Wie gut ist unser Gesundheitssystem?
Selten stand unser Gesundheitssystem derart im Fokus. Überarbeitetes Personal, überlastete Intensivstationen, überlange Wartezeiten für Reha-Plätze und Psychotherapien. Aber das ist nur ein Ausschnitt, diktiert von einem Virus, das uns seit bald zwei Jahren im Würgegriff hält. Wie stehen wir insgesamt und abseits von Corona da?
"Viele medizinische Leistungen sind für jeden zugänglich, die Spitzenmedizin steht im Grunde jedem offen, und die Selbstbehalte sind gering", sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien (IHS). Wer also Krebs oder Herzprobleme hat, muss sich keine Sorgen machen, gut versorgt zu werden. Das gelte – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – auch für Menschen mit geringerem Einkommen.
Zwei Drittel der Österreicher und die Hälfte der Österreicherinnen sehen das laut Statistik Austria auch so und meinen, unser Gesundheitssystem funktioniere gut. Gleichzeitig aber wird die österreichische Bevölkerung im Vergleich zu anderen EU-Ländern zwar relativ alt, allerdings früh krank, besagt eine Eurostat-Statistik.
Der Preis für unser Gesundheitssystem ist jedenfalls hoch. 41,5 Milliarden Euro gibt Österreich jährlich dafür aus, damit sind wir EU-weit auf Platz fünf. Also müsste man nur noch mehr investieren, um die Österreicher gesünder zu machen? „Nein“, sagt die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz. Das Geld müsse anders verteilt werden. "Wir investieren zu viel in die technische Medizin." Damit meint sie Untersuchungen wie Ultraschalldiagnostik oder Magnetresonanztomografie, die hierzulande häufig verordnet, aber oft nicht zielführend seien.
Bruchteil fließt in Prävention
Zu wenig Geld fließt laut Pilz in Psychotherapie und Psychiatrie sowie vor allem in die Prävention. Letztere macht nur 2,1 Prozent der Gesundheitsausgaben aus. Ein Ausbau der Vorsorge würde andere Bereiche entlasten. Das sieht auch Gesundheitsökonom Czypionka so. "Wir sollten etwa Diabetiker früh behandeln, damit gar nicht erst Folgeerkrankungen auftreten." Ein Ausbau der Prävention könnte auch verhindern, dass Österreich unter den europäischen OECD-Mitgliedsländern nach wie vor die höchste Amputationsrate nach Diabetes-Komplikationen aufweist.
Ein großes Problem sieht der Experte außerdem in der Fragmentierung, also der Vielfalt an Institutionen und Finanzierungszuständigkeiten im Gesundheitswesen. Manches regelt der Bund, manches regeln die Länder oder die Sozialversicherung. Der daraus resultierende Koordinations- und Kommunikationsaufwand mache es vor allem für chronisch Kranke schwer.
Einen Schritt in die richtige Richtung geht Österreich puncto Digitalisierung und das ausgerechnet aufgrund der Pandemie. "Telemedizin und elektronische Verschreibungen wurden ausgebaut und werden uns vermutlich erhalten bleiben", sagt Patientenanwältin Sigrid Pilz. Auch wenn es noch viel Luft nach oben gibt und vor allem das Potenzial von ELGA mehr ausgeschöpft werden müsse, ergänzt Thomas Czypionka. In diesem Fall bedeutet Digitalisierung nämlich Vernetzung und somit eine bessere Versorgung des Patienten.
Eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre wird auch sein, den Arzt- und Pflegeberuf wieder attraktiv zu machen. Denn ohne Personal ist jede Ordination und jedes Krankenhaus nutzlos. "Das Personal auf den von Covid-19-Stationen wird jetzt noch durchhalten. Aber sobald die Krise vorbei ist, wird die wiederholte extreme Belastung den Personalmangel massiv verstärken", meint Gesundheitsökonom Thomas Czypionka.
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