Wien geht in Helsinki zur Schule

Ein Mann blickt in die Deckenkonstruktion einer Bibliothek.
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr besuchte mit seinem Team die finnische Hauptstadt und ließ sich in Sachen Bildungsinnovationen inspirieren.

Finnland ist bekannt für verschneite Landschaften, Rentiere und karelische Piroggen (Teigtaschen). Aber auch für ein exzellentes Bildungssystem. Aus letzterem Grund ist Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) mit seinem Team für zwei Tage in die Hauptstadt gereist.

Nach dem Besuch des Educationhubs in Helsinki wusste der Vizebürgermeister: „So etwas brauchen wir auch in Wien“. Der seit 2021 existierende Hub ist ein Bildungszentrum, der Innovationen im Bildungsbereich fördert. Ideen werden angehört und im Idealfall ins Bildungssystem implementiert. Zur Verfügung gestellt wird alles: Kontakte, Infrastruktur, Geld. Die Start-ups profitieren auch: ihre Ideen bzw. Entwicklungen werden an den Schulen getestet.

Bildungszentrum wird von der Stadt Helsinki finanziert

Bezahlt wird das Zentrum übrigens durch die Stadt Helsinki. Kostenpunkt: 500.000 Euro jährlich. Das Geld hat die Stadt, weil sie die Einkommensteuer, dafür verwenden kann.

Zuschauer sitzen vor einer Präsentation von Helsinki Education Hub.

Seit 2021

In Helsinki wurde ein Bildungszentrum für Innovationen eingeführt. Jährlich werden hier zwei Serien von Inkubatorenprogrammen durchgeführt. 

Ein Mann präsentiert vor einer Gruppe im Helsinki Education Hub.

Besuch der Wiener Delegation

Vor Ort waren Christoph Wiederkehr , Bettina Emmerling (beide Neos) und Nicole Berger-Krotsch (Bildungs-Sprecherin SPÖ). Miika Neuvonen stellte ihnen die facettenreiche Arbeit vor Ort vor.

Ein Mann präsentiert eine Grafik, die einen Rückgang der Schulabbrecherquote zeigt.

Annie

Der Bot "Annie" kann in Schulen eingeführt werden - wo entweder alle Eltern die Einverständnis dafür geben, oder wo es das Gesetz erlaubt, Daten für die Gesundheit zu erhalten. Denn "Annie" schreibt den Kindern und Jugendlichen per Handy und fragt fünf Mal im Jahr, wie es den Schülern geht. 

Zwei Männer unterhalten sich in einem Büro mit einem Whiteboard im Hintergrund.

Meldung an Schule

Danach kann Annie, die mit künstliche Intelligenz geführte App, eine Meldung an die Schule oder das Lehrpersonal weitergeben, wenn es einem Schüler nicht so gut geht oder er Unterstützung braucht. Das geht aber nur mit Einverständnis der Schüler. 

Vier Personen sitzen vor einem Hintergrund mit dem Schriftzug „Helsinki Education Hub“.

Besuch der Wiener Delegation

Laut Auflistung der App sind dort, wo die App genutzt wurde, Schulabbrüche minimiert worden.

Psychologe am Handy

„Fast jeder Lehrer kennt uns“, sagt ein Mitarbeiter des Hubs. Partner sind Universitäten, die über das Projekt forschen. Aber auch Firmen, wie Google oder Microsoft und NGOs in Finnland.

Eine Hand hält ein Smartphone, das die Website von annieadvisor.com anzeigt.

Der Mange an Schulpsychologen in Wien sei enorm, laut Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr.

Start-ups, die schon an finnischen Schulen genützt werden, stellten ihre Ideen vor. Darunter Big Ear Games: Kinder können über digitale Spiele musizieren und komponieren lernen – ohne Instrument.

Sie lernen die digitale Musik-Produktion. Ein anderes Tool ist „Annie“. Der Bot ist eine künstliche Intelligenz, die Kinder der Schule per Handy anschreibt und fragt, wie es ihnen geht. Die Lehrer oder die Psychologen erhalten dann Infos über die Belastung der Kinder in der Klasse in einer anonymisierten Statistik.

Die Applikation soll nachweislich dafür gesorgt haben, dass es weniger Schulrauswürfe gebe. Möglich ist die Nutzung, weil es gesetzlich verankert ist, dass Kontaktdaten aus gesundheitlichen Gründen zur Verfügung gestellt werden dürfen. „Das wäre interessant, aufgrund von Datenschutz bei uns aber unmöglich“, sagt Wiederkehr. Die psychische Gesundheit sei eines der brennendsten Themen in Wien, so wie der Lehrermangel.

In einem Klassenzimmer sitzen eine Lehrerin und drei Personen an ihren Tischen.

Finnische Schule als Beispiel

2018 belegte Finnland unter den OECD-Staaten den 3. Platz. Noch heute gilt das Land als Bildungsvorreiter. 

Eine Gruppe von Menschen steht zusammen, einige schauen auf einen Laptop.

Führung durch die Schule

Phänomenbasiertes Lernen: Hier lernen ältere Schüler den Jüngeren, wie die Tontechnik funktioniert. Man bereitet sich vor auf die Abschlussvorführung für die Maturanten.

Ein Jugendlicher liest ein Buch mit dem Titel „Raskaus yllättää“ in einer Gruppe.

Besonderheit: Alle zusammen

In Finnland sind 7 bis 15-Jährige in einer Schule. Erst mit 15 Jahren müssen sie sich für einen weiteren Schulweg entscheiden.

Eine Frau mit blonden Haaren hält eine Tasse mit der Aufschrift „Sweden Stockholm“.

Englisch-Lehrerin

Anne Eerikäinen ist Lehrerin an der Schule. Der freie Wille und die Entscheidungskraft der Lernenden sei wichtig für ihren Unterricht: "Sie entscheiden bei einem Test, welches Kapitel geprüft wird."

In einem großen Raum sitzen mehrere Gruppen von Menschen an Tischen.

Große Aula

Das Gebäude ist sehr hell. Auch die Klassen haben Glaswände, nach innen und nach außen. 

Eine Zeichnung von Spider-Man hängt an einer Wand in einem Flur.

Die "Lernenden"

Im finnischen Schulsystem, sagt man "Lernender" und nicht "Schüler". Wertschätzung werde in beide Richtungen großgeschrieben. Auch was die Lehrer angeht.

Drei Mädchen sitzen und stehen in einem Innenraum; eines beklebt eine Säule mit Sternbildern.

Kinder gestalten ihren Lebensraum

Im Handwerkunterricht dürfen Jugendliche die Schränke bemalen, andere reparieren Schuhschränke. Man soll auf das Leben vorbereitet werden und auch diese Fertigkeiten lernen, heißt es.

Eine junge Frau tupft mit einem Wattestäbchen Farbe auf eine blaue Säule.

Skorpion auf der Säule

Die 15-Jährige ist in der Technologie-Klasse und produziert im Unterricht auch ihren eigenen Podcast. Im Handwerk-Unterricht bemalt sie eine Säule mit unterschiedlichen Sternenbilder.

Eine Person nimmt Essen von einer Theke mit vegetarischen Optionen.

Kostenloses Essen

In der Schule wird das Essen frisch zubereitet. Außerdem haben die Schüler ein Fach, das heißt "Kochen und Chemie". Dort lernen sie etwa, wie Fermentierung funktioniert.

In einer Kantine bedienen sich Personen an einem Buffet mit Salat, Reis und warmen Speisen.

Kalorien

Am Buffet stehen die empfohlenen Mengen. Aber jeder darf sich hier selbst nehmen. Man lernt für sich und andere Verantwortung zu übernehmen.

Eine Gruppe von Menschen befindet sich auf dem Schulhof eines modernen Gebäudes.

Pausen

Die Stunden dauern je nach Schulstufe anders, heißt es. Im Hauptgebäude sind die Unterrichtszeiten von 8.15 bis 15.40 Uhr mit einer 10-minütigen Pause um 10 Uhr und einer halben Stunde Pause um 12 Uhr. Dann gibt es noch eine 20-minütige Pause um 13 Uhr.

Ein Aussichtsturm aus Stahl und Beton vor blauem Himmel.

Besonderes Gebäude

Im Schulgebäude gibt es einen Turm: Hier kann für das Physik-Experiment etwas heruntergeworfen werden. Und auch zum Park nebenan gibt es keine Absperrung.

Drei junge Frauen sitzen vor gelben Schließfächern und benutzen Laptops und ein Handy.

Die gleichen Bildungschancen

Für alle Schüler soll es dieselben Bildungschancen geben. Dieses Prinzip steht im Fokus der Bildung in Finnland.

Ein junger Mann sitzt in einer Bibliothek und stützt seinen Kopf auf seine Hand.

Vize-Direktoren und Schulpsychologen

Jede Schule hat einen Schulpsychologen und angestellte Sozialarbeiter, und jede Schule einen Vize-Direktor. "Ein mittleres Management, wie ein Vize-Direktor kann ein Anreiz für Lehrer sein und hilft die Schule besser zu regulieren", meint Wiederkehr.

Finnischer Schulbesuch

Beim Besuch der Aurinkolahti Comprehensive School werden Unterschiede zum Wiener Schulsystem klar: die Kinder sind von 7 bis 15 Jahren in einer Schule untergebracht. Sie sind per Du mit den Lehrern, das Schulessen ist kostenlos. Der Klassenraum wird von den Schülern, die „Lernende“ heißen, gestaltet.

Sie haben Eigenverantwortung: „Sie suchen sich aus, welches Kapitel geprüft wird“, erklärt die Englisch-Lehrerin. Im Handwerkunterricht bemalen Schüler die Schulkästen, andere reparieren Schuhständer. Ältere Schüler zeigen jüngeren, wie die Tontechnik funktioniert. Das nennt man auch phänomenbasiertes Lernen.

Die Direktorin, die selbst ein Budget von 9 Millionen Euro verwaltet, sagt, dass sich 25 Personen auf ihre Position beworben hatten. „Davon können wir träumen“, sagt Wiederkehr. Die Schulen haben mehr Autonomie. die Lehrer mehr Anerkennung.

Wiederkehrs Schwester wurde als Juristin zur Kindergartenpädagogin, erzählt er. Dass sie sich dafür rechtfertigen müsse, sehe er nicht ein. Er weiß, dass die systematischen Reformen nur bundesweit zu machen sind. Abseits vom Lehrplan habe er einiges geschafft und möchte noch mehr schaffen (siehe Faktenbox). Seine neuen Projekte: ein jährliches Bildungsfestival und ein Bildungshub wie in Helsinki.

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