ludwig die Geheimhaltung nicht, beteuert aber gleichzeitig, „dass es nichts zu verbergen gibt“. Deshalb werde das Unternehmen nun durchleuchtet. Der Koalitionspartner Neos sei im Vorfeld informiert worden, sagte Ludwig auf ORF-Wien heute.
„Worst-Worst-Case“
Auch Hanke kalmiert: Der zuletzt fällig gewordene Betrag von über 1,7 Milliarden Euro sei eine Kaution, „die nicht verloren ist“. Aufgrund der aktuell wieder gefallenen Preise seien sogar 798 Millionen Euro wieder rückgebucht worden. Die aktuell mit dem Bund verhandelten zwei Milliarden Euro brauche man derzeit nicht. Die zuletzt im Raum gestandenen zehn Milliarden an Sicherheiten seien nur bei einer Zuspitzung der Marktlage im „Worst-Worst-Case“ nötig, wie man bei Wien Energie betont.
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hatte die Geschäfte des Unternehmens in Ö1 als „mutmaßlich spekulativ“ bezeichnet. Das bestreitet Weinelt entschieden. Das interne Risikohandbuch würde dies gar nicht erlauben. „Es stimmt nicht, dass auf sinkende Preise spekuliert wurde. Es gibt keinen Leerverkauf“, betont er. Und weiter: Aufgrund der Größe des Unternehmens komme nur ein Handel an der Börse in Frage.
Namhafte Strafrechtsexperten wie der frühere FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer orten hingegen einen möglichen Untreue-Verdacht, der von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geprüft werden sollte.
„Es waren offenkundig Spekulationsgeschäfte, die man besichern muss. Bei einem Umsatz von drei Milliarden Euro sechs Milliarden Euro zu riskieren, bleibt die Frage, welcher Geschäftsführer hat das zu verantworten“, sagt Böhmdorfer zum KURIER. „Es ist das Statut der GmbH zu beschaffen, wo genau drinnen steht, welche Geschäfte zustimmungspflichtig sind. Außerdem sind die Geschäftsführungssitzungs- und die Aufsichtsratssitzungsprotokolle beizuschaffen, weil dann weiß man, ob etwas verheimlicht wurde oder nicht.“ Nachsatz: „Ganz abgesehen von den Chat-Protokollen.“
Nach seiner Meinung sollen von der Geschäftsführung möglicherweise Handlungen gesetzt worden sein, die für das Unternehmen schädlich sein können. Dass die Wien Energie nun mitteilte, dass sie einem Spekulationsverbot unterliegt, hält Böhmdorfer für besonders spannend. „Wenn die ein Spekulationsverbot haben, dann muss man nach jetziger Verdachtslage annehmen, sie haben dagegen verstoßen, sonst würde nicht so überraschend eine solche negative Situation eintreten können“, sagt der Ex-Justizminister. „Die Frage ist nur, welche Personen eingeweiht waren.“
Zum Problem geworden sind aber nicht die Zukäufe, sondern die Verkäufe, für die das Unternehmen hohe Sicherheiten an den Börsen hinterlegen muss. Bis Ende 2024 hat das Unternehmen 4,5 Terawattstunden Strom in börslichen Terminverkäufen. Zum Vergleich: 2021 hat Wien Energie 6,28 Terawattstunden Strom selbst produziert.
Teure Sicherheiten
Die Sicherheiten für die Verkäufe sind mit dem Ansteigen der Strompreise im vergangenen Jahr immer teurer geworden, weswegen zusätzliche Kreditlinien gezogen werden mussten.
Durch die Vervielfachung des Preises Ende letzter Woche kam es dann schließlich zu einem weiteren sprunghaften Anstieg, weswegen Wien Energie die liquiden Mitteln dafür fehlen.
Laut einem Bericht des Standards haben auch die Banken die benötigten Summen nicht vorgeschossen, weil die Kapitaldecke des Unternehmens als nicht ausreichend beurteilt wurde. Deswegen wurde die Politik zur Hilfe gerufen.
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