Muslimische Volksschülerin: "Ohne Kopftuch bin ich anders"
Acht Fälle gab es seit Schulbeginn. Fünf in Wien, zwei in Vorarlberg und einen in Tirol. Acht Mal kamen muslimische Mädchen trotz des Kopftuchverbots in der Volksschule mit einem Hijab zum Unterricht.
Die Verwaltungsstrafe von 440 Euro wurde jedoch kein einziges Mal verhängt. Sämtliche Eltern konnten von den Schulleitungen in Gesprächen überzeugt werden. Ein Politikum bleibt das Verbot trotzdem. Demnächst bringt die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) eine Verfassungsklage dagegen ein. Punkto Erfolgsaussichten sind sich selbst Verfassungsexperten uneinig.
Bei ÖVP, FPÖ und „Liste Jetzt“, mit deren Stimmen das Gesetz im Mai beschlossen wurde, will man damit ein „klares Symbol gegen die Unterdrückung von Frauen und Mädchen“ setzen. Doch entspricht dieser Zugang überhaupt der Realität?
„Nein“, heißt es seitens der IGGÖ. In den allermeisten Fällen gehe die Initiative, ein Kopftuch zu tragen nämlich von den Kindern selbst und nicht von den Eltern aus. Kleine Mädchen würden sich eben wie ihre Mütter kleiden wollen. Zudem seien Kopftuch tragende Volksschülerinnen „eine absolute Minderheit“. Letzteres bestätigt auch Kinderpsychologin Evelina Cordalija, mit der der KURIER über den Einfluss des Kopftuchs auf die Kinderseele sprach.
Um die Motive von Betroffenen zu erfahren, sprach der KURIER mit acht muslimischen Mädchen aus fünf Familien und mit drei Müttern, für die ein Hijab selbstverständlich ist. Aus Angst vor Anfeindungen wollen die Interviewten anonym bleiben.
"Urschön"
Die acht- bis neunjährigen Schülerinnen haben österreichische, deutsche, marokkanische, tunesische, afghanische oder bosnische Wurzeln, wuchsen aber alle hier auf. "Wir sind Wienerinnen", sind sich die Mädchen einig. Beim Gespräch mit dem KURIER tragen sechs von ihnen ein Kopftuch – auf eigenen Wunsch, wie sie betonen.
So sei sie „selbstbewusster“, erklärt eine eloquente Achtjährige. Ohne Kopftuch fühle sie sich „schwach“. Als die Lehrerin sagte, sie müsse ihr Kopftuch in der Schule abnehmen, habe sie sich „klein, allein und traurig gefühlt“, erzählt eine Freundin. Darum habe sie es sofort wieder aufgesetzt als sie das Schulgebäude verlassen habe. Ein drittes Kind sagt: „Ohne Kopftuch bin ich anders.“
In einem sind sich die Mädchen einig: Für sie ist das Kopftuch, das sie von ihren Müttern oder älteren Schwestern kennen, „urschön“. Warum sie auf der Straße oder in der U-Bahn manchmal „so komisch angeschaut“ werden, wissen sie nicht. Und warum das bunte Stück Stoff von ÖVP und FPÖ verboten wurde, auch nicht. „Die wissen doch gar nicht, ob Eltern ihre Kinder zwingen, es aufzusetzen“, meint eine Schülerin.
Nein, sie würden nicht gezwungen oder gedrängt, das Kopftuch zu tragen, erzählen die Mädchen. In einem Fall erzählt ein Kind zwar, dass es den Eltern nicht schnell genug gehen würde, bis es einen Hijab überstreife. Die sieben anderen Schülerinnen schildern aber alle dasselbe: Dass die Mütter auf dem Standpunkt stünden, sie seien noch zu klein und könnten später selbst entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen wollen oder nicht.
„Wie die Mama sein“
Dennoch würden die Mädchen das Kopftuch zum Teil heftig einfordern, schildern die Mütter unisono.
Sie habe es bewusst von ihrer Tochter ferngehalten; das Kopftuch „nicht glorifiziert“ und es dem Kind auch nicht geschenkt, sagt Katja M. – eine österreichische Muslimin, die selbst Hijab trägt. In der Volksschule hätten die Eltern der Kleinen das Tuch bereits vor dem Kopftuchverbot verboten, „um sie von der Hasskultur fernzuhalten“, sprich: um ihr Anfeindungen zu ersparen. Tragen dürfe sie es bloß in der Moschee bzw. später einmal, wenn sie größer sei.
Doch das überzeuge das Kind nicht, so Frau M. Im Gegenteil: „Sie warf mir vor, dass ich zur FPÖ gehöre und wollte dem Bundespräsidenten ein SMS schreiben.“ Der Vater musste als Mediator zwischen der Tochter und seiner Frau vermitteln.
Prinzipiell will die Wienerin, die im Bildungssystem arbeitet, dass sich ihre Tochter später bedeckt. Ihrer Meinung nach ist das Kopftuch „ein gutes Tool für das gesellschaftliche Miteinander; ein nonverbales Zeichen für Grenzen gegenüber dem anderen Geschlecht“.
Das Kopftuchverbot in der Volksschule ist für M. „eine faschistoide Maßnahme, eine Entmündigung der Eltern“. „Wenn sie dazu steht und sich ohne Kopftuch ausgeschlossen fühlt, was soll ich dann machen? Soll ich es ihr runterreißen?!“
In dieselbe Kerbe schlägt die österreichische Konvertitin Martina K. Der Wunsch, das Kopftuch zu tragen, sei von ihrer Tochter ausgegangen. Seit sie 7 Jahre alt geworden sei, trage sie es "zum Spaß". Der Kleinen gehe es darum „so wie die Mama zu sein und sich mit der Gemeinschaft zu identifizieren“.
Als Mutter sei sie zwar dagegen, weil sie Ressentiments seitens der Mehrheitsgesellschaft fürchte, sagt K. – letztlich solle sich das Kind aber mit ihr identifizieren dürfen.
Und selbst das Kopftuch abzulegen, um der Tochter ein anderes Vorbild zu liefern, hieße, „sich vor dem Mädchen zu verstellen und meine eigene Identität aufzugeben“, meint die Schiitin - die den Hijab eher aus einem sozialen als aus einem religiösen Grund trägt: „Weil ich damit zuerst als Mensch und erst dann als Frau wahrgenommen werde.“ Ohne das Kopftuch empfinde sie ein gewisses Schamgefühl; gebe sie doch mehr von sich preis als sie wolle. „Mein Rückzugsort ist dann weg.“
Dennoch müsse sie das Mädchen nun zwingen, in der Schule kein Kopftuch zu tragen. „Darum geht sie jeden Tag mit hängendem Kopf durch die Haustür.“
Als es noch nicht verboten war, habe sie ihre Tochter das Kopftuch tragen lassen, erzählt die dritte Mutter, Sunnitin Alina B. „Ich fand das einfach schön, es war der Stolz einer Mutter“, daraus macht sie keinen Hehl. Für sie hilft der Hijab den Frauen im gesellschaftlichen Leben. „Weil die Persönlichkeit mehr zählt als das Aussehen.“
Rolle der Vorbilder
Dass Nachahmung für Kinder „eine wichtige Form des Lernens“ ist, bestätigt Kinder- und Jugendpsychologin Evelina Cordalija, die viel mit muslimischen Familien arbeitet. Dieses Verhalten spiele „in allen Kulturen eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Identität und Bindung“. Dabei orientiere sich das Kind unbewusst an seinen Bezugspersonen, sprich: Vorbildern.
Das erfülle auch eine soziale Funktion. So trage ein Mädchen etwa ein Kopftuch, „weil es schön findet, wie die Mutter damit aussieht“. Es könne aber auch bewusst als Loyalitätsgründen getragen werden. Reagieren die Eltern erfreut, verstehe die Tochter dies als Ansporn. Zudem vermittle die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung den Kindern Stärke und Sicherheit.
Entscheidend für das psychische Wohlbefinden und eine gesunde Entwicklung der Kinder sei jedenfalls nicht die Entscheidung für oder gegen Kopftuch an sich. Sondern der „konstruktive Umgang mit der Thematik“, betont Cordalija. So erzeugen Verbote „häufig Widerstand und starke Emotionen“, was „zu einer Justamenthaltung führen“ könne.
Damit die kleinen Mädchen mit dem Kopftuchverbot umgehen können, benötigen sie eine plausible Erklärung. „Wenn die Eltern sagen: ,In der Schule ist es verboten, aber in der Moschee darfst du es aufsetzen und wenn du älter bist, entscheidest du selbst’, dann kann das für das Kind ok sein“, skizziert die Psychologin. „Wenn die Eltern das aber mit Bedauern sagen und neben dem Kind über die ,böse Gesellschaft’ sinnieren, könnte das Kind einen Widerstand gegen seine Außenwelt entwickeln.“
Ob sich Kopftuch tragende Mädchen akzeptiert oder ausgeschlossen fühlen, hänge also maßgeblich davon ab, wie Vorbilder und Umwelt mit der Thematik umgehen. Man könne das umstrittene Stück Stoff also „sowohl als Ausgrenzung als auch als Integration“ interpretieren.
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