Kärnten: Wie man eine Volksgruppe unsichtbar macht

VP-Landesrat Christian Benger und Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ)
Für VP-Landesrat Christian Benger war wichtig, dass niemand in der Kärntner Landesverfassung diskriminiert wird. Deshalb mussten die Kärntner Slowenen weichen. Eine Analyse mit Grafiken.

Die Kärntner Dreierkoalition konnte sich also doch noch auf einen Slowenen-Passus einigen. Das Land bekennt sich "zu seiner gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Ausdruck kommt", und: "Die Fürsorge des Landes gilt allen Landsleuten gleichermaßen", heißt es nun in der neuen Landesverfassung. Mit dieser Formulierung fühlt sich auch ÖVP-Landesrat Christian Benger wohl.

Der gebürtige Vorarlberger hatte in den vergangenen Tagen gehörig Staub aufgewirbelt, weil er der alten Version seine Zustimmung verweigert hat. Zuvor galt die Fürsorge des Landes nämlich "den deutsch- und slowenischsprachigen Landsleuten gleichermaßen". Aber Kärntner, so erklärte Benger mit seinem "Bauchgefühl", hätten ein "psychologisches" Problem mit dem Wort "slowenischsprachig" und eine Sonderstellung der Kärntner Slowenen sei ohnehin nicht im Sinne der Volkspartei. Die Konsequenz: Der Begriff muss gestrichen werden.

Christian Benger, Peter Kaiser und Rolf Holub https://images.kurier.at/46-89957046.jpg/245.859.625 APA/GERT EGGENBERGER KÄRNTEN: PK NACH REGIERUNGSSITZUNG / BENGER / KAIS ABD0119_20170207 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: ZU APA0061 VOM 7.2.2017 - (v.l.) Landesrat Christian Benger ( ÖVP), der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und Landesrat Rolf Holub (Grüne) am Dienstag, 7. Februar 2017, anlässlich einer Pressekonferenz nach einer Regierungssitzung in Klagenfurt. - FOTO: APA/GERT EGGENBERGER

Zwar konnte sich Benger nicht durchsetzen, seine Forderung war aber für viele ein "gefährliches Zündeln". Sie erinnerte an eine Zeit, als Politiker und Behörden versucht haben, die Kärntner Volksgruppe unsichtbar zu machen, sie aus der Öffentlichkeit zu entfernen und ihnen buchstäblich den Mund zu verbieten – und das nicht erst seit dem Paradepopulisten Jörg Haider.

Die Sprache musste verschwinden

Zum ersten Mal in Erscheinung trat diese Methode nach der Kärntner Volksabstimmung 1920 (Soll das zweisprachige Südkärnten bei Österreich bleiben oder sich dem neugegründeten jugoslawischen Königreich anschließen?). Noch unmittelbar vor dem Urnengang versprach die damalige Landesregierung, die Rechte der "slowenischen Landsleute" zu wahren, wenn sich diese für Österreich aussprechen.

Und tatsächlich: Am 10. Oktober 1920 stimmte die Mehrheit für die Republik. Nur das Versprechen blieb auf der Strecke. Das offizielle Kärnten sah im Votum nun ein Bekenntnis der Volksgruppe zum Deutschtum. Viele Kärntner Slowenen hätten Ja zur Germanisierung gesagt und dementsprechend auf ihre Minderheitenrechte verzichtet.

https://images.kurier.at/kaerntner_slowenen_volksabstimmung%2B1920.png/245.891.890 KURIER Kärntner Slowenen

Diese Interpretation kam Österreich freilich sehr entgegen. Denn im Gegensatz zur Habsburgermonarchie, wo alle Volksstämme ein "unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache" hatten, verstand sich die Erste Republik ganz klar als deutscher Nationalstaat. Die Bevölkerung solle möglichst homogen sei, Andersnationale wie Kärntner Slowenen stellten einen Fremdkörper im deutschösterreichischen Volkskörper dar, sie und ihre Kultur waren nicht erwünscht.

Für Deutsch-Kärnten war es also nur logisch, dass zuerst das aus dem öffentlichen Leben verschwinden muss, was gemeinhin als kulturelles Erbe, als Gedächtnis eines Volkes gilt: die Sprache. Zweisprachige Ortstafeln wurden umgehend entfernt, Slowenisch aus den Schulen und Kirchen praktisch verbannt. "Der Unterricht war nur auf Deutsch. Das war schlimm", erzählt der 1928 geborene Kärntner Slowene Ernst Blajs im Buch "Kärnten liegt am Meer". Die Kinder beherrschten gerade ein paar Brocken Deutsch und lernten deshalb alles auswendig; verstanden haben sie es freilich nicht. Sie wurden zu Analphabeten erzogen.

Die Spaltung: Gute und schlechte Kärntner Slowenen

In weiterer Folge ignorierte die Geschichtsforschung die Identität der Kärntner Slowenen. Der damalige Landeshistoriker Martin Wutte behauptete 1930, "die Slowenen in Kärnten sind wenigstens zum Teil gar nicht wirklich Slowenen, sondern Windische". Diese Theorie führte dazu, dass Kärntner Slowenen, die "deutschfreundlich" und "heimattreu" waren, als "Windische" bezeichnet wurden. Alle anderen galten als "nationalbewusste" Slowenen, die Gefahr liefen, als Verräter diskriminiert zu werden.

Wegen etwaigen Repressalien bekannten sich nur noch wenige Kärntner Slowenen zur eigenen Volksgruppe. Die Zahl der Minderheit schrumpfte infolgedessen von 66.000 im Jahr 1910 auf 34.650 im Jahr 1923. Hinzu kommt, dass die Volkszählung 1923 persönlich von Volkszählern durchgeführt und die Bevölkerung nach ihrer "Denksprache" und nicht nach ihrer Muttersprache gefragt wurde.

Bei der Volkszählung 1934 musste man die Zugehörigkeit zum Kulturkreis angeben. Die Assimilierungskraft des Deutschtums in Kärnten war aber so stark, dass sich sogar Nicht-Deutsche zum Deutschen bekannten. Unter anderem auch deshalb, weil Landesbeamte solche Fragen stellten: "Sind Sie für Österreich oder für Jugoslawien?", "Willst Du, daß die Serben hierherkommen?" und "Welche Kultur anerkennen Sie, die deutsche oder die serbische?"

https://images.kurier.at/kaerntner_slowenen_entwicklung_seit_1818.png/245.891.887 KURIER Kärntner Slowenen

Aber welchen Vorteil erhoffte sich die Kärntner Politik, wenn sie die Minderheit künstlich reduziert? Ganz einfach: Je kleiner die Volksgruppe, desto weniger Zugeständnisse musste man den Kärntner Slowenen machen. Viele Minderheitenrechte konnte die Volksgruppe nur genießen, wenn sie "eine beträchtliche" Mitgliederzahl erreicht hat - zum Beispiel das Unterrichtswesen (Art. 68, Staatsvertrag 1920).

Eine Politik, die unsichtbar macht

Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 war der Höhepunkt deutschnationaler Aggression gegenüber der Volksgruppe erreicht. Während in den Jahren 1920 bis 1937 die anti-slowenische Politik mehr oder weniger im Verborgenen praktiziert wurde, bildete sich unter nationalsozialistischer Herrschaft ein offener Hass gegen die Minderheit. Als Nazi-Parole wurde "Der Kärntner spricht deutsch!" ausgegeben.

1942 wurden sämtliche slowenischen Vereine aufgelöst und rund 300 Familien ausgesiedelt. Führende slowenische Politiker, Lehrer und Geistliche wurden des Landes verwiesen oder in Lager gesteckt. Alles Slowenische wurde systematisch vernichtet - und gipfelte im Massaker am Peršmanhof. Elf Kärntner Slowenen, darunter sieben Kinder, wurden von Nazi-Schergen kaltblütig ermordet, der Hof abgefackelt.

In der Zweiten Republik war die Volksgruppe zwar anerkannt, aber in der Kärntner Öffentlichkeit hatte sie nichts zu suchen. Das plakativste Beispiel dafür ist der jahrzehntelange Ortstafelstreit. Zweisprachige Ortstafeln? Kommt überhaupt nicht in Frage! Kärnten bleibt deutsch, ließ der damalige Landeshauptmann Jörg Haider aus politischem Kalkül verkünden. Andere Vorschläge, wie man den Streit lösen könnte (Kreisky 1972, Schüssel 2006, Gusenbauer 2007), wurden als "kärntenfeindlicher Akt" qualifiziert.

https://images.kurier.at/Unbenannt-1.jpg/245.977.457 KURIER Kärnten Erinnerungen werden wach

Mit der Lösung des Ortstafelkonflikts 2011 kehrte allmählich Ruhe im südlichsten Bundesland ein. Selbst freiheitliche Politiker und der Kärntner Abwehrkämpferbund haben sich – bis auf die gelegentlichen "Slowenisierung"-Rufe – zurückgehalten. Christian Benger hat allerdings gezeigt, wie präsent die Vergangenheit bzw. wie reaktionär Politik sein kann. Denn egal, wie man die Sache dreht und wendet, für viele Beobachter entbehrt sie nicht einer gewissen Lächerlichkeit.

Während sich der Vorarlberger Benger wegen eines Bauchgrummelns um die Spaltung der Kärntner Bevölkerung sorgt, tritt diese schon längst geeint auf: die slowenischsprachige Volksgruppe gehört zu Kärnten, heißt es in den Sozialen Medien.

"Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934", vom Bundesamt für Statistik (1935).

"Die Kärntner Slowenen. Ein Volk am Rand der Mitte" (2008), vom ehemaligen Leiter der slowenischen Abteilung im ORF Kärnten Mirko Bogataj.

"Die Kärntner Slowenen" (2003), von den Historikern Brigitte Entner und Avguštin Malle.

"Österreich und seine Slowenen" (1977), von den Historikern Hanns Haas, und Karl Stuhlpfarrer.

"Abwehrkampf und Volksabstimmung - Mythos und Realität" und "'Ethnischer Säuberung' in Kärnten" (1996), vom Zeithistoriker Andreas Moritsch.

"Die Kärntner Slowenen und die zweite Republik. Zwischen Assimilierungsdruck und dem Einsatz für die Umsetzung der Minderheitenrechte" (2010), von Matjaž Klemenčič und Vladimir Klemenčič.

"Kärnten liegt am Meer" (2012), herausgegeben von Wilfried Graf, Wolfgang Petritsch und Gudrun Kramer.

Buchempfehlung

"Engel des Vergessens" (2013), von Maja Haderlap. Die Autorin erzählt die Geschichte der Kärntner Slowenen und wie es ist, als Angehörige einer Minderheit aufzuwachsen.

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