Der alte und neue Kanzler in Personalunion fokussiert, wie er es immer am Podium macht, sein Gegenüber. Versteckt lächelt der stets disziplinierte Sebastian Kurz sogar, als Werner Kogler den Prozess der Kompromissfindung für den Koalitionspakt flapsig kommentiert: „Ich habe kein medizinisches Instrument für die Schmerzvermessung zur Verfügung. Aber es ist fordernd, wenn zwei Weltanschauungen aufeinanderprallen“.
Die Verkündung des türkis-grünen Pionierpfades ist nicht der erste Coup von Kurz. Mehrmals in seiner kurzen Karriere verpasste sich der ÖVP-Chef ein neues Image und entwickelte sich dadurch zum Politiker für Premieren aller Art: Anfangs als Staatssekretär war er der sympathische „Mister Integration“; 2015 verwandelt Kurz sich in Prinz Eisenherz, wie ihn die deutschen Medien nennen, schließt die Balkanroute; 2017 setzt er auf den Slogan „Wunsch nach Veränderung“ und wird zum jüngsten Regierungschef gekürt.
Vor vier Tagen dann das nächste Debüt: Mit der Bildung der ersten türkis-grünen Koalition verwandelt er sich vom „bad guy“ zum „good guy“ auf der EU-Bühne. Die renommierte italienische Zeitung La Stampa kommentiert den Schachzug so: „Das ChamäleonSebastian Kurz hat wieder einmal gesiegt.“
Doch ist der ÖVP-Chef tatsächlich ein politisches Chamäleon? Wie muss man gestrickt sein, wenn man zuerst mit den Blauen, dann mit den Grünen koaliert ?
Sein politischer Entdecker, Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger, definiert das System Kurz so: „Er möchte für Österreich etwas zusammenbringen, aber nicht beliebig, sondern auf einem Wertefundament, einem Grundgefüge, das er nicht verrückt“. Der Kurz’sche Wertekanon heißt: hart bei der Migration, Wirtschaftsstandort sichern und Gerechtigkeit für die Leistungsträger.
Mit Schaudern erinnert sich Kurz oft an die mühsamen Minimalkompromisse der Großen Koalition im Ministerrat, wo das Einstimmigkeitsprinzip herrscht.
Jeder bekommt sein Spielfeld
Kurz hat aus dem traurigen Schauspiel ein neue Strategie der Kompromissfindung entwickelt: Statt sich „gegenseitig zu verhunzen“ (O-Ton Kogler) erhält jeder politische Player sein eigenes Spielfeld, wo er sich dann quasi austoben darf.
Bei der Verkündung der türkis-grünen Allianz nennt der ÖVP-Kanzler dieses Modell „das Beste aus beiden Welten“. Oder: „Grenzschutz und Klimaschutz sind möglich“.
Vorbild dafür waren für Kurz die ÖVP/Grüne-Koalitionen im Westen. Auch in Tirol und Vorarlberg hat jede Partei ihre Bereiche – in Vorarlberg stimmt man in gewissen politischen Anliegen sogar unterschiedlich ab. Auch dieser koalitionsfreie Raum findet sich im Pakt wieder.
Politik-Analyst Thomas Hofer bezeichnet Kurz als einen Verpackungskünstler – quasi der politische Christo. „Er nimmt keine Richtungsänderung vor, sondern er verpackt die Botschaften nur immer anders. Sein Motto Integration durch Leistung verkündete er schon als Integrationsstaatssekretär, nur war das Motto damals positiv besetzt, bei der Flüchtlingskrise verpackte er die Botschaft härter.“ Aber wie schafft es Kurz, die Grünen von der Sicherungshaft zu überzeugen? Wie drückt er ihnen große Brocken der ehemals türkis-blauen Steuerreform aufs Aug’ ?
Exzellenter Zuhörer
„Lernt man ihn kennen, dann verändert sich das Bild von Kurz“, so ein grüner Verhandler. Feind wie Freund bestätigen Kurz, dass er ein exzellenter Zuhörer ist, egal welche ideologische Überzeugung sein Gegenüber hat. „Andere sind Prediger von Botschaften, aber er hört zu und kann die Argumente seines Gegenübers schnell erfassen. Kurz geht nicht in den Widerspruch, sondern modelliert die Argumente um, um sein Ziel zu erreichen.“ Bei Verhandlungen attestiert man ihm einen langen Atmen, inhaltliche Härte. „Biegen kann man ihn so gut wie nicht. Droht man ihm, dann sagt er: Gut, dann lassen wir es darauf ankommen“, erzählt ein Kurz-Kenner.
Manche grünen Spitzenpolitiker hoffen, dass Kurz einen Lernprozess durch die türkis-grüne Koalition durchläuft: „So leicht wie die FPÖ machen wir es der ÖVP sicher nicht. Bei den Verhandlungen schmiss die ÖVP fast die Nerven hin, weil wir jeden Beistrich umdrehten.“ Auch wenn sich Kurz mit Strache inhaltlich sicher leichter tat, hat das neue K&K-Duo doch eine Chance.
Neben Kurz, der durch seine Selbstkontrolle, seine disziplinierte Körperhaltung doch etwas steril wirkt, wäre der launige Formulierer Kogler eine Bereicherung. „Schaffen die beiden Teamwirkung, hätte das einen Mehrwert und würde bei den Menschen auf breite Akzeptanz stoßen“, meint ein ÖVPler.
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