Um weniger erpressbar zu sein, haben sich die EU-Staaten auf das Ziel geeinigt, ihre Gasspeicher bis November zumindest zu 80 Prozent zu füllen. Zwar sind einige Länder davon noch weiter entfernt, insgesamt scheint der Staatenbund aber auf einem guten Weg zu sein. In allen EU-Staaten zusammengezählt sind die Speicher bereits zu 84 Prozent ausgelastet. Das entspricht knapp 940 Terawattstunden (TWh) Erdgas, etwas weniger als einem Viertel des Jahresbedarfs.
Und das, obwohl Russland die Gasexporte nach Europa heuer stark reduziert hat. Die Ausfälle wurden also erfolgreich durch andere Lieferanten ausgeglichen, folgern die Analysten von Goldman Sachs. Wenn auch zu deutlich höheren Preisen. Wichtig war dabei vor allem der vermehrte Import von Flüssiggas (LNG) auf dem Seeweg, aber auch der Rückgang beim Verbrauch spielt eine Rolle. Nach Einschätzung von Goldman Sachs sollten die EU-Staaten somit über den Winter kommen.
Das sei "durchaus plausibel", meint Leo Lehr von der österreichischen Regulierungsbehörde E-Control auf Anfrage des KURIER. Vorausgesetzt, die EU-weiten Einsparungen können umgesetzt werden und die nicht-russischen Lieferungen etwa aus Norwegen und Nordafrika bleiben stabil. Die zwei neuen LNG-Terminals, die um den Jahreswechsel in Deutschland in Betrieb gehen sollen, könnten zusätzliche Entlastung bringen. Was die Preise betrifft, ist die Prognose aber "sehr optimistisch", meint der Experte. Auch sei davon auszugehen, dass die Preise im Herbst kommenden Jahres wieder ansteigen.
Ende des Schreckens?
Damit könnte das Horrorszenario eines russischen Gas-Lieferstopps deutlich an Schrecken verlieren.Zuletzt sind die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer angekündigten Wartung Anfang September nicht wieder aufgenommen worden. Der russische Staatskonzern Gazprom beruft sich auf technische Probleme und sieht die Ursache beim Turbinenhersteller sowie in den EU-Sanktionen gegen die Lieferung technischer Geräte. Präsident Wladimir Putin hat zuletzt aber erklärt, dass Russland der EU kein Gas liefern werde, wenn das den nationalen Interessen widerspricht. Damit hat er ausgesprochen, was etwa die deutsche und die österreichische Regierung ohnehin längst angenommen hat: Russland ist im Wirtschaftskrieg mit der EU und setzt die Energielieferungen als Druckmittel ein.
Bemerkenswert ist dabei, dass weder die Ankündigung Putins noch der unbefristete Lieferstopp auf der Nord-Stream-Route zu weiteren Preisausschlägen am europäischen Markt geführt hat. Durch die Ukraine und die Türkei fließt übrigens noch russisches Gas nach Europa. Dass Gazprom diese Lieferungen dauerhaft einstellt, hält zumindest Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) für unwahrscheinlich. Denn Moskau würden dadurch Einnahmen entgehen, schätzt auch der Ökonom Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Russland sei bei den Erdgasexporten zu etwa vier Fünftel auf Pipelines angewiesen und könne deswegen nicht so einfach andere Abnehmer beliefern.
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