Der Sport
„Nichts weckt so viel Interesse wie eine Fußball-WM“, sagt Danyel Tobias Reiche. Der deutsche Politologe lehrt und forscht in Doha am Ableger der Georgetown-Universität (USA) im Bereich Sport, Politik und Gesellschaft, er sieht die nächste Phase im Masterplan eingeläutet: „Eine nachhaltige Entwicklung setzt ein. Katar wird nicht Fußballgrößen der Marke Cristiano Ronaldo um Hunderte Millionen einkaufen, wie es gerade Saudi-Arabien im großen Stil tut. Das haben sie auch nicht mehr nötig, um Aufmerksamkeit zu erlangen.“
Katar sei keine Sackgasse mehr oder die letzte Ausfahrt auf dem Weg in die Sportlerpension: „Jemand wie Xavi lernte in Katar den Trainerberuf und coacht nun den FC Barcelona.“ Als Gastgeber wird man weiterhin in Erscheinung treten: 2027 findet die nächste Basketball-WM in Katar statt, und schon im Jänner und Februar die Asien-Meisterschaft der Fußballer.
Die WM-Stadien
Für den Asien-Cup braucht es neun Stadien, acht davon waren WM-Schauplätze. Der Rückbau der Milliarden Dollar teuren Arenen soll danach erfolgen. Ob der katarische Fußball die Vielzahl an Stadien wirklich benötigt, ist dennoch ungewiss.
Ein interessanter Fall ist das WM-Stadion 974, das aus ebenso vielen Schiffscontainern gebaut wurde. Nach der Endrunde sollte es ab- und in einem anderen Land wieder aufgebaut werden. Die ersten Arbeiten begannen unmittelbar nach dem letzten Schlusspfiff, wurden danach aber rasch wieder eingestellt. Noch immer fehlt ein Abnehmer für das ökologische Prestigeprojekt.
Die Politik
Strategisch bleibt Katar ein verlässlicher Partner in der Region – und zwar für viele unterschiedliche Länder. Seien es Gefangenenaustäusche wie zuletzt zwischen den Erzfeinden Iran und USA oder die darauffolgenden Finanztransaktionen eingefrorener Milliarden – das Emirat steht bereit. Ebenso wie für einen heiklen Auftritt der internationalen geächteten russischen Fußball-Nationalmannschaft vor drei Wochen inklusive Nationalhymne.
Dennoch „besteht derzeit eine einmalige Chance, dass es friedlicher wird in der Region“, glaubt Politologe Reiche. Saudi-Arabien, nicht nur flächenmäßig ein Schwergewicht am Golf, nehme sich ein Beispiel an Katar und richte den Fokus stärker auf die eigene Gesellschaft: „Jeder Konflikt von außen ist ein unerwünschter Störfaktor.“
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Die Arbeitsmigranten
Dauerthema waren die prekären und teils lebensbedrohlichen Arbeitsverhältnisse Hunderttausender Ausländer in Katar. Der Druck führte zu einer breiten Arbeitsrechte-Reform im Jahr 2020 – auf dem Papier. Ein Mindestlohn wurde festgelegt, die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu wechseln eingeführt und eine Beschwerdestelle eingerichtet. Abgeschafft wurde das umstrittene Kafala-System, das Gastarbeiter wegen einer Bürgschaft vom Arbeitgeber abhängig machte.
Vielerorts wurden die Reformen aber nicht gelebt. Mustafa Qadri, Gründer der Menschenrechts-Organisation Equidem ahnt: „Die Umsetzung hat nicht funktioniert, man hat vergessen, das Verständnis in der Gesellschaft zu suchen.“
Mit fehlendem Scheinwerferlicht entwickeln sich bereits umgesetzte Reformen wieder zurück, der Druck aus der Wirtschaft zurück zum alten System steigt. Bei Tausenden Arbeitern stehen Zahlungen aus, weshalb sie nicht in ihre Heimat können. Viele bleiben arbeitslos in Katar, weil sie auf Geld oder neue Jobs warten. In vielen Heimatländern ist der Arbeitsmarkt ohnehin noch desolater.
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