Aus für Sportdirektor Toni Giger: Die großen Rochaden beim ÖSV
Keine zwei Monate ist es her, dass sich beim Österreichischen Skiverband (ÖSV) alle in den Armen lagen. Symbolisch zumindest - in Zeiten von Corona ist zu viel Nähe nicht angebracht.
15 Medaillen hatten die Athletinnen und Athleten des ÖSV bei den Winterspielen in Peking errungen - die zweitbeste Ausbeute in der langen Olympia-Geschichte.
"Einfach großartig", sei diese Bilanz, frohlockte Verbandspräsidentin Roswitha Stadlober, die in der letzten Wettkampfwoche selbst in China war. "Ich bin hochzufrieden und bin dankbar und stolz auf das gesamte Team. Es wurde hervorragend gearbeitet. Ich glaube, wir waren gut vorbereitet und daher auch diese tolle, großartige Bilanz.“
Ein Abgang nach dem anderen
Die Bilanz nach dem Winter liest sich freilich anders: Der Cheftrainer der österreichischen Ski-Herren (Andreas Puelacher)? Weg.
Der Cheftrainer der Ski-Damen (Christian Mitter)? Ebenfalls weg.
Der österreichische Alpindirektor (Patrick Riml)? Auch nicht mehr in Amt und Würden. Und seit Mittwoch ist auch Anton Giger beim ÖSV Schnee von gestern. Das bestätigte der Verband. Mit ihm "verlässt eine der erfolgreichsten Trainer- und Führungspersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte" den ÖSV, wird Stadlober in einer Aussendung zitiert: "Dafür gilt ihm im Namen der gesamten österreichischen Skifamilie unser besonderer Dank und Respekt." Laut KURIER-Informationen wird die Stelle auch nicht nachbesetzt.
Der 59-jährige Salzburger war als Direktor für sämtliche olympische Sportarten die höchste sportliche Instanz innerhalb des ÖSV. Giger selbst meinte, er habe "33 Jahre lang meinen Traumjob in einem professionellen Sportumfeld wie dem ÖSV machen dürfen". Aktuell befinde sich der ÖSV in einer Umbruchphase, wurde Giger vom ÖSV zitiert. "In den vergangenen Wochen ist in mir der Entschluss gereift, dass auch ich mich noch einmal einer beruflichen Veränderung und neuen Herausforderung stellen möchte - zum bestmöglichen Zeitpunkt. Die Entscheidung zu treffen, ist mir nicht leichtgefallen, aber sie ist richtig."
Nur einmal zur Verdeutlichung: Da bejubelt der Skiverband die zweiterfolgreichsten Winterspiele der Geschichte; da gewinnen die ÖSV-Alpinen nach zwei bitteren Wintern erstmals wieder den Nationencup; da haben die Skispringer das erste Mal seit 2014 wieder die Lufthoheit und holen sich ebenfalls den Nationencup...
... kurzum: Da kann der erfolgsverwöhnte ÖSV auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken und dann verlassen sämtliche alpinen Führungskräfte den größten und bedeutendsten Skiverband der Welt - obendrein auch noch alle aus freien Stücken.
Was ist da los?
Das wirft zwangsläufig Fragen auf, was da los war und los ist beim Österreichischen Skiverband.
War der Abschied von Christian Mitter als Cheftrainer der ÖSV-Skifrauen noch nachvollziehbar - der Steirer konnte in den letzten drei Saisonen nicht die erhofften Erfolge verbuchen - so kam schon der Rückzug von Andreas Puelacher durchaus überraschend.
In die Ära des Tirolers, der seit 2014 die Geschicke bei den Herren leitete, fallen mehrere österreichische Olympiasiege, WM-Titel und Erfolge im Gesamweltcup. Eigentlich hätte der ÖSV den Vertrag mit dem verdienstvollen Trainer anstandslos verlängern sollen, doch Puelacher verließ aus eigenen Stücken den Verband und fungiert künftig als Cheftrainer der deutschen Ski-Frauen.
Bis zu seinem Abschied ließ Andreas Puelacher in der Öffentlichkeit nie ein schlechtes Wort über den ÖSV und seine Vorgesetzten kommen, doch es ist ein offenes Geheimnis, dass zwischen ihm und Sportdirektor Anton Giger die Chemie nie wirklich stimmte.
Kompetenz und Machtfülle
Giger war von 1999 bis 2010 Leiter der ÖSV-Ski-Herren, die gerade zu Beginn des Jahrtausends dank der Ausnahmekönner Hermann Maier, Stephan Eberharter, Benjamin Raich & Co. den Sport dominierten. Nachdem die ÖSV-Skifahrer bei den Winterspielen 2010 in Vancouver überraschend keine Medaille geholt hatten, wurde der Salzburger innerhalb des Verbandes in die neu geschaffene Abteilung für Entwicklung, Forschung und Innovation weggelobt.
Der damalige Präsident Peter Schröcksnadel hatte Angst, dass Giger im Ausland anheuert und damit österreichisches Know-how abwandert und schuf für den ehemaligen Erfolgscoach einen eigenen Posten.
Aus dem Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung wurde schließlich der Direktor für sämtliche olympischen Sportarten. Eine enorme Kompetenz und Machtfülle, der sich der Salzburger durchaus bewusst war.
Während der Winterspiele in Peking dürfte Anton Giger mit seiner Meinung und Expertise jedenfalls nicht hinterm Berg gehalten haben. Wenn's etwa um die Aufstellung der vier Läuferin/innen ging, selbst bei der Wahl der Startnummern soll er Ratschläge erteilt haben.
Beim Sportdirektor liefen alle ÖSV-Fäden zusammen, Kritik nahm er dementsprechend persönlich. Als sich Biathlet Felix Leitner während Olympia nach einem Rennen vor laufender Kamera über sein Ski-Material - und damit indirekt über die Arbeit in Giger Forschungs- und Entwicklungsabteilung - beschwerte, wurde er zurechtgewiesen.
Nähe zu Athleten
Wenige Stunden später entschuldigte sich Leitner - abermals vor laufenden Kameras - für seine emotionalen Äußerungen. Aus der Welt war die Geschichte damit aber noch nicht. Früher wäre es vielleicht so gewesen.
Doch die neue ÖSV-Präsidentin sucht noch mehr die Nähe zu den Athleten. Und so erklärte Verbandschefin Roswitha Stadlober im KURIER-Interview, dass sie nach diesem Vorfall bewusst den Kontakt zu Biathlet Felix Leitner gesucht habe. "Ich habe ihn angerufen und wollte wissen, was los war. Das war mir wichtig."
Die Vorkommnisse in Peking dürften in der höchsten ÖSV-Ebene jedenfalls für Irritationen gesorgt haben. Mag sein, dass unter einem Präsidenten Peter Schröcksnadel alles unter den weißen Teppich gekehrt worden wäre und sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hätte.
Doch mit Roswitha Stadlober (Präsidentin) und Patrick Ortlieb (Vizepräsident) sind nun zwei Personen am Ruder, die a) in ihrer aktiven Zeit selbst Superstars waren und über das entsprechende Know-how verfügen und obendrein b) dank ihrer Kinder andere Einblicke in das System und die Arbeit im ÖSV haben.
Teresa Stadlober holte bekanntlich in Peking als erste Österreicherin eine Langlauf-Medaille, Nina Ortlieb gewann 2020 den Super-G in La Thuile.
Synergiedenken als "Olympia-Star"
Aber nicht nur das Auftreten von Toni Giger während der Winterspiele dürfte bei den ÖSV-Oberen für Irritationen gesorgt haben. Der Sportdirektor ließ nach dem Erlöschen des Olympischen Feuers auf Eigeninitiative auch über den offiziellen ÖSV-Weg eine Aussendung verschicken, in der er eine "persönliche" Olympia-Bilanz zog.
"Das sage ich als Mathematiker! Star dieser Olympischen Winterspiele ist für mich das Synergiedenken, das sich gegen das ausschließliche Konkurrenzdenken durchgesetzt hat“, war da zu lesen.
Wenige Tage später trennte sich der ÖSV von seinem Pressesprecher. Und auch das Wirken von Anton Giger wurde von der Führungsebene seither laut KURIER-Informationen noch kritischer beäugt.
Das mündete jetzt laut TT-Informationen in der Trennung. Es ist der letzte Beweis, dass sich der ÖSV nur wenige Monate nach Ende der 30-jährigen Ära von Präsident Peter Schröcksnadel neu erfindet und unter Roswitha Stadlober (Präsidentin), Patrick Ortlieb (Vizepräsident) und Christian Scherer (Generalsekretär) neue Wege beschreitet.
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