ÖSV-Vize Ortlieb: "Einige werden die Lust am Skifahren verloren haben"
Patrick Ortlieb gewann bei den Olympischen Winterspielen 1992 in Albertville Abfahrtsgold, im ÖSV ist der 54-jährige Vorarlberger mittlerweile Finanzreferent.
KURIER: Hat man als Abfahrtsolympiasieger hierzulande einen anderen Status als ein Olympiasieger in einer anderen Disziplin?
Patrick Ortlieb: Das wäre jetzt unfair, wenn ich das selbst beurteilen und mir darauf etwas einbilden würde. Und es ist sicher auch länderspezifisch. In Österreich ist es halt so: Jeder Bub, der Skirennen fährt, hat den Abfahrtsolympiasieg auf dem Radar. Einigen wenigen geht dieser Traum auch auf. In Österreich sind’s bisher sechs, und ich war einer dieser Glücklichen.
Dabei hatten Sie auf der kurvenreichen Face-de-Bellevarde-Piste gar nicht zu den Favoriten gezählt.
Mir hat man damals einen Stempel aufgedrückt, dass ich dort keine Chance hätte, und viele haben das ohne nachzudenken nachgeplappert. Mich haben Zurufe von außen aber schon immer kalt gelassen. Ich habe mich auf diese besondere Abfahrt speziell vorbereitet und ein Jahr vorher dort sogar extra an den französischen Meisterschaften teilgenommen. Das war Eigeninitiative.
Lassen Sie uns zurück in die Gegenwart kommen: Wie präsentiert sich der Skisport im Winter 2022?
Der Skisport ist relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Die Schweiz hat uns vorgemacht, dass man auch Rennen mit vielen Zuschauern machen kann. Bei uns war das leider nicht möglich, aber es ist müßig, mit den Behörden zu diskutieren. Jedes einzelne Rennen, das wir in Österreich über die Bühne kriegen, ist wichtig. Vielleicht müsste man einfach eine Demo anmelden. Eine Skifan-Demo – da könnten dann 20.000 Leute kommen. Schade ist, dass alles auf Kosten des Ski-Nachwuchs geht. Aber das ist leider nichts Neues.
Was meinen Sie?
Wir hören ja auch seit Langem, wie wichtig die tägliche Turnstunde ist. Und was wird dann als erstes abgesagt? Die Schulskikurse und der Sportunterricht.
Spürt denn der ÖSV beim Nachwuchs schon die Auswirkungen von Corona?
Wir spüren das zum Beispiel massiv in der Bundesskiakademie in St. Christoph. Normalerweise ist die durchgängig mit Schulskikursen gefüllt, jetzt steht sie den zweiten Winter leer. Das macht’s alles nicht leicht.
Glauben Sie, dass Talente auf der Strecke bleiben?
Wir werden sicher einen kleinen Knick haben. Nur haben wir die Hoffnung, dass es anderen Nationen ähnlich ergeht. Außer den Schweizern, die sind schon im letzten Winter ein normales Programm gefahren. Es heißt zwar jetzt nicht, dass gleich alles wegbricht, aber einige Leute werden schon die Lust am Skifahren verloren haben. Und was den Weltcup betrifft: Da wird sich in den nächsten Jahren einiges ändern.
Der Rennläufer: Patrick Ortlieb (*20. Mai 1967) ist einer der wenigen Abfahrer, die Olympiasieger (1992) und Weltmeister (1996) wurden. Der Vorarlberger feierte in seiner Karriere vier Weltcupsiege.
Der Funktionär: Ortlieb war von 2010 bis 2019 Vorarlberger Ski-Präsident, seit Herbst ist er Finanzchef des ÖSV. Der 54-Jährige, der drei Jahre für die FPÖ im Nationalrat saß, führt ein Hotel in Oberlech. Tochter Nina (25) ist ebenfalls Rennläuferin und einfache Weltcupsiegerin
Inwiefern?
Es wird in Zukunft mehr Rennen geben. Und wenn das manchen Athleten zu anstrengend ist, dann sollen sie eben auf das eine oder andere Rennen verzichten. Ein Tennisspieler muss auch nicht an allen Turnieren teilnehmen. Ich verstehe auch nicht, dass es immer wieder Diskussionen darüber gibt, dass es zu viele Rennen wären. Die FIS und auch wir als ÖSV bieten den Athleten eine gute Plattform, damit sie Geld verdienen können. Das können sie annehmen oder nicht. Nehmen wir zum Beispiel Zermatt.
Sie reden von der länderübergreifenden Abfahrt am Matterhorn, die im November erstmals im Weltcupkalender aufscheint.
Genau. Wenn jemand diese Abfahrt nicht fahren will, weil ihm vielleicht die Höhenlage nicht passt, oder weil es ihm zu anstrengend ist, dann soll er es bleiben lassen. Kein Problem. Aber was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn alles schlecht geredet wird. Es ist manchmal nicht ganz nachvollziehbar, was einige Athleten von sich geben.
Liegt die Zukunft des Weltcups also in einer längeren Saison?
Der Skisport braucht einfach eine größere internationale Bühne. Und aus diesem Grund muss man natürlich auch über Sommerrennen diskutieren. Chile, Argentinien, Neuseeland, Australien – dort gibt es große Skigebiete, dort wäre das ein Riesenevent und hätte meines Erachtens sehr wohl eine Daseinsberechtigung.
Das heißt, der Weltcup muss neue Märkte erobern?
Da geht es gar nicht nur um den Skisport. Die Skiindustrie hat daran auch ein großes Interesse. Bei uns in den Alpen haben wir gesättigte Märkte, und jeder weiß: Stehenbleiben ist Rücktritt.
Was können Sie Rennen in Ski-Hallen abgewinnen?
Da müsste man erst einmal ein Format entwickeln, vielleicht einen Slalom in drei Durchgängen. Und wenn es nur Schauwettkämpfe sein sollten. An der internationalen Dichte im Slalom kann man schon erkennen, dass Skihallen Sinn ergeben. Viele Slalomläufer sind Hallenkinder und nutzen diese Möglichkeit des Trainings.
Sie sind seit Herbst Vizepräsident und Finanzchef des ÖSV. Wie herausfordernd ist dieses Amt?
Ich war ja vorher schon lange beim Verband, für mich ist das kein Neuland. Peter Schröcksnadel hat mich lange eingeschult und mir viel Wissen mitgegeben. Ich habe ihm versprochen, dass der Verband so weitergeführt wird, auch mit einem kaufmännischen Hintergedanken. Andererseits sieht man, dass Geld allein auch keinen Erfolg garantiert. Sonst müssten wir alles gewinnen.
Wobei sich der ÖSV in diesem Winter nicht beschweren darf. Es gab quer über alle Sparten Erfolge.
Das stimmt natürlich. Aber es gibt auch Baustellen, und da schaue ich genau hin. Mir liegt vor allem der Alpinsport am Herzen, da vermisse ich gewisse Entwicklungen.
Wovon sprechen Sie?
Im Damen-Riesentorlauf muss man ja fast schon sagen, das ist peinlich. Entschuldigung für diesen Ausdruck. Aber da könnte man sich jetzt langsam schon ein bisschen mehr erwarten. Nur Zuschauen und Warten und Hoffen, dass irgendwann Ergebnisse passieren, das bin ich nicht. Ich sage ganz klar: Erfolg ist planbar, egal ob im Sport oder in der Geschäftswelt. Natürlich wird man immer wieder gegensteuern müssen, aber es sollte strukturiert ablaufen und nicht auf Zufall basieren.
Ihre Tochter Nina ist selbst Rennläuferin und verpasst nach einer langen Verletzungspause Olympia. Wie sehr leiden Sie als Vater mit?
Die richtigen Rennpferde sind leider die, die immer wieder verletzt sind. Man muss sich nur Sofia Goggia anschauen. Das sind Athletinnen, die ein Renn-Gen haben und eben immer ans Limit gehen. Natürlich tut es als Elternteil weh, aber Nina ist noch jedes Mal noch stärker zurückgekommen. Und das wird sie jetzt auch. Wenn ich sie im Training sehe, kriege ich den Mund kaum zu.
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