Die Wahrheit. Dass ich in einem Vier-mal-vier-Meter-Zimmer mit fünf anderen Männern lebte, ohne Privatsphäre. Dass überall im Zimmer Sachen verteilt waren, dass jeder andere Arbeits- und Schlafenszeiten hatte, dass die Wände schimmelten, dass es nur acht Duschen für 72 Männer gab. Und: Dass die Zustände nicht den Regeln entsprächen und die Behörden darüber Bescheid wüssten.
Was passierte, nachdem Sie die Dinge öffentlich gemacht hatten?
Die Story ging raus, und fast im selben Augenblick wurde die Situation besser. Zuerst waren es sechs Männer in einem Raum, auf einmal nur noch drei. Die Veränderungen kamen. Und auf welcher Basis? Auf Basis jener Regeln, die ohnehin schon längst bestanden.
Hatten Sie geahnt, was mit Ihnen passieren würde?
Probleme habe ich mir erwartet. Aber nicht Gefängnis, nur Abschiebung. Ich dachte, Abschiebung ohne Bezahlung ist das Schlimmste, was einem Arbeitsmigranten in Katar passieren kann. Denn wenn man hier herkommt, dann zahlt man rund 1.500 Euro für die Jobvermittlung, die man erst abarbeiten muss, danach verdient man erst.
Kennen Sie Franz Beckenbauer? Er sagte, er habe "in Katar keinen Sklaven gesehen". Was entgegnen Sie?
Was Sklavenarbeit ist, müssen Experten definieren. Ich kann nur sagen, dass ich mich als Arbeitsmigrant fühlte, als würde ich jemandem gehören. Jemand entscheidet jeden Aspekt deines Lebens – wo und wann du isst, wo du arbeitest, mit wem du Kontakt hast, ob und wann du deinen Lohn kriegst, ob du Arbeit wechseln kannst oder nicht, ob du eine Liebesbeziehung haben darfst, ob du einen freien Tag nehmen und wo du dann hingehen darfst, um welche Zeit du aufstehst.
Weiß man das nicht vorab?
Wir gehen in diese Länder zum Arbeiten, aber dass wir dabei all unsere Freiheiten abgeben, ahnten wir nicht. Für Arbeiter ist es sogar noch besser – wenn ich an die Haushaltshilfen denke, die unter einem Dach mit den Arbeitgebern leben, die Pass und Telefon abgeben müssen. Wenn sie dich missbrauchen, hast du keine Chance, das zu melden. Manche können nicht einmal das Haus verlassen. Manchmal haben sie nicht mal ein Zimmer. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die im Wäschekasten geschlafen hat. Wie kann das nicht als Sklaverei gelten?
Würden Sie jungen Kenianern abraten, zum Arbeiten nach Katar zu gehen?
Wahrscheinlich nicht. Denn ich weiß, es gibt keine Jobs in Kenia. Für viele ist das Arbeiten in der Golfregion die einzige Chance, für die Familie gutes Geld zu verdienen. Aber eines würde ich ihnen raten: Passt auf, an welchen Agenten ihr euch wendet! Auch wenn es schwer ist, das im Vorhinein einzuschätzen.
Werden Sie sich Spiele der WM anschauen?
Zu sagen, ich schaue es mir nicht an, wäre eine Lüge. Ghana liebe ich, deren Spiele werde ich auf jeden Fall anschauen. Aber all diese Stadien, die Infrastruktur. Ich kenne Leute, von denen ich weiß, bei welchem Stadionbau sie mitgearbeitet haben. Ich weiß, wie die Konditionen waren. Ich werde mich fragen, wie viele Leute ihren Lohn nicht gekriegt haben, während sie es gebaut haben. Wie viele Leute in Ohnmacht gefallen sind, Nasenbluten oder einen Hitzeschlag erlitten oder erschöpft zusammengebrochen sind, wie viele nicht genug Wasser hatten. Ich kann mir das Spiel anschauen, aber ich werde daran denken müssen, wer hier für dieses Spiel gestorben ist und wie viele Familien davon wohl betroffen sind.
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