Integrationsministerin: "Mädchen tragen Kopftuch nie freiwillig"
KURIER: Frau Ministerin, Sie haben Kollegin Alma Zadic zuletzt gegen rassistischen Angriffe verteidigt. Zadic hat als Flüchtlingskind eine Top-Karriere gemacht, sie über-erfüllt den Anspruch "Integration durch Leistung". Trotzdem reicht das offenbar für manche Mitbürger nicht. Wie gehen Sie damit um?
Susanne Raab: Mir war es ein Anliegen, ein klares Zeichen gegen den Hass zu setzen, den Alma Zadic erfährt. Sie ist eine großartige Frau, eine kompetente Juristin, und sie wird im Justizressort einen guten Job machen. Der Zugang "Integration durch Leistung" gilt für mich unverändert. Es ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern was man bereit ist, in Österreich zu leisten und beizutragen.
Im Regierungsprogramm gibt es in ihrem Fachbereich mit der "Präventivhaft" oder dem "Kopftuchverbot bis 14" Vorhaben, bei denen die Grünen über den Schatten springen mussten. Wo hat sich im Integrationsbereich die ÖVP auf die Grünen zubewegt?
Bei Asyl und Integration sind die Zugänge zwischen ÖVP und Grünen sehr unterschiedlich. Mir war es allerdings wichtig, dass wir einen restriktiven Zugang bei der Migrationspolitik gewährleisten, weil das Gelingen von Integration wesentlich davon abhängt, wie viele Menschen zuwandern. Erinnern wir uns an 2015/16, als wir 130.000 Asylanträge zu erledigen hatten. Die Folgen beschäftigen uns bis heute. Daher darf das nie wieder passieren.
Aber Ihnen fällt derzeit nichts ein, wo die ÖVP den Grünen bei der Integration nachgegeben hätte?
Nein, ich bin aus unserer Sicht sehr zufrieden.
Sie haben sehr konkrete Vorstellungen über die Dauer von Asylverfahren: Sechs Monate in der ersten, drei Monate in der zweiten Instanz. Ist ein solches Tempo rechtsstaatlich vertretbar?
Schnelle Entscheidungen sind das A und O im Flüchtlingswesen. Erst wenn klar ist, ob jemand in Österreich bleiben darf, können wir mit der Integration beginnen. Andere Länder wie die Schweiz schaffen es sehr wohl, Asylverfahren in wenigen Monaten abzuhalten.
Dass Asylverfahren schneller abgeschlossen werden müssen ist unumstritten. Die Frage ist: Was ändert sich 2020, damit die Verfahren tatsächlich schneller gehen?
Es wird sich ändern, dass die Verfahren, die wir aus 2015/16 in erster Instanz hatten, sich mittlerweile in der zweiten Instanz befinden. Und deshalb wollen wir die zweite Instanz stärken, damit dort schneller eine klare Asyl-Entscheidungen getroffen wird.
Schon jetzt werden viele Verfahren in der zweiten Instanz aufgehoben, weil offenbar die Qualität nicht stimmt. Wenn Sie alles beschleunigen wird es nicht besser, oder?
Wenn man sich die Quote im europäischen Vergleich ansieht, liegen wir im Mittelfeld. Wir haben uns im Regierungsprogramm klare Qualitätskriterien gesetzt. Klar ist: Es muss schnell entschieden werden, ob jemand bleiben darf oder nicht. Und dann muss diese Entscheidung rasch vollzogen werden. Ist sie negativ, muss eine sofortige Abschiebung passieren.
Vertreter von Religionsgemeinschaften haben zuletzt kritisiert, dass überall dort, wo im Koalitionspapier "Integration" steht, eigentlich der Islam gemeint ist...
Im Integrationsbereich ist der Islam die wesentlichste Religion, weil viele Zuwanderer aufgrund der Fluchtmigration und aufgrund der Gastarbeiter-Migration aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien diesen Glauben haben. Uns ist wichtig zu unterscheiden, dass es den Islam als Religion gibt, dass es aber auch die Ideologie des politischen Islams gibt. Wir wollen Religionsfreiheit für alle, aber wir wollen einen klaren Kampf gegen den politischen Islam – und das wird auch einer meiner Schwerpunkte als Integrationsministerin in den ersten 100 Tagen. Politischer Islam hat in Österreich keinen Platz, da gilt null Toleranz.
Wie groß ist das Problem des politischen Islam wirklich? Mitunter hat man den Eindruck, es geht viel um Symbole und Stimmung, aber wenig um empirische Fakten.
Nein. Es ist eine Tatsache, dass der politische Islam im Bildungssystem, in den sozialen Medien, aber auch in muslimischen Vorfeldorganisationen und Vereinen ein großes Thema ist. Dem will ich mit Null-Toleranz begegnen. Zu den Zahlen: Erst vor wenigen Wochen hat eine Studie gezeigt, dass 55 Prozent der afghanischen Jugendlichen in Wien sagen, die islamische Religion steht über den Gesetzen. 45 Prozent sagen, sie wünschen sich einen islamischen Gelehrten an der Spitze des Staates. Der politische Islam will die Scharia einführen und unser demokratisches System unterwandern. Und wenn 45 Prozent der Jugendlichen das sagen, dann wissen wir: Es ist faktisch ein Problem.
Was läuft da im Bildungssystem schief, wenn junge Menschen unser demokratisches System ablehnen?
Wer zuwandert, legt seinen Werte-Rucksack nicht einfach an der Grenze ab. In vielen Ländern spielen der Rechtsstaat, die Gleichberechtigung oder Demokratie keine oder eine untergeordnete Rolle. Daher ist es wichtig, dass ab dem ersten Tag jedem Zuwanderer klar gemacht wird, welche Regeln in Österreich gelten und wie wir zusammenleben. Da darf es keine falsch verstandene Toleranz geben.
Wo orten sie diese falsche Toleranz?
Wir haben in gewissen Kulturkreisen noch deutlichen Nachholbedarf, wenn es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht. Ich habe die vergangenen zehn Jahre im Integrationsbereich gearbeitet und oft erlebt, dass Frauen viele Dinge nicht allein tun dürfen – vom Sprach- bis hin zum Wertekurs, immer war der Mann dabei. Deshalb ist es so wichtig, die Menschen zu Kursen zu verpflichten. Seit wir die Verpflichtung für Wertekurse eingeführt haben, ist der Frauenanteil um 50 Prozent gestiegen. Weil es dann keine Ausreden mehr geben kann. Wer nicht teilnimmt, verliert staatliche Leistungen und damit Geld. Die verpflichtenden Maßnahmen stärken Frauen, weil sie Deutsch lernen.
Im Falle einer Krise im Migrations- oder Integrationsbereich sieht das Regierungsprogramm vor, dass sich ÖVP und Grüne im Extremfall andere Partner im freien Spiel der Kräfte suchen können. Der Ablauf dafür ist im Koalitionspapier genau vorgesehen. Aber wer entscheidet eigentlich, was eine Krise ist?
Das wird man in der jeweiligen Situation sehen. Unser Zugang ist: 2015 darf sich nicht wiederholen.
Aber wann genau spricht man von einer Krise?
Man merkt, wenn eine Krise eine Krise ist.
Das Kopftuchverbot bis 14 gehört zu den umstrittensten Maßnahmen von Türkis-Grün. Wie viele Mädchen in diesem Alter werden gezwungen, es zu tragen?
Ich war in hunderten Schulen unterwegs und weiß: Es sind viele. Klar ist: Jedes Kind, das zum Kopftuch gezwungen wird, ist eines zu viel. Wir hatten die selbe Debatte beim Burka-Verbot, und das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Jede Frau, die gezwungen wird, sich zu verschleiern, ist eine zu viel!
Aber wie ist es rechtlich zu argumentieren, dass man das Kopftuch bei Mädchen verbietet, andere religiöse Bekleidungen wie die Kippa aber nicht?
Das ist tatsächlich komplex, aber: Zentral geht es um das Kindeswohl und das wiegt in einer verfassungsrechtlichen Abwägung sehr schwer. Beim Kopftuch geht es darum, dass Mädchen in einem zentralen Lebensabschnitt vermittelt wird, sie müssten ihre Weiblichkeit verhüllen. Als Psychologin frage ich: Wie soll aus einer 12-Jährigen eine selbstbestimmte Frau werden, wenn man ihr bereits im Kindesalter sagt "Du musst deine Weiblichkeit verstecken". Darin liegt für mich der Unterschied. Das Kopftuch ist nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Statement. Aus meiner Sicht tragen Mädchen das Kopftuch nie freiwillig, es ist immer Zwang dabei. Entweder kommt der Druck von der Familie oder von einer Gruppe.
Zur Frauen-Politik: Im Regierungspakt ist die Frage der Frauenquote in börsennotierten Unternehmen vage gehalten. Wie halten Sie’s als Frauenministerin eigentlich mit Quoten?
Quoten sind kein Allheilmittel. Ich bin ein Fan davon, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das tun wir mit der Bundesregierung. Man muss Vorbilder stärken. Ich will Frauen stärken – unabhängig davon, und zwar egal, was sie machen, welches Lebensmodell sie wählen. Es gibt Frauen, die haben Kinder und sind berufstätig. Andere haben Kinder und sind zu Hause, wieder andere haben keine Kinder. Manche wollen nach der Schwangerschaft schnell wieder arbeiten, andere nicht. Allen ist aber gemein, dass sie sehr viel leisten. Mein Job ist nicht, Frauen vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Mein Job ist, die Leistungen der Frauen hervorzukehren und sie in der Wahl ihres Lebensmodells zu unterstützen.
Muslimische Familien sehen den "Kopftuchzwang" anders
Identität? Türkis-Grün hat mit der Ausweitung des Kopftuchverbots eine neue Debatte entfacht. Die Betroffenen stehen hier im Widerspruch zur neuen Integrationsministerin. Der KURIER hat zu Jahresbeginn muslimische Volksschülerinnen und deren Mütter zum Kopftuch befragt. Von Zwang war dabei nicht die Rede. Eine Erklärung liefert die Kinder- und Jugendpsychologin Evelina Cordalija. Demnach spiele in muslimischen Familien das Kopftuch "eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Identität und Bindung".
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