Mahrer: „Europa muss ein Venedig-Schicksal erspart bleiben“

"Ganz Österreich verdient sich finanzielle Entlastung. Erwarte mir, dass die Regierung das ermöglicht."
Der Wirtschaftskammerboss warnt, Europa müsse im Wettbewerb mit Asien bestehen, sonst werde es zum „Museum“.

KURIER: ÖGB und Arbeiterkammer fordern das gesetzlich verankerte Recht auf die Vier-Tage-Woche. Die Möglichkeit dafür biete der 12-Stunden-Tag, das neue Arbeitszeitgesetz, für das Sie als neuer WKO-Präsident via Video geworben haben. Können Sie dem Vorstoß etwas abgewinnen?

Harald Mahrer: Ich bin der Überzeugung, dass derartige Regelungen immer branchenspezifisch seitens der Sozialpartner geschaffen werden sollen. Ich wundere mich aber, dass– wie jetzt beim Papa-Monat gefordert – pauschal gesetzlich garantierte Rechte über alle Branchen hinweg gefordert werden. Ich kann nur hoffen, dass das vereinzelte PR-Gags sind.

Kein Gag sondern Realität ist, dass der Europäische Gerichtshof am 22. Jänner entscheidet, ob nicht-evangelischen Arbeitnehmern am Karfreitag ein Feiertagszuschlag zusteht. Verträgt Österreich einen 14. gesetzlichen Feiertag?

Ich möchte einer Entscheidung des EuGH nicht vorgreifen. Je nachdem wie der EuGH entscheidet, werden wir mit der Arbeitnehmerseite und der Regierung eine Regelung finden.

Was sind Ihre Pläne für 2019?

Wir wollen mit dem Kärcher so richtig im Bereich der Vorschriften ausmisten, andererseits eine wirklich große Steuerreform. Da erwarten wir uns keine „Micky-Maus-Reform“. Die Bundesregierung hat angekündigt, sie möchte die größte Steuerreform aller Zeiten haben. Das bedeutet für uns, dass man sowohl die Betriebe, als auch die Arbeitnehmer entlastet und gleichzeitig die Steuer- und Abgabenquote auf unter 40 Prozent senkt. Ganz Österreich verdient sich eine große finanzielle Entlastung. Ich erwarte mir, dass diese Regierung das ermöglicht.

"Wir wollen keine Micky-Maus-Reform."

Was wäre eine Anti-Micky-Maus-Reform?

Die Steuerreform muss größer sein als die letzte und die war 5,5 Milliarden Euro schwer. Nachdem die kalte Progression nicht abgeschafft wurde, ist viel Spielraum da.

Welcher Anteil gebührt der Wirtschaft an der Steuerreform? IV-Generalsekretär Neumayer beansprucht ein Drittel.

Es ist das Gebot der Stunde, die Körperschaftssteuer von derzeit 25 Prozent herabzusetzen, um im europäischen Wettbewerb überhaupt mithalten zu können. Wir haben durchgerechnet, dass eine KÖSt-Senkung auf 19 Prozent netto, nach Abzug des Eigenfinanzierungsgrades, 1,5 Milliarden Euro kosten würde.

Finanzstaatssekretär Fuchs hat im KURIER angekündigt, dass eine einheitliche Dienstgeberabgabe geplant ist. Unternehmen sollen nur mehr an eine Finanzbehörde einen Prozentsatz – voraussichtlich unter 30 Prozent der Beitragsgrundlage – abführen und nicht separat an Bund, Kassen, Kommunen.

Wir sind allen Vereinfachungsideen immer aufgeschlossen. Die Frage ist nur, ob die Simplifizierung nicht auch zu einer Ungleichbehandlung führt. Der Teufel steckt im Detail: Was bedeutet es für die einzelnen Gruppen, für die Tarifierung, Arbeitskosten – und für jeden einzelnen Betrieb? Ich muss sichergehen, dass es sich um eine Reform handelt, bei der ent- und nicht belastet wird.

Bei der Regierungsklausur soll eine Digitalsteuer für Österreich präsentiert werden. Finanzminister Löger kann sich vorstellen, dass Google, Facebook und Co. ihre Werbeumsätze in Österreich mit drei Prozent versteuern müssen. Auf europäischer Ebene ist die Idee gescheitert.

Da möchte ich zur Präzisierung beitragen, im europäischen Kontext wird von der Digital Service Tax gesprochen, von einer digitalen Serviceabgabe, wenn Sie so wollen. Die ist aus gutem Grund gescheitert. Es wird immer von einer Bruttowertschöpfung ausgegangen. Die Definition, was das digitale Service beinhaltet, ist unklar. Und was Österreich betrifft, so ist die Werbeabgabe per se schon ein Anachronismus, der darauf wartet, abgeschafft zu werden. Was wir schaffen müssen ist ein faires Besteuerungssystem, vor allem im Sinne unserer kleinen uns mittleren Betriebe, aber es muss auch Innovation zulassen. Da wir alle im Wettbewerb mit Asien und den USA stehen, wäre es klug, die EU als digitalen Binnenmarkt zu begreifen. Doch wir scheitern schon daran, was eine digitale Betriebsstätte ist.

Wie definieren Sie eine digitale Betriebsstätte?

Das ist der Ort, wo mehrheitlich die wertschöpfende Leistung erbracht wird. Im Digitalbereich stellt sich die Frage: Ist es der Ort, wo der Computer steht? Oder sind es die Menschen, die programmieren? Sind es Werbeaufwendungen oder Services? Denken Sie an Uber oder Airbnb. Es gibt die physische Leistung – die Taxifahrt oder das Wohnen. Aber es gibt auch die Vermittlungsleistung. Auch hier steckt der Teufel im Detail. Treffen müssen wir mit einem Steuermodell nicht nur die Internetgiganten, die sich der Ertragsbesteuerung entziehen, sondern alle digitalen Betriebsstätten. Eine derartige Reform darf nicht nur 2020, sondern muss auch 2021 und darüber hinaus praktikabel und rentabel sein.

Vor welcher Herausforderung stehen wir wirtschaftlich heuer?

Wir werden weiter ein Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum haben, haben aber die Spitze des großen Wachstums überschritten. Wir müssen uns mit der Regierung dem Fachkräftemangel widmen. Plus der Mangelberufsliste, plus der Rot-Weiß-Rot-Karte und: Wir werden uns der Frage der qualifizierten Zuwanderung stellen müssen. Wir müssen in punkto Qualifikation der Arbeitskräfte 2019 durchstarten. Was jene betrifft, die neu ins System kommen, werden wir alsbald unser Bildungspaket präsentieren wo es unter anderem um die „Lehre neu“ geht.

 

Was kann die „Lehre neu“ und wie viel wird in die Ausbildung der Betriebe investieren werden?

Wir werden das noch im Jänner präsentieren ebenso wie viel wir in die Ausbildung der Betriebe investieren werden. Die Wirtschaftskammern geben jetzt schon jedes Jahr mehr als 360 Millionen Euro für Bildung aus.

Seit Jahren wird in Bildung investiert, seit Jahren hinken wir im EU-Vergleich hinterher. Woran liegt das?

Schweden, Finnland, Dänemark und die Niederlande und vor allem UK haben frühzeitiger in die Digitalisierung investiert. Die Mehrheit der Länder befindet sich im guten Mittelfeld mit Österreich, aber im globalen Wettbewerb durchschnittlich zu sein ist zu wenig. Die wahre Konkurrenz findet sich nicht im angelsächsischen Bereich, nicht im amerikanischen oder kanadischen, sondern im asiatischen.

Was machen die Asiaten besser?

Der Vorteil bei manchen Ländern ist, dass sie ganze Entwicklungsstufen überspringen. Egal, ob im Bereich der Bildung oder bei Infrastrukturinvestitionen. Dort gibt es nicht Innovationen alle fünf bis zehn Jahre, sondern dramatische Systemwechsel. Wir haben gute, über Jahrzehnte gewachsene Strukturen, die einen Rahmen vorgeben, von dem wir uns als Gesellschaft aber wegentwickeln.

Nennen Sie ein Beispiel?

Wie vergebe ich 5G Lizenzen? Wie vergebe ich die Frequenzbandlizenzen für den Mobilfunkstandard? Mache ich eine reine Auktion, indem ich an den Bestbieter vergebe und möglichst viel Geld in das Budget spüle...

Oder?

Oder sage ich: Geld in Kombination mit Qualitätsstandards. Ich will im ländlichen Raum 5G, weil es um Zugangsgerechtigkeit geht. Wir müssen uns klar sein: Wir werden den digitalen Wandel nicht abstellen können. Entweder wir sind dabei oder aus Europa wird das, was aus Venedig im 15./16. Jahrhundert geworden ist. Ein Museum, das wir heute bestaunen können. Ich will, dass Europa das Schicksal Venedigs erspart bleibt. Wir müssen jetzt säen, damit wir auch in Zukunft ernten können.

Um bei dem Bild zu bleiben: Wo sät Österreichs Wirtschaft im Ausland?

Wir säen als Wirtschaftskammer die ganze Zeit. Wir wollen der Republik mit gutem Beispiel vorangehen. Mein Vorgänger Christoph Leitl hat schon gezeigt, dass wir Effizienz seitens der Unternehmer einfordern und selbst vorleben müssen. Das tun wir, indem wir mit 1.1. die Mitgliedsbeiträge gesenkt haben. Ein Entlastungsvolumen von 100 Millionen Euro. Damit ich mir das Zukünftige leisten kann, muss ich anderes über Bord werfen.

Wo sparen Sie?

Wir redimensionieren oder schließen Außenwirtschaftsbüros in Europa und bauen in Asien aus. Padua und Straßburg werden geschlossen und bei Frankfurt wird noch evaluiert. Wir investieren in Vietnam, weil es das am meisten boomende Land indochinesischen Raum ist. Wir betreuen derzeit von Bangkok aus Thailand, Myanmar, Laos, Kambodscha und Vietnam. In Vietnam wird sich das Bruttoinlandsprodukt von 200 auf 400 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Deshalb werden wir in Ho-Chi-Minh-City, wo die größten Business-Parks sind, im Mai eine eigene Außenstelle eröffnen um maßgeschneiderte Lösungen für unsere Betriebe auf den Wachstumsmärkten anzubieten.

Zurück nach Österreich. Was sagen Sie zum Konflikt der ÖVP mit der Caritas?

Die Caritas ist, so wie andere gemeinnützige Einrichtungen in Österreich, eine wichtige Institution. Nicht wegzudenken im Bereich der Erbringung sozialer Dienstleistungen. Die andere Frage ist: Wer zündet welche innenpolitische Debatte zu welchen Themen an? In einer Demokratie ist das allen unbenommen, aber man sollte schon immer das Hauptaugenmerk darauf richten, dass in der Debatte etwas weitergeht und dass da keine ideologischen Grabenkämpfe betrieben werden.

Zum Streit zwischen der ÖVP und der Caritas:

 

Mit Erwin Pröll unterstützt ein weiterer „Großer“ der ÖVP die Initiative des Grünen Anschober „Ausbildung statt Abschiebung“. Wie stehen Sie dazu, dass Asylwerber in Lehre mit negativem Bescheid erst abgeschoben werden sollen, nachdem sie die Ausbildung absolviert haben?

Die Instanzen bis hin zum Höchstgericht haben heute schon die Möglichkeit, humanitäres Bleiberecht auszusprechen. An der aktuellen Rechtslage muss man also nichts ändern. Ich würde mir aber wünschen, dass es auch für den Bereich der Ausbildung genauso einen Aufenthaltstitel im Rahmen der Rot-Weiß-Rot-Karte gibt, wie momentan schon für den Universitätsbereich. Ich bin nach wie vor für eine strikte Trennung von Asyl und Wirtschaftsmigration. Für das eine gibt es rechtlich festgelegte Gründe. Im anderen Bereich, wollen wir uns aussuchen, wer nach Österreich kommen soll oder darf. Dazu bekenne ich mich aus christlich-sozialer Überzeugung.

Wer soll die christlich-sozialen Werte im europäischen Parlament führend vertreten?

Die vertritt die europäische Volkspartei. Ich glaube, wir haben mit Manfred Weber einen wirklich ausgezeichneten Spitzenkandidaten, der das kann. Für eine österreichweite Liste werden wir in den nächsten Wochen im Bundesparteivorstand den Vorschlag des Bundeskanzlers beraten.

Wird uns da vielleicht eine Frau überraschen?

Ich bin auf die Vorschläge des Bundeskanzlers gespannt.

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