Matthias Strolz: "Die Zweite Republik liegt im Sterben"
Der Neos-Gründer und ehemalige Politiker Matthias Strolz meldet sich wieder zurück. Nicht nur als Musiker. Als Berater des pinken Wiener Vizebürgermeisters Christoph Wiederkehr soll er dem Gründungsprozess eines Bildungszentrums für Innovationen in der Stadt beistehen.
KURIER: Würden Sie das Video mit den Neujahres-Grüßen und dem „Deep-Dive aus Goa“ heute wieder auf sozialen Netzwerken teilen?
Strolz: Ich habe hier meine Rolle des Künstlers eingeführt. Hätte Michael Niavarani so ein Video gepostet, hätte niemand etwas gesagt. Für manche war das „shocking“, aber nicht für mich. Im Oktober kommt mein neues Album raus, ab November sind wir auf Tour.
Manche Kommentare auf das Video waren hart: Ist er in der Midlife-Crisis? Wollte der nicht Kanzler werden?
Ich war zehn Tage „Deep Dive“ im Ghandi-Aschram in Indien. Dort lebte Mahatma Gandhi von 1918 bis 1930 und von dort lenkte er den gewaltlosen Widerstand „Satyagraha“ gegen die britische Besatzung. Es hat mich berührt, auf den Spuren Ghandis zu wandeln. Ich hatte dort auch Begegnungen mit meinem verstorbenen Vater. Danach war ich in Goa und hatte einen kreativen Fluss. So viel exzentrische Energie, ich brauche keine Substanzen. Ich hatte da gerade die letzte Nummer unseres Albums geschrieben.
Braucht man nach vielen Jahren Spitzenpolitik eine Auszeit?
Ich gehe immer im Jänner alleine auf Reisen. Das war Teil der Abmachung mit meiner Familie: Nach sieben Jahre Spitzenpolitik habe ich die Politik aufgegeben, weil sonst wäre ich heute auch nicht mehr verheiratet. Dafür habe ich mir auch wieder meine Freiheit zurückgeholt, die ich in den Jahren vermisst habe. Meine Frau will da nicht mit. Sie soll auch reisen, wenn sie will. Aber wir haben drei pubertierende Kinder, einer von uns ist natürlich immer hier.
Politiker
Der Vorarlberger Matthias Strolz (49) gründete vor zehn Jahren die Partei Neos – das Neue Österreich. 2013 bis 2018 war er Nationalratsabgeordneter. 2018 verließ er das Polit-Parkett. Beate Meinl-Reisinger wurde seine Nachfolgerin
Unternehmer
Nach seinem Studium (Wirtschaft/ Politik) wurde er Unternehmensberater. Seine Dissertation schrieb er zum Thema Organisationsentwicklung. Vor seiner politischen Funktion führte er Consulting-Firmen. Danach war er an Start-up-Firmen beteiligt
Musiker
April 2023 veröffentlichte er mit Kurt Razelli die Single: „Ich muss siegen“
Jetzt sollen sie bei der Gründung eines neuen Bildungszentrums für Innovationen in der Bundeshauptstadt helfen. Kann so ein Zentrum etwas in Zeiten von Lehrermangel und zunehmenden psychiatrischen Störungen bewirken?
Es ist schmerzhaft zu sehen: zunehmende Depressionen, Ernährungsstörungen, Suizidversuche. Das ist extrem beklemmend als Vater und Mensch. Wir sind ohnmächtig und haben gesehen, zu Corona-Zeiten wurde der Raum mit Angst geflutet. Ich habe für den sozialen Kontakt gekämpft und dafür Shit-Storms auf Twitter kassiert.
Das öffentliche Schulsystem ist ein Riesentanker. Innovationen sind leichte drängelnde Schnellboote. Und die braucht man. Ich bin auch seit vier Jahren bei der Megabildungsstiftung als Beirat tätig. Jährlich stiften wir eine Million Euro für innovative Projekte. Auch hier ist meine Beratung überparteilich. Meine Zeit für Parteipolitik ist abgelaufen, meine Zeit für Bildung nicht. Meine Leidenschaft: Wie erblüht das menschliche Potenzial? Und das gelingt derzeit nicht gut genug.
Neue Ideen werden dann durch das Bildungszentrum ins Schulsystem implementiert?
Eltern, Lehrer, Vereine: Alle, die Ideen haben, sind einzelne Inseln, die alleine untergehen. Das Zentrum wird vernetzen und unterstützen, so wie im Silicon Valley oder in Israel. So wie Google oder Facebook, die in 15 Jahren zu den größten Unternehmen der Welt geworden sind, wollen wir Bildungsinitiativen fördern. Christoph Wiederkehr kritisiert nicht nur, sondern er macht, was auf Stadt-Ebene möglich ist. Meine größte Sorge: die Privatisierung der Bildung.
Ihre Gage beträgt 30.000 Euro für sechs Monate. Stimmt das?
Das ist der vereinbarte Rahmen. Ob der ausgeschöpft ist, werden wir sehen. Ich hatte schon Aufträge von roten oder schwarzen Ministern, aber auch von Universitäten. ÖVP-Bildungsminister Faßmann unterstützte ich bei der Lehrplan-Änderung, die ab nächstem Jahr kommen wird. Außerdem organisieren wir ein Bildungsfestival.
Sind Sie wirklich ein Bildungsexperte?
Ich bin seit fast 35 Jahren in der Bildungspolitik tätig. Ich war Landes-Schulsprecher in Vorarlberg, dann ÖH-Vorsitzender in Innsbruck. Zwei Jahre in der Hochschülerschaft. In der systemischen Organisationsentwicklung berate ich seit 20 Jahren Unternehmen. Ich finde es komisch, dass sich manche darüber mokieren, dass ich einen Beruf habe. Wir haben das Projekt auch deswegen transparent präsentiert.
Sie haben die Neos einst gegründet. Unter der derzeitigen Chefin Beate Meinl-Reisinger hat die Partei zuletzt einige Niederlagen eingefahren. In Salzburg etwa ist das gesamte Team nach der Wahl zurückgetreten.
Ich habe meiner Nachfolgerin versprochen, keine öffentlichen Zurufe zu machen. Ich habe das Vertrauen, dass sie das schon machen werden. Und Rückschläge gehören nun mal zum Leben. Man kann die Neos mögen oder nicht. Ich halte sie für einen wichtigen Beitrag in der politischen Landschaft in Österreich. Wie der kleine Prinz, lasse ich die Blume gedeihen. Man könnte sich natürlich fragen, warum sie nicht mehr Stimmen nach den Krisen der ÖVP erhalten hatten. Aber den Grund kenne ich auch nicht.
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Die jüngsten Landtagswahlen liefen für die Neos nicht nach Plan. In Salzburg, wo sie zuletzt sogar Teil der Landesregierung waren, brachte ein Minus von drei Prozentpunkten (4,2 %) das Ausscheiden aus dem Landtag.
Bei den anderen drei regionalen Wahlgängen der letzten Monate stand zwar jeweils ein kleines Plus vor dem Ergebnis, allerdings reichte es nirgendwo für einen Zuwachs an Mandaten. In Kärnten verpasste man gar einmal mehr deutlich den Einzug in den Landtag (2,6 %). In Niederösterreich (6,7 %, 3 Mandate) und in Tirol (6,3 %, 2 Mandate) trat man faktisch auf der Stelle. Auch in Oberösterreich, wo 2021 gewählt wurde, gab es nur ein zartes Plus – mit dem man aber immerhin die Vier-Prozenthürde übersprang und in den Landtag einzog.
Und auf Bundesebene wies die letzte KURIER-OGM-Umfrage den Neos 9 Prozent aus (2019: 8,1 %) – zusammen mit SPÖ und Grünen („Ampel“) kommt man auf 38 Prozent.
Erlebt Österreich politisch gesehen einen Umbruch?
Österreich ist in einem Umbruch, den wir gar nicht richtig spüren können, weil wir mittendrin sind. Also wir werden das erst im Nachhinein beschreiben können. Das Alte stirbt. Die Zweite Republik ist am Sterben. Da geht es vor allem um das Machtkartell von Rot und Schwarz. Es ist nicht normal und auch nicht notwendig, dass eine Partei 30 Jahre in der Regierung ist, sondern es tut ihr gut, wenn sie sich in der Opposition erneuert. Die Mehrheit der europäischen Länder haben Koalitionen mit mehr als zwei Parteien. Österreich hat schon viel gelernt, nämlich zum Beispiel, dass wir eine Übergangsregierung haben können. Hätten wir uns ja nie gedacht vor fünf Jahren.
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Könnte FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl Kanzler werden?
Meine Präferenz ist es nicht. Ich glaube nicht, dass es dem Land guttäte und den Menschen. Aber es ist denkbar, die Bürger werden es entscheiden.
Sind Ihre Konzerte schon ausverkauft?
Ich glaube nicht. Unser Konzert 2018 im Flex war ausverkauft, aber das war eine andere Zeit.
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