"Das ist ein epochales Ereignis"

Zell ist jene Gemeinde mit dem höchsten Anteil an Kärntner Slowenen: Er liegt hier bei über 90 Prozent. Der Erwähnung der Volksgruppe in der Landesverfassung wird hier historische Bedeutung zugemessen
Bekenntnis zu slowenischsprachigen Bürgern wird in Zell als Akt mit hoher Symbolkraft betrachtet.

Ein Kindergarten, ein Hort, eine Volksschule, eine Kirche, zwei Gasthäuser, die Freiwillige Feuerwehr, der Fußballklub und eine handvoll Brauchtumsvereine – Zell-Pfarre ist eine Kleingemeinde wie viele andere auch. Und doch hat das 615 Einwohner zählende Kärntner Bergsteigerdorf, das in einem abgeschiedenen Seitental an der Nordseite der Karawanken liegt, ein Alleinstellungsmerkmal: Es ist jene Gemeinde mit dem höchsten Anteil an Kärntner Slowenen: Er beträgt hier mehr als 90 Prozent.

Die am Donnerstag beschlossene Verankerung der slowenischsprachigen Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung ist der Bevölkerung in Sele/Zell folglich mehr wert als ein paar Buchstaben auf einem Blatt Papier: Hier wird die entsprechende Anerkennung als epochales Ereignis betrachtet, wie ein KURIER-Lokalaugenschein ergab.

"Die Fürsorge des Landes Kärnten und der Gemeinden gilt den deutsch- und slowenischsprachigen Landsleuten gleichermaßen", lautet jene Passage, die künftig in der Kärntner Landesverfassung festgeschrieben ist.

Klingt unspektakulär, wird aber hier in Zell als Akt mit hoher Symbolkraft interpretiert. Die Menschen vergleichen ihn sogar mit der Einigung im Konflikt um die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln, der erst im Jahr 2011 positiv beendet wurde. "Es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Ende im Ortstafelstreit und dem jetzigen Bekenntnis. Wir sind Kärntner Slowenen und somit ein Teil Kärntens. Ich finde es wichtig, dass das jetzt in der Verfassung verankert ist. Erst dadurch fühlt man sich endgültig akzeptiert", sagt Mirja Oraze, die in Zell als Kindergartenpädagogin arbeitet und der zukünftigen Generation die Zweisprachigkeit vorlebt.

"Herumgewurstelt"

Roman Roblek sieht die Sache ähnlich. "Es ist eine Form der Wertschätzung. Nicht nur Österreich bekennt sich zu den autochthonen Volksgruppen, sondern endlich auch Kärnten." 1920 hätte sich bei der Kärntner Volksabstimmung ein erheblicher Teil der Kärntner Slowenen für einen Verbleib Kärntens bei Österreich entschieden. "Fast hundert Jahre hat man aber jetzt herumgewurstelt und uns in der Landesverfassung nicht berücksichtigt. Endlich haben wir ein Bekenntnis, Schwarz auf Weiß", betont Roblek.

Signalwirkung

"Die Welt dreht sich vorwärts und nicht rückwärts. Insofern war es Zeit, dass das Land auch die Entwicklung registriert und die slowenische Volksgruppe anerkennt. Es ist ein epochales Ereignis", betont Gastwirtin Elisabeth Malle. Und Egon Wassner fügt hinzu: "Über Jahrzehnte gibt es diesbezügliche Bestrebungen. Die Neufassung mit der Berücksichtigung der Volksgruppe interpretiere ich als Zeichen für gelebte und anerkannte Zweisprachigkeit, als Signal für die Zukunft."

Zells Bürgermeister Heribert Kulmesch war es wichtig, dass die Formulierung "slowenischsprachige" Landsleute in der Verfassung aufscheint. Die Kärntner ÖVP bestand ursprünglich auf den Wortlaut "autochthone Volksgruppe", wie dies auf Bundesebene geregelt ist. "Allerdings berücksichtigt der Bund ja mehrere Volksgruppen. Hier geht es jedoch nur um die slowenischsprachige", deponiert Kulmesch.

Ein Wermutstropfen sei, dass in Kärnten in dieser Frage noch immer keine Einstimmigkeit zu erzielen sei. Die FPÖ hat angekündigt, zur Verankerung der Volksgruppe keine Zustimmung geben zu wollen.

Die Kärntner „Zukunftskoalition“ aus SPÖ, ÖVP und Grünen hat sich auf eine Reform der Landesverfassung geeinigt. Ein entsprechender Beschluss wurde gestern im Rechts- und Verfassungsausschuss gefasst. Der Proporz wird abgeschafft, die Rechte des Landtags und der Opposition werden massiv aufgewertet. Eine aktuelle europapolitische Stunde im Landtag ist gesetzlich verankert und die slowenischsprachigen Landsleute werden in die Verfassung aufgenommen.
Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), ÖVP-Obmann Christian Benger und Grün-Landesrat Rolf Holub sprachen von einem „historischen Tag.“ Mit der Reform werde die Gewaltentrennung zwischen Regierung und Landtag gestärkt. Sie bringe mehr Demokratie und eine Stärkung der Minderheitenrechte mit sich.
Einfache MehrheitKünftig braucht es für die Abwahl eines Regierungsmitgliedes nur eine einfache Mehrheit im Landtag, bisher ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Ebenso gestrichen wurde das Zwei-Drittel-Anwesenheitsquotum für den Beschluss der Selbstauflösung des Landesparlaments. Bundesräte erhalten im Landtag ebenso ein Rederecht wie Europaparlamentarier und der Rechnungshofpräsident. Neu ist auch die Möglichkeit, dass der Landtag Volksbefragungen anordnen kann, ebenso die Einsetzung von U-Ausschüssen als Minderheitenrecht.
Lange in Diskussion stand die Erwähnung der „slowenischsprachigen Landsleute“ in der Verfassung. Der Vorsitzende des Zentralverbandes der Kärntner Slowenen, Marjan Sturm, betrachtet die Einigung als „Bestätigung des positiven Trends und des neuen Klimas in Kärnten.“
Ausschussvorsitzender Andreas Scherwitzl (SPÖ) erklärte, die FPÖ hätte im Ausschuss gegen die Reform gestimmt. Das Team Stronach habe „mit Vorbehalten zugestimmt“. Kommende Woche soll der Antrag im Landtag beschlossen werden. Das Gesetz tritt 2016 in Kraft.
thomas martinz

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