Nach Babler-Aussagen: Warum sind die Verhandlungen wirklich gescheitert?
Zum Jahreswechsel wirkte es noch so, als würde Österreich eine Dreierkoalition bekommen. Nun ist ein anderes Novum viel wahrscheinlicher: Dass der neue Bundeskanzler erstmals ein Blauer wird und doch Herbert Kickl heißt.
Die Koalitionsverhandlungen sind gescheitert. Zuerst stiegen am 3. Jänner die Neos aus, am 4. Jänner beendete auch Karl Nehammer die Gespräche mit der SPÖ und trat als ÖVP-Chef sowie Bundeskanzler zurück. Sein Nachfolger Christian Stocker soll nun mit Kickl verhandeln.
Der SPÖ dürfte nur die Rolle der stärksten Oppositionskraft bleiben, wie schon seit 2017. Ihr Parteichef Andreas Babler betrieb am Samstag noch Vergangenheitsbewältigung. Während sich ÖVP und Neos öffentlich kaum zu Verhandlungsdetails äußerten, machte Babler in einer Pressekonferenz und einem ZiB2-Interview insbesondere die ÖVP für das Scheitern verantwortlich.
Die ließ seine Ausführungen weitestgehend unkommentiert, während sie bei den Neos auf massive Irritationen stießen. Welche Versionen kursieren? Und hätte es ein Szenario gegeben, unter dem die Verhandlungen doch noch weitergelaufen wären?
Kürzungen und "Massensteuer"?
Babler brachte einige bemerkenswerte Punkte vor. So habe die SPÖ, entgegen der Darstellung Nehammers, in den Verhandlungen nicht auf Vermögens- und Erbschaftssteuern beharrt. Im Gegenteil: Die Sozialdemokratie hätte sich besonders kompromissbereit gezeigt.
Die ÖVP hätte wiederum vorgehabt, das Pensionsalter auf 67 Jahre anzuheben, die Mehrwertsteuer anzuheben, Pensionen und Gehälter über mehrere Jahre zu kürzen. "Wir konnten uns nicht verständigen, dass leistbare Energiepreise mehr wert sind als Aktienkurse. Sie wollten das Pensionsantrittsalter erhöhen und Kürzungen im Gesundheitsbereich machen. Jetzt droht ein rechtsextremer Kanzler in diesem Land", so Babler.
Eine Liste der mutmaßlichen ÖVP-Forderungen veröffentlichte die SPÖ dann auch auf X.
Bablers Aussagen: "Das ist schlicht faktenwidrig"
Nun hat die ÖVP, mit ihrer parteiinternen Krise zeittechnisch ausgelastet, Bablers Auftritte mehr oder minder ignoriert. Im Gegensatz zu den Neos, die bis Donnerstagabend ebenso am Verhandlungstisch saßen. Die wollten zuerst zwar auch nicht ins Details gehen, reagieren nun aber doch auf die Erzählungen der SPÖ.
Es habe nie jemand Pensions- oder Gehaltskürzungen vorgeschlagen, betonen hochrangige Neos-Verhandler, Bablers Darstellung gegenüber dem KURIER vehement. "Das ist schlicht faktenwidrig.“ Welche Vorschläge lagen dann auf dem Tisch?
Was aus Sicht der Neos passiert ist
ÖVP und Neos sollen dafür plädiert haben, die Pensionen und Beamtengehälter 2026 und 2027 jeweils einen Prozentpunkt unter der rollierenden Inflation anzuheben. Das Argument: In den vergangenen 20 Jahren stiegen Pensionen und Gehälter regelmäßig stärker als die Inflationsrate. Eine "Kürzung" sei jedenfalls nie im Raum gestanden. Bei den Pensionen gab es vergleichbare Einschnitte bereits 2013 und 2014.
Die SPÖ hätte diesem Modell auch vor Weihnachten prinzipiell zugestimmt, die Ampel stand auf "gelb". Selbiges gelte für eine Veränderung der Korridorpension. Derzeit kann man in Österreich frühestens ab 62 Jahren und nach 40 Beitragsjahren in Pension gehen. Das hätte erst ab 63 und nach 42 Beitragsjahren möglich sein sollen.
Noch nicht so weit waren die Verhandler bei der Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalter ab 2034 – von 65 auf 67 Jahre. Und zwar unter der Voraussetzung, dass das faktische Pensionsalter bis 2030 nicht ausreichend steigen sollte. Aus Neos-Sicht waren die genannten Reformen übrigens bereits "Minimalkompromisse“.
Aber auch einnahmenseitig hätte man sich auf ein Paket verständigt gehabt. Unter anderem auf folgende Maßnahmen: Eine Erhöhung der Umwidmungssteuer, bei Immobilienkäufen, Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung, wie auch eine Erhöhung der Tabak- und Digitalsteuer. Das hätte jährlich rund 1,5 Milliarden Euro gebracht und rund 25 Prozent des Konsolidierungspfades bis 2029 ausgemacht, heißt es.
Roter Wortbruch?
Der Knackpunkt bei den Verhandlungen folgte Donnerstagnacht. Babler hätte unter anderem die Einigungen im Pensionsbereich zurückgezogen und sich für weitere vermögensbezogene Steuern ausgesprochen. Nicht für eine Vermögenssteuer, aber für eine Erbschafts- und Schenkungssteuer. Und: Eine Anhebung der Körperschaftsteuer, eine Bankenabgabe und eine LKW-Maut.
"Wir sind deswegen aufgestanden, weil die SPÖ Dinge, die als Kompromiss ausgemacht waren, wieder zurückgezogen hat“, sagt ein hochrangiger Neos-Verhandler. Nachsatz: "Ich habe so etwas noch nie erlebt."
Besonders verärgert zeigen sich Pinke auch darüber, dass die SPÖ ventiliert, ÖVP und Neos hätten eine Anhebung der Mehrwertsteuer gefordert. Tatsächlich sei es um ein Gesamtmodell gegangen: Die Neos hatten vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zeitlich befristet anzuheben, um sie gleichzeitig auf Mieten und Güter des täglichen Bedarfs senken zu können – das war wiederum ein Vorschlag der SPÖ. Es ging also um eine Gegenfinanzierung. Dieses Modell sei aber ohnehin nie konkret geworden.
Neos benennen Babler als Sprengmeister der Koalition
Sonntagabend wurden die Neos in einer Zusammenfassung auf ihrer Website dann noch deutlich. "Andreas Babler hat das Scheitern der Regierungsverhandlungen zu verantworten", heißt es dort. Man sehe sich bemüßigt, auf Bablers "Fake News" zu reagieren.
Besonders brisant: Laut den Neos "zeigte sich Babler mehrfach destruktiv und cholerisch" in den Verhandlungen. Der SPÖ-Chef habe angekündigt, "das alles in die Luft zu sprengen". Und er habe seine eigenen Verhandler blamiert, "indem er bereits getroffene Vereinbarungen – etwa zur Reform der Pensionen – wieder zurücknahm. Seine Führungsschwäche und Unberechenbarkeit machten eine Einigung unmöglich", heißt es.
Wurde Bablers Rücktritt gefordert?
Welche Version stimmt? Objektiv ist das nicht überprüfbar. Eventuell könnte eine Veröffentlichung von Verhandlungsprotokollen die "Schuldfrage" teilweise klären.
Stellt sich abschließend die Frage: Wie hätte unter diesen Voraussetzungen jemals eine Koalition zustande kommen sollen? Ein Verhandler betont hinter vorgehaltener Hand: Hinter den Kulissen hätten ÖVP als auch Neos bis zum Schluss signalisiert, noch für Verhandlungen bereit zu sein.
Brisant: Allerdings müsste die SPÖ dafür ihren Parteivorsitzenden austauschen. Wenn Babler staatspolitische Verantwortung zeigen wolle und ihm das Wohl der Republik wirklich am Herzen liege, sollte er sich zurückziehen und einen Neustart ermöglichen. Nachsatz: "Menschlich und ideologisch hat es einfach nicht gepasst."
Kommentare