Zu wenige Allrounder, zu viele Mitläufer: ÖSV vor großen Herausforderungen
197 Punkte Vorsprung auf die Schweiz – zumindest die Nationenwertung sollte Österreich in dieser Weltcupsaison sicher sein. Abgesehen davon wird der ÖSV zum zweiten Mal in diesem Jahrtausend nach 2019/’20 bei der Vergabe der Kristallkugeln wohl leer ausgehen.
Dem gegenüber stehen sieben Ski-Medaillen bei den Winterspielen in Peking. „Es funktioniert ja vieles gut“, sagt der neue Alpinchef Herbert Mandl. Trotzdem warten einige Herausforderungen auf die zwei neuen Cheftrainer Thomas Trinker (Frauen) und Marko Pfeifer (Herren).
- Fehlende Allrounder
Die Nominierung der elf Olympia-Starter offenbarte das Dilemma im ÖSV-Herrenteam. Österreich hat überdurchschnittlich viele Läufer, die nur in einer Disziplin aktiv bzw. konkurrenzfähig sind: Michael Matt, Johannes Strolz, Fabio Gstrein, Christian Hirschbühl, Adrian Pertl (Slalom), Stefan Brennsteiner, Patrick Feurstein, Roland Leitinger (Riesentorlauf), Otmar Striedinger (Abfahrt), Christian Walder (Super-G) - all diese Fahrer haben nur ein alpines Steckenpferd.
„Die Architektur unserer Herren-Mannschaft ist speziell“, weiß ÖSV-Sportdirektor Anton Giger. „Wir müssen unbedingt wieder dorthin kommen, dass unsere Athleten mehr Disziplinen fahren.“
Nur dann besteht auch die reelle Chance, wieder in den Kampf um den Gesamtweltcupsieg eingreifen zu können. „Man muss ein Spektrum über zwei Disziplinen hinaus haben. Sonst kann man im Gesamtweltcup nicht reüssieren“, sagt Alpinchef Herbert Mandl.
Das ist freilich leichter gesagt, als getan. „Ich habe es in meiner Slalomgruppe in den letzten Jahren gesehen, wie schwierig das ist. Viele Gute scheitern an der zweiten Disziplin“, erzählt der neue Herren-Chef Marko Pfeifer.
- Frauen-Riesentorlauf
Es ist erstaunlich und bedenklich zugleich, dass die Österreicherinnen in der Basisdisziplin seit Jahren keine Rolle spielen. Der letzte ÖSV-Sieg (Eva-Maria Brem) ist bereits sechs Jahre her, seither tritt das Riesentorlauf-Team auf der Stelle, manche Läuferinnen wie Stephanie Brunner rutschten von den Top 5 gar in die Bedeutungslosigkeit.
Bezeichnend, dass im Riesentorlauf-Weltcup die beste Österreicherin (Katharina Truppe) erst an zehnter Stelle zu finden ist. ÖSV-Vizepräsident Patrick Ortlieb fand für die Leistungen der Riesentorläuferinnen nur ein Wort: „peinlich.“
Der neue österreichische Alpinchef Herbert Mandl sieht im Riesentorlauf und in einer soliden Grundtechnik die Basis für zukünftige Erfolge – egal ob im Speedbereich oder im Slalom. „Wir müssen erst Skifahren lernen, bevor wir ans Rennfahren denken“, sagt der Niederösterreicher.
- Altersstruktur
Johannes Strolz gelang in dieser Saison mit 29 Jahren der Durchbruch, Stefan Brennsteiner kratzte am 30er, als er sich im letzten Winter im Weltcup etablierte, Daniel Hemetsberger gelang im Jänner mit 30 der erste Podestplatz seiner Karriere – „wir stellen fest, dass das Hochleistungsalter gestiegen ist“, erklärt Anton Giger.
Dieser Trend erfordert von den Trainern einerseits mehr Geduld, andererseits muss der Skiverband seine Kader verbreitern, damit ja kein potenzieller Spätstarter auf der Strecke bleibt. „Es geht vor allem um eines: Wie können wir diese Sportlerinnen und Sportler in der Zeit bis zum Erreichen des Hochleistungsalters weiterhin fördern und sozial absichern“, sagt Giger.
- Europacup
Auch in der zweiten Kategorie ließen die erstklassigen Leistungen zu oft zu wünschen übrig. Immerhin sicherte sich Franziska Gritsch den Gesamtsieg, nachdem es für die 25-jährige Ötztalerin im Weltcup nicht laufen wollte. Mit Christina Ager (26) konnte eine Österreicherin eine Disziplinenwertung (Super-G) gewinnen und sich einen fixen Startplatz für den Weltcup sichern.
Düster sieht’s bei den Herren aus: In der Europacup-Gesamtwertung scheinen nur zwei Österreicher in den Top 15 auf, dafür aber gleich fünf Schweizer. Im Riesentorlauf sind Läufer aus elf Nationen unter den ersten 15 vertreten, aber kein einziger ÖSV-Athlet. „Im Europacup muss definitiv mehr kommen“, fordert Alpinchef Herbert Mandl.
- Zu viele Mitläufer
Marco Odermatt hat in diesem Winter allein mehr Rennen gewonnen (7) als das ÖSV-Herren-Team (6), Sofia Goggia (ITA) schaffte in dieser Saison gleich viele Siege wie die ÖSV-Frauen in den letzten drei Weltcupwintern (6). Masse statt Klasse – damit lässt sich zwar mit Ach und Krach der Nationencup gewinnen, die Big Points holen aber andere.
Das belegt eine weitere Statistik: 22 österreichische Frauen kamen in diesem Winter in die Punkteränge und sammelten dabei im Schnitt 225 Zähler. Italien hatte nur elf Läuferinnen, deren Schnitt lag aber bei 339. Ähnlich ist die Statistik bei den Herren. „Unser Ziel muss sein, die Leute, die jetzt zwischen Platz 20 und 30 fahren, weiter nach vorne zu bringen“, sagt Neo-Herren-Chef Marko Pfeifer.
- Konstanz
Wie viel Potenzial in der Herren-Mannschaft steckt, zeigen die zehn unterschiedlichen Läufer, die es in diesem Winter aufs Podium geschafft haben. Mit Matthias Mayer, Vincent Kriechmayr und Manuel Feller gibt es aber nur drei, die zumindest zwei Mal auf dem Podest standen. „Uns hat auch die Konstanz gefehlt, um eine Kugel zu holen“, sagt Anton Giger.
- Supertalente
Natürlich wachsen Stars à la Anna Veith oder Marcel Hirscher, die bereits in jungen Jahren für Furore sorgen, nicht auf den Bäumen. Aber es fällt auf, dass andere Nationen reihenweise über Läufer Anfang 20 verfügen, die die Konkurrenz alt aussehen lassen: Die beiden Norweger Lucas Braathen und Atle Lie McGrath haben mit 21 bereits Weltcuprennen gewonnen.
Der große ÖSV hat bei den Jahrgängen 1997 und jünger mit Katharina Liensberger und Raphael Haaser nur zwei Athleten, die in einer der vier Kerndisziplinen (Abfahrt, Super-G, Riesentorlauf, Slalom) schon einmal auf dem Stockerl standen.
Magdalena Egger (21) wird zwar vor allen Experten eine große Zukunft prophezeit, bei ihren Auftritten beim Weltcupfinale wurde die sechsfache Juniorenweltmeisterin einmal Vorletzte und einmal Letzte. „Wir müssen die Ausbildungskonzepte überdenken“, sagt Anton Giger.
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