Neuer ÖVP-Chef Stocker will mit der FPÖ verhandeln
Der am Vormittag vom ÖVP-Vorstand einstimmig gewählte geschäftsführende Parteiobmann Christian Stocker, der dem zurückgetretenen Karl Nehammer folgt, will Verhandlungen mit der FPÖ aufnehmen. Das gab er bei seiner Antrittspressekonferenz bekannt. Neuer Generalsekretär der ÖVP ist Alexander Pröll. Der Sohn des früheren Vizekanzlers Josef Pröll war bisher Bundesgeschäftsführer.
"Ich begrüße die Entscheidung des Bundespräsidenten, den Obmann der FPÖ am Montag in der Hofburg zu treffen. Ich erwarte mir, dass er als Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung betraut wird", sagt Stocker. Und weiter: "Wenn wir zu Gesprächen eingeladen werden, werden wir dieser Einladung folgen." Auch das sei im Vorstand beschlossen worden.
Das ist bemerkenswert, war doch Stocker in den vergangenen Monaten einer der schärfsten Kritiker von FPÖ-Chef Herbert Kickl. So hatte er zuletzt noch im Parlament in dessen Richtung gewettert: "Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner."
Wiederholt hatte Stocker Kickl auch als "Sicherheitsrisiko" bezeichnet. Demnach habe Kickl als Innenminister im Kampf gegen den Terrorismus versagt. "Denn Kickl hat nicht, wie von ihm behauptet, den Verfassungsschutz neu aufgestellt, sondern das BVT rücksichtslos zerschlagen und Österreich damit auf Jahre von nachrichtendienstlichen Partnern isoliert", hieß es noch im Vorjahr.
Dazu meint Stocker heute: "Meine Worte gegen Kickl waren sehr hart. Aber seit gestern stellt sich Situation anders dar. Es geht nicht um Kickl oder mich, sondern darum, eine stabile Regierung zu bilden." Man könne keine Zeit mehr mit einem weiteren Wahlkampf verlieren.
Zur Rechtfertigung des Kurswechsels betont Stocker: "Ich habe auch zu SPÖ-Chef Andreas Babler sehr kritische Worte im Wahlkampf gefunden, wir haben trotzdem mit der SPÖ verhandelt."
Das er einstimmig zum Parteichef gewählt worden sei, sei für ihn "eine große Ehre und Freude. Ich werde die Aufgabe mit großer Demut erfüllen."
Über die Hintergründe des Scheiterns des Verhandelns will er sich nicht mehr weiter äußern. "Jetzt ist keine Zeit für gegenseitige Schuldzuweisungen."
Mikl-Leitner: "Verwundungen hinter sich lassen"
Reihum beginnen jetzt, die ÖVP-Granden, sich ein Bündnis mit der noch vor Kurzem noch so geschmähten Kickl-FPÖ schönzureden: "Neuwahlen würden dieses Land über viele Monate lähmen und dringend notwendige Maßnahmen für den wirtschaftlichen Aufschwung und im Kampf gegen den politischen Islam weiter verzögern", sagt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. "Dafür fehlt mir und dafür fehlt auch vielen Landsleuten das Verständnis. Nun liegt es an allen politischen Akteuren im Bund - inklusive Bundespräsident - aufeinander zu zugehen, die Verwundungen des Wahlkampfes hinter sich zu lassen und gemeinsam für diese Republik zu arbeiten."
FPÖ ortet "positive Signale"
Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger erklärte gegenüber der APA, er gehe davon aus, dass Van der Bellen Kickl am Montag den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen werde. Einen anderen Weg könne es nicht geben. Danach werde man auch in der FPÖ „intern beraten“.
Die mittlerweile neue ÖVP-Position in Bezug auf die Freiheitlichen wertete Abwerzger als „positive Signale“. Bezüglich des geschäftsführenden ÖVP-Chefs Stocker sei wegen dessen Aussagen in der Vergangenheit zwar eine „gesunde Skepsis“ angebracht: „Das Vertrauen muss er sich erst erarbeiten.“ Aber auch dessen offensichtlicher Sinneswandel sei ein „positives Signal“. „Vorschreiben“ werde man der ÖVP jedenfalls nicht, wer dort an der Spitze stehe.
Kickl selbst kündigt via Facebook an: "Unsere allererste Verpflichtung besteht gegenüber unserer eigenen Bevölkerung. Es geht dabei um elementare Dinge wie ein leistbares Leben, die Anerkennung von Leistung, Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden, den Schutz unserer Heimat, Freiheit und eine gute Zukunftsperspektive für die kommenden Generationen. Dem ist alles unterzuordnen."
Babler warnt vor Blau-Türkis
Am späten Nachmittag meldete sich auch noch SPÖ-Chef Andreas Babler in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz zu Wort: "Stocker hat klar gemacht, dass er Kickl und FPÖ zur Kanzlerschaft führen will. Trotz zigfacher Beteuerungen, dass mit Kickl kein Staat zu machen ist, dass er eine Gefahr in so vielen Bereichen ist."
Jetzt drohe eine blau-schwarze Regierung mit Kickl als Kanzler. "Wir hingegen stehen zu unserem Wort", so Babler. "Deswegen haben wir auch verhandelt. Mit Kompromissbereitschaft im Interesse unseres Landes, um Österreich einen Kanzler Kickl zu ersparen. Die ÖVP wird mit der FPÖ ihr Kahlschlag-Programm durchführen. Bei den Pensionisten und im öffentlichen Dienst. Sie werden weiter die Gesundheitsversorgung aushöhlen." Es werde wieder Geschenke in Milliardenhöhe für ihre Klientel geben, die uns genau in diese Situation gebracht haben, warnt der SPÖ-Chef.
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