Nach der Fußball-WM: Wie Saudi-Arabien Katar überholt hat
In Lusail, dort, wo vor zwei Jahren Lionel Messi den WM-Pokal in die warme katarische Luft gestemmt hat, fahren heute die Formel-1-Boliden ihre Runden.
Die Augen sind wieder auf das Emirat gerichtet, doch die Kritik an System und Menschenrechtsverletzungen ist seither stark zurückgefahren worden.
Politisches und wirtschaftliches Eigeninteresse wurde dem Veranstalterland nachgesagt, das sich insbesondere in den Jahren vor der Fußball-WM um etliche internationale Sportveranstaltungen bemüht hatte.
Katars Konzept kopiert
Die Formel 1 dreht freilich immer noch in Doha ihre Runden – doch die Zeiten der gigantischen Bemühungen scheinen vorbei in Katar – oder zumindest unter Radar.
Längst scheint ein anderer, viel größerer Player in der Region das Zepter übernommen zu haben: Saudi-Arabien hat das katarische Modell kopiert – und in den vergangenen Jahren stark aufgeholt, wie Nahost-Experte Sebastian Sons vom Thinktank CARPO erklärt.
Internationale Sportveranstaltungen unter höchst professionellem Eventmanagement abzuhalten ist eine der Säulen von Riads "Vision 2030", einer Initiative, die das Königreich unabhängig von dessen Öl machen soll.
Keine Limis: Fußball, Formel 1, Olympia
Die Sport-Strategie Saudi-Arabiens wurde spätestens im Vorjahr sichtbar, als insbesondere die dortige Fußballliga Saudi Pro League mit Transfers, die insgesamt rund eine Milliarde Dollar kosteten, aufgewertet werden sollte. Hinzu kommen Sponsorings der neuen saudischen Airline Riyadh Air etwa bei Atlético Madrid und AS Roma oder durch die Partnerschaft der Unterhaltungsplattform Riyadh Season mit der spanischen LaLiga.
In diesem Rahmen hat man schon die Formel 1 durch einen Deal mit der staatlichen Ölgesellschaft Aramco mit einer halben Milliarde Euro unterstützt.
Die Winter-Asienspiele 2029 werden von Saudi-Arabien ausgerichtet – wenngleich die Durchschnittstemperaturen im kältesten Monat Jänner in der Hauptstadt Riad zwischen 9 und 20 Grad liegen. Der Austragungsort Trojena ist Teil der in Bau befindlichen Megacity Neom im Nordwesten des Landes.
Im Dezember wird zudem die Fußball-WM 2034 – ohne Konkurrenzbewerbung – an Saudi-Arabien vergeben. Ihre anfänglichen Bedenken scheint der Fußball-Weltverband FIFA still und leise über Bord geworfen zu haben: Die Vergabe der WM nach Saudi-Arabien werde die Menschenrechtssituation dort verbessern, so das Argument. Soweit bekannt aus Katar.
Krieg und Terror: Weit unter dem Radar der westlichen Medien führt Saudi-Arabien immer noch einen Stellvertreterkrieg im Jemen – mit Tausenden zivilen Opfern. Eigentlicher Gegner: Iran. Zudem gilt Riad als Finanzier von internationalen Terrororganisationen
Frauenrechte: Die Rechte von Frauen sind stark eingeschränkt. Es dauerte bis 2021, bis Frauen selbst Auto fahren durften. Arztbesuche, Reisen und Arbeit sind oft nur mit Erlaubnis des männlichen Vormunds möglich
Gastarbeiter: Wie in Katar sind auch in Saudi-Arabien viele Arbeiter und Arbeiterinnen aus Ländern wie Indien, Bangladesch und Pakistan beschäftigt. Auch hier gilt das im Rahmen der WM in Katar so oft kritisierte "Kafala"-System, das die Arbeitnehmer in eine gefährliche Abhängigkeit treibt. Es wurde zwar im Rahmen der Vision 2030 reformiert, die Bedingungen für die Gastarbeiter sind aber weiterhin unwürdig
Todesstrafe und Mord: Kritiker werden mundtot gemacht oder exekutiert. Die Zahl der politischen Häftlinge ist unbekannt, Hunderte sind zum Tode verurteilt
Scheinwerfer abgedreht
Auch wenn in Katar der Höhepunkt der Fußball-WM mittlerweile vorbei ist und die Scheinwerfer und insbesondere die Kritik an Menschenrechtsvergehen und der Ausbeutung von Arbeitsmigranten längst nicht mehr auf Doha gerichtet sind, zieht sich das Emirat nicht zurück aus dem Weltsport.
Man habe sich über Jahre einen Ruf der professionell arbeitenden Eventorganisatoren erarbeitet, sagt Sebastian Sons. 2027 wird etwa die Basketball-WM hier stattfinden, am Freitag wurde verkündet, dass der Staatsfonds von Katar (QIA) mit einer „signifikanten Minderheitsbeteiligung“ beim künftigen Formel-1-Werksteam von Audi einsteigt. Mit Qatar Airways ist man einer der Hauptsponsoren der Königsklasse.
Und auch eine Bewerbung für Olympische Sommerspiele sei nicht ausgeschlossen.
Interne und externe Ziele
Die saudischen Ambitionen sind dennoch ungleich größer und wirken auf manche Beobachter aus Europa schon größenwahnsinnig.
Das Ziel von Kronprinz Mohamed bin Salman ist es, einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert für das Königreich zu schaffen.
- Intern kann man der eigenen Bevölkerung zeigen, wie man Sichtbarkeit und Akzeptanz für Saudi-Arabien im Ausland schafft.
- Außerdem kann im eigenen Land über den Sport die Loyalität für MBS gestärkt werden. Nicht zuletzt durch die Schaffung von Arbeitsplätzen – auch ein wirtschaftlicher Mehrwert.
- Durch Investitionen im Ausland – etwa im Fußball, im Tennis, in der Formel 1, aber auch etwa in eSports – schafft man für Unternehmen wie Aramco und Riyadh Air einen Marktzugang in Europa.
Gewöhnungseffekt und Sportswashing
Angenehmer Nebeneffekt der Sport-Investitionen: Läuft es gut und rollt der Rubel, wird internationale Kritik an mangelnder Pressefreiheit und Menschenrechtsverletzungen auf lange Sicht immer leiser werden. „Es setzt ein gewisser Gewöhnungseffekt ein“, sagt Sons.
Multi-Club-Ownership und Investitionen aus den Golfstaaten seien mittlerweile „normal“. Die Frage nach den Menschenrechten wird nach und nach zu mühselig für die breite Öffentlichkeit.
Europa nicht mehr das Zentrum
Das Argument, dass Länder aus der Golfregion den europäisch geprägten Sport einkaufen und ihn dem Westen „wegnehmen“, will Sons nicht gelten lassen.
In den großen Sportarten seien traditionelle Märkte ausgeschöpft, Europa längst nicht mehr das Zentrum des Interesses. Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate blicken auf Märkte wie Afrika oder Asien.
Dass dort viele Muslime leben, ist kein Zufall. Engagements von Athleten in Saudi-Arabien oder Katar zeigen, dass muslimische Sportstars in diesen muslimischen Ländern ihre Religion ausleben können. Hier müssen sie sich nicht rechtfertigen, wenn sie den Ramadan einhalten oder die Frauen verschleiert sind. „Das religiöse Element würde ich in dem Zusammenhang nicht außer Acht lassen“, sagt Sons.
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