Mit welchem Plan Van der Bellen in das Gespräch mit Kickl geht
Wenn Alexander Van der Bellen am heutigen Dreikönigstag Herbert Kickl in seinem Büro in der Hofburg empfängt, gilt es für manchen Beobachter als ausgemacht, dass der Bundespräsident den Chef der Freiheitlichen mit Koalitionsverhandlungen beauftragt.
Ab 11 Uhr werden das Staatsoberhaupt und der Gewinner der Nationalratswahl unter vier Augen miteinander reden, die Dauer des Gesprächs ist offen - die Lage ist delikat.
Im kleinen Kreis hat Van der Bellen schon am Tag vor dem Gespräch klargemacht, dass es für ihn längst nicht sicher ist, dass Kickl Kanzler wird - und das hat weniger mit Van der Bellen und mehr mit Kickl selbst zu tun. Warum das so ist, dazu später mehr.
Zunächst etwas Grundsätzliches: Alexander Van der Bellen wurde vom Scheitern der Regierungsverhandlungen kalt erwischt - und das ärgert den Bundespräsidenten.
In den vergangenen Wochen wurde ihm in Telefonaten und persönlichen Gesprächen mit Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger versichert, dass die Koalition im Entstehen ist.
Als Beate Meinl-Reisinger am Freitag schließlich in einer Pressekonferenz ihren Rückzug aus den Koalitionsgesprächen erklärte, wurde die Hofburg zwar vorab informiert - allerdings nur eine knappe Stunde vor Beginn der Pressekonferenz. Spätestens da fühlte sich Van der Bellen getäuscht. In der Hofburg ist man überzeugt, dass die dramaturgisch starke Rücktrittsrede der Neos-Chefin kein Schnellschuss war, sondern schon am Donnerstag vorbereitet und geschrieben wurde. Anstatt vermittelnd zwischen den drei Verhandlern eingreifen zu können, wurde Van der Bellen vor vollendete Tatsachen, oder besser gesagt: mitten in eine Krise, gestellt.
Das ist allerdings nicht der Grund, warum Herbert Kickl nicht zwingend den Auftrag zur Bildung einer Koalition bekommt.
In der Hofburg sieht man die Sache so: Mit dem Gesprächsangebot an Kickl hat Van der Bellen signalisiert, über seinen Schatten springen zu können. Nachdem er seiner Haltung entsprochen und Kickl nicht sofort mit dem Auftrag zur Regierungsbildung ausgestattet hat, wird der Bundespräsident heute die Einschätzung des FPÖ-Chefs hören - und genau das ist der entscheidende Punkt.
Denn in der Präsidentschaftskanzlei geht man nicht zwingend davon aus, dass Herbert Kickl maximale Lust auf eine Koalition bzw. Verhandlungen mit ÖVP-Interimsboss Christian Stocker hat.
Stocker ist nicht nur ein enger Vertrauter Karl Nehammers, sondern auch jener Mann, der Kickl in den vergangenen Jahren und Monaten massiv kritisiert hat.
Die FPÖ und Kickl seien ein „Propagandainstrument des Kremls“, niemand wolle Kickl im Parlament: Das und Ähnliches hat Stocker nach der Nationalratswahl über Kickl gesagt.
Nun könnte man einwenden: Was interessiert Kickl oder Stocker ihr Geschwätz von gestern?
Abgesehen von den persönlichen Antipathien gibt es eine strategische Perspektive, die es als zumindest fraglich erscheinen lässt, ob Kickl weiterhin mit Hilfe der Stocker-ÖVP Kanzler werden will, nämlich: Was spricht eigentlich gegen Neuwahlen?
Laut Umfragen würde die FPÖ davon profitieren; dem nicht genug, konnte der FPÖ-Chef im Oktober noch nicht wissen, wie dramatisch die Lage des Budgets ist - an Argumenten für eine neuerliche Nationalratswahl würde es nicht mangeln.
Hinzu kommt: Im Unterschied zu den ÖVP-Landeshauptleuten, die mehrheitlich gegen eine neuerliche Nationalratswahl sind, ist man in der Hofburg nicht überzeugt, dass die Österreicher grundsätzlich gegen eine weitere Nationalratswahl wären.
Will Herbert Kickl sofort und mit Hilfe von Interims-ÖVP-Chef Christian Stocker Kanzler werden - oder verspricht er sich mehr von einer neuerlichen Ordnung der Mehrheits- und Machtverhältnisse mit schnellen Neuwahlen? Das ist für die Präsidentschaftskanzlei die entscheidende Frage, die es heute ab 11 Uhr zu beantworten gilt - und von der auch abhängt, ob Herbert Kickl jetzt oder möglicherweise später den Auftrag zur Regierungsbildung erhält.
Interimsregierung
Die Frage, wer Karl Nehammer als Bundeskanzler nachfolgen wird, entscheidet sich laut KURIER-Recherchen erst in den nächsten Tagen.
Für Alexander Van der Bellen gilt, dass er die Mehrheitsverhältnisse im Parlament achtet. Das bedeutet: Er wird keinen Interimskanzler gegen den Wunsch der größeren, noch amtierenden Regierungspartei -also der ÖVP - bestellen. Ein Interimskanzler Werner Kogler - der Grünen-Chef ist immer noch Minister und war Vizekanzler der Republik - ist damit ausgeschlossen.
Van der Bellen will im Einvernehmen mit der Volkspartei einen Kanzler nominieren und einen ruhigen, friktionsfreien Übergang gewährleisten.
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