Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Lisa Rettl (li.) und Claudia Kuretsidis-Haider (re.) haben sich der analytischen Aufarbeitung des Massakers am Peršmanhof (Kärnten) gewidmet.
Zwei Zeithistorikerinnen rekonstruieren eines der letzten Kriegsverbrechen an der Kärntner Zivilbevölkerung.

Vor 70 Jahren verübten Mitglieder des SS- und Polizeiregiments 13 eines der letzten Kriegsverbrechen an der Kärntner Zivilbevölkerung. Insgesamt wurden elf Zivilisten ermordet, darunter sieben Kinder. Von 1946 bis Mitte der 1960er Jahre wurde gegen insgesamt 49 Personen wegen dem Massaker am Peršmanhof ermittelt. Im KURIER-Gespräch erklären die Zeithistorikerinnen Lisa Rettl und Claudia Kuretsidis-Haider, warum es nie zu einer Anklage kam und die Täter lehrbuchartig vorgingen (das Gespräch ist eine längere Fassung der KURIER-Story).

Der Peršmanhof, ein Bergbauernhof in Koprein-Petzen bei Eisenkappel, liegt im dünn-besiedelten Südkärntner-Raum an der Nordseite der Karawanken auf über 1000 Meter Höhe. Trotz der Abgeschiedenheit ist der Hof ein zentraler Stützpunkt für die Partisanen im Widerstandskampf gegen die NS-Diktatur. Ana Sadovnik, die Bäuerin am Hof, und ihre Familie zählen zu den verlässlichsten Unterstützer der Partisanen.

KURIER: Frau Kuretsidis-Haider, am 25. April 1945 verübten Mitglieder des SS- und Polizeiregiments 13 das letzte Kriegsverbrechen an der Kärntner Zivilbevölkerung. Sie haben die Volksgerichtsakten und zahlreiche Zeugenaussagen zum Massaker am Peršmanhof untersucht (siehe unten). Warum ist es nie zu einer Anklage gekommen? Claudia Kuretsidis-Haider: Die Ermittlungen waren geprägt von Unterlassungen und schwierigen Umständen interner wie externer Natur. Das Außensenat Klagenfurt des Volksgerichts Graz konnte erst im Februar 1946, also zehn Monate nach dem Verbrechen, aktiv werden, weil die britische Besatzungsmacht in Kärnten erst dann das Verbots- und das Kriegsverbrechergesetz anerkannt hat. Und natürlich mussten auch andere NS-Verbrechen aufgeklärt werden, bei gleichzeitigem Personalmangel. Aber selbstverständlich wurde auch einiges verschleppt und verschlampt.

Was zum Beispiel? Claudia Kuretsidis-Haider: Es blieben viele Gelegenheiten zur Ahndung der Täter ungenützt. Man hat Verfahren gegen verdächtige Personen zu früh eingestellt, ein Lokalaugenschein am Tatort fand erst drei Jahre nach der Tat statt, wichtige Zeugen wurden gar nicht befragt. Dass die Täter damals zum SS- und Polizeiregiment 13 gehörten, also strukturell Teil der Polizei waren, spielte natürlich auch keine unwesentliche Rolle.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Seit mehreren Tagen befinden sich zwischen 100 und 150 Partisanen am Hof der Familie Sadovnik (Bild). Während die Leitungsorgane im kleinen Kreise Besprechungen abhalten, ruht sich die restliche Mannschaft aus. Die Waffen haben sie abgelegt. Es sind die letzten Kriegstage, sie haben nichts mehr zu befürchten.

Frau Rettl, Sie haben sich intensiv mit den Tätern und der Rolle des SS- und Polizeiregiments 13 während der NS-Zeit auseinandergesetzt. Lisa Rettl: Ja, mit den neuen Aktenfunden war dies erstmals möglich. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es deutet nichts darauf hin, dass es sich bei den Tätern um die hochideologisierte mörderische Spezialeinheit gehandelt hat, von der Heinrich Himmler immer träumte. Die Männer waren im Zivilberuf teilweise Polizisten und sogar selbst Familienväter. Einige waren zwar deutlich nationalsozialistisch eingestellt, andere wiederum nicht. Anhand der Biografie kann man durchaus sagen, dass die Peršman-Täter aus der gesellschaftlichen Mitte gekommen sind.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Wie konnte es zum Massaker überhaupt kommen? Rettl: Was wir anhand des Aktenmaterials sehr deutlich sehen, die Täter am Peršmanhof haben keineswegs im Blutrausch gehandelt, wie dies lange Zeit kolportiert wurde. Die Vorstellung von NS-Tätern als perversen oder sadistischen Monstern war vor allem eine Verdrängungsstrategie der österreichischen Nachkriegsgesellschaft. Indem man die Mörder in das Reich des Abnormen verbannt hatte, war es auch leichter, die jeweils eigene Schuld und persönliche Verstrickung beim Morden wegzuschieben. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass der Holocaust wie auch alle anderen Genozide nicht von perversen Bestien oder Sadisten begangen worden sind, sondern von ganz normalen Menschen.

Gilt das auch für die Mitglieder des SS- und Polizeiregiments 13? Rettl: Ja, für sie war der Einsatz am Peršmanhof keineswegs etwas Außergewöhnliches. Solche Einsätze hat die Einheit zuvor bereits unzählige Male durchgeführt, in der Sowjetunion ebenso wie am Balkan. Die Kernaufgabe dieser Polizeiregimenter war die sogenannte Bandenbekämpfung, also der Kampf gegen Partisanen. Zu den speziellen Aufgaben zählte dabei auch die Unschädlichmachung aller Verdächtigen, also die Verfolgung und Liquidation von Zivilisten. Es ging ja darum, dem antifaschistischen Widerstand die Basis zu nehmen. Von daher kann man sagen, dass die Polizisten beim Einsatz am Peršmanhof beinahe lehrbuchartig vorgingen.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Es ist Mittwoch, der 25. April 1945. Nach einer Privatanzeige wegen eines Viehdiebstahls stürmen rund 70 Mann des SS- und Polizeiregiments 13 in den Abendstunden von Richtung Globasnitz zum Peršmanhof. Die sichtlich überraschten Partisanen flüchten zum Teil unter Gegenwehr in den umliegenden Wald. Die Mitglieder der Familie Sadovnik verstecken sich im Keller. Es kommt zum längeren Feuergefecht. Die Polizeieinheit zieht sich zum benachbarten Rieplhof zurück und beraten dort über die weitere Vorgehensweise. Die Familie (Bild) bleibt zurück.

Im SS- und Polizeiregiment 13 gab es aber auch Mitglieder, die mit der NS-Ideologie gar nicht konform gingen.Rettl: Ja. Das zeigt aber, wie schmal der Grat ist, auf dem eine Gesellschaft zu jeder Zeit wandelt. Wenn zum Beispiel die Auslöschung einer missliebigen Personengruppe für eine sinnvolle Sache gehalten wird, dann lässt sich das Morden für die Beteiligten als eine moralisch akzeptable Tat interpretieren. So war das auch im Nationalsozialismus der Fall. Dadurch konnten die Täter ihre Handlungen später auch positiv in ihr Selbst integrieren.

Kuretsidis-Haider: Das ist auch der große Unterschied zu normalen Mördern. In der Regel sind Mörder früher oder später in irgendeiner Weise mit ihren Taten und der Schuldfrage konfrontiert. Das ist bei NS-Tätern definitiv nicht der Fall. Nach 1945 lebten sie meistens ihr ganz normales, bürgerliches Leben weiter, als wäre nichts gewesen. Diejenigen, die direkt an Kriegs- und Humanitätsverbrechen beteiligt waren, haben in der Regel auch nachher keine Morde mehr begangen. Die Kriegssituation und das NS-System haben ihnen erlaubt, solche Exzesse zu verüben. Ein Unrechtsbewusstsein ist bei vielen NS-Tätern nicht zu erkennen.

Sie sagen, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft hätten diese Taten begangen. Es scheint, das Böse sei alltäglich. Rettl: Wie gesagt, lange ging man davon aus, dass NS-Verbrechen nur von ideologisch überzeugten Hardlinern oder Sadisten begangen wurden. Die Täterforschung zeigt aber, dass diese Ideologisierung gar nicht nötig war. Oft waren ganz banale Motive ausschlaggebend, warum Menschen mordeten.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Um etwa acht Uhr abends kehrt ein Stoßtrupp des SS- und Polizeiregiments unter der Führung von Josef Reischl zum Peršmanhof zurück. Sie wollen das Hab und Gut holen, das sie wegen des Feuergefechts mit den Partisanen nicht sofort mitnehmen konnten. Die Familie Sadovnik und die zwei Pflegekinder befinden sich noch am Hof. Reischl gibt den Schießbefehl ... (Bild: Peršmanhof)

Welches banale Motiv steckte hinter dem Verbrechen am Peršmanhof? Rettl: Es ging um jeden Fall auch um die eigene Bereicherung. Aus den Akten geht hervor, dass das SS- und Polizeiregiment 13 mit einigen Fleischern aus der Region einen regen semi-legalen Handel mit Vieh aufgezogen hatten. Dabei fungierte das SS- und Polizeiregiment 13 als Lieferant von gestohlenem Vieh, das sie bei ihren Einsätzen überall mitnahmen. Und ausgelöst wurde der Einsatz am Peršmanhof auch durch eine Anzeige wegen eines Viehdiebstahls. Am Ende war die Frage der Beute auch der Grund, warum eine kleine Einheit des Regiments zum Peršmanhof zurückgekehrt ist und im Zuge dessen die Familie ermordete. Es ging im Wesentlichen darum, die Beute einzubringen. Außerdem gab es nicht nur Vieh und Fleisch, sondern alles, was die Partisanen bei ihrer Flucht aus dem Haus zurückgelassen hatten – Waffen, Munition und technische Geräte.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Kuretsidis-Haider: Etliche Zeugen aus den Reihen des SS- und Polizeiregiments 13 haben das auch bestätigt. Die Polizisten hatten sich nach dem ersten Angriff auf dem Peršmanhof und dem anschließenden Feuergefecht mit den Partisanen zurückgezogen und beraten. Man wusste, dass es noch genügend zu holen gab, und deshalb ist die Truppe zu sechst oder siebent an den Hof zurückgekehrt. Und abgesehen davon, dass es für Zivilisten, die der Partisanenunterstützung verdächtig waren, ohnehin kein Pardon gab, ist natürlich auch klar, dass Augenzeugen bei einem Raub- oder Beutezug nicht erwünscht sind.

Eine Wendung in der Causa. Früher stand das Rachemotiv im Vordergrund, oder? Rettl: Hier muss man verschiedene Dinge auseinanderhalten. Ein Rachemotiv wurde eigentlich nur den Partisanen unterstellt, und zwar seitens der politischen Rechten, die den antifaschistischen Widerstand stets als Heimatverrat interpretiert hat. Seit Kriegsende gab es das Gerücht, dass die Partisanen selbst die Familie ermordet hätten. Der Journalist Ingomar Pust hat dann dieses Diskursfragment mit verschiedenen Gerüchten angereichert und das wurde, auch von den politischen Eliten in Kärnten, als eine Art historische Wahrheit gehandelt, die landauf landab in die Welt posaunt wurde. Das war immer schon absoluter Unsinn. Hat aber im Zuge des Minderheitenkonflikts in Kärnten für die politischen Rechten sehr funktioniert. Denn der Peršmanhof ist eine der zentralsten Gedenkstätten für die Kärntner Slowenen und steht symbolisch für das große Verbrechen, das an der Minderheit begangen wurde.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Zwei Polizisten erscheinen in der Küche. Einer von ihnen weigert sich auf die Kinder zu schießen, der andere drückt ab. Die zehnjährige Ana und die sechsjährige Amalja erleiden Streifschüsse und werden für tot gehalten. Ciril versteckt sich hinter dem Küchenherd. Im Hof werden fünf Familienmitglieder exekutiert, sechs Personen verbrennen nach ihrer Ermordung im Bereich des Wohnhauses (Bild). Die drei Kinder flüchten aus dem brennenden Haus und verstecken sich im Wald.

Mit den neuen Aktenfunden haben sie den Gerüchten rund um Peršman ein Ende bereitet. Aber ist die Causa auch abgeschlossen? Kuretsidis-Haider: Strafrechtlich ist nichts mehr zu erwarten. Im Grunde genommen ist der Fall seit Mitte der 60iger Jahre juristisch erledigt. Wichtig war aber, dass man den Tathergang anhand von Fakten relativ genau rekonstruieren kann und auch eine bessere Vorstellung über Motive und Täter bekommt.

Rettl: Auch wenn der Fall strafrechtlich nicht mehr aufzurollen sein wird, die gesellschaftspolitischen Ebene darf nicht unterschätzt werden. Das Massaker am Peršmanhof hat bis heute offene Wunden hinterlassen und die Gerüchte haben nicht dazu beigetragen, dass die historischen Wunden heilen konnten. Ich denken, dass nun ein reflexiverer Umgang möglich sein wird.

Das Massaker jährt sich zum 70. Mal. Warum entzünden sich noch heute erinnerungspolitische Konflikte, wenn es um den Peršmanhof geht? Rettl: Das liegt daran, dass eine Aufarbeitung der NS-Geschichte in Kärnten lange Zeit gar nicht stattgefunden hat. In Eisenkappel selbst war das Massaker ein Tabuthema, niemand wollte darüber reden, um die ideologischen Gräben nicht erneut aufzureißen. Deckel drauf mit der Hoffnung, dass die Emotionen nicht allzu hochgehen. Aber das funktioniert nicht. Man muss sich die Vergangenheit anschauen und sie eben in ihrem Facettenreichtum auch annehmen. Ideologische Schubladen helfen da nicht weiter. Ich glaube, man kann es mit Ingeborg Bachmann halten: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.

Am Tag nach dem Massaker wird Anzeige erstattet und die überlebenden Kinder in Eisenkappel einvernommen. Die sterblichen Überreste der elf Peršmanhof-Opfer – darunter sieben Kinder im Alter von ein bis zwölf Jahren – werden von Nachbarn nach Eisenkappel gebracht, um am 30. April 1945 nach einer Messe am Eisenkappler Friedhof beerdigt zu werden. Im Februar 1946 nimmt das Außensenat Klagenfurt die gerichtlichen Voruntersuchungen, die wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen nicht fortgeführt werden konnten, wieder auf. Dabei bleibt es auch. Die Verfahren gegen Tatverdächtige werden eingestellt, wichtige Zeugen nicht einvernommen. Es kommt nie zu einer Anklage.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

Viele Mythen und Gerüchte sind mit dem Namen Peršman verbunden. Wer hat die Angehörigen der Familien Sadovnik und Kogoj getötet? Was geschah am 25. April 1945 wirklich? Und warum kam es nie zu einer Anklage? Bei den Recherchen für die Neugestaltung des Museums am Peršmanhof wurden Gerichtsakten entdeckt, die den beiden Zeithistorikerinnen Lisa Rettl und Claudia Kuretsidis-Haider als Basis für ihre Dokumentation über das Massaker dienten.

Im ersten Teil des Buches zeichnen die Autorinnen den Tathergang vom 25. April 1945 anhand der neuen Akten und Zeugenaussagen nach und zeigen außerdem auf, wie zögerlich der Umgang der Nachkriegsjustiz mit NS-Verbrechen war. Ergänzt wird die Dokumentation mit einer vermittlungspädagogisch orientierten Bildgeschichte von Gudrun Blohberger mit Fotos von Zdravko Haderlap.

Das Buch ist im Wallstein Verlag erschienen und ist durchgehend zweisprachig gehalten.

Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch
erschienen im Wallstein Verlag, 480 Seiten, deutsch/slowenisch,
Hardcover / Leinen
Peršmanhof: NS-Täter mordeten nach Lehrbuch

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